Wenn es um Unterhaltung und um die Fähigkeit geht, ein großes Publikum zu fesseln, können Serien heutzutage mühelos mit der Qualität von Spielfilmen mithalten. Bei der Herstellung bestehen zwischen beiden Arten aber nach wie vor wesentliche Unterschiede. Das gilt nicht nur für die Dreharbeiten. Sondern ganz besonders auch für die Arbeit am Drehbuch und für die Drehbuchautoren.
Drehbücher sind das Rückgrat, sind Herz und Hirn jeder Story, die als Spielfilm oder in Form einer mehrteiligen Serie erzählt wird. Dennoch unterscheidet sich ein Script für eine Serienverfilmung in wesentlichen Punkten von demjenigen für Kinofilme. In diesem Artikel erklären wir dir die wichtigsten Unterschiede.
Es gibt erfolgreiche Serien von Autoren, welche in ihren Drehbüchern pro Folge eine in sich abgeschlossene Geschichte erzählen. Ebenso gibt es Formate wie „Paranormal“ (Netflix), die eine Mischform zwischen alleinstehenden Episoden und einer fortlaufenden Story darstellen, weil der Hauptdarsteller und einzelne Motiv und Figuren wiederholt in einer Staffel auftauchen. Diese Zwischenformen bleiben im Interesse der Lesbarkeit und der Übersichtlichkeit in diesem Artikel ausgeklammert.
Was unterscheidet eine Geschichte für einen Film von derjenigen für eine Serie?
Der erste Unterschied zwischen einem Drehbuch für einen Spielfilm und eine Serie ist nicht, wie man meinen möchte, die Länge der Story. Natürlich, 90 Minuten (Kinofilm) oder 900 Minuten (durchschnittliche Laufzeit der Staffel bei SKY, Netflix oder Disney+) schreiben sich niemals in demselben Zeitfenster. Aber wichtiger noch ist die Frage, was erzählt werden soll. Dazu müssen wir einen kurzen Blick auf die wirtschaftlichen Aspekte der Unterhaltung werfen.
Ein Kinofilm richtet an die größtmögliche Gruppe von Zuschauern innerhalb einer definierten Zielgruppe. Natürlich spielt dabei das Genre und der Blick auf Konkurrenzprodukte eine Rolle, ebenso wie die Analyse, welche Spielfilme in Vergangenheit erfolgreich waren. Aber anders als bei einer Serie kann der potenzielle Zuschauer beim Langfilm viel schwieriger und nur mit sehr viel Aufwand direkt angesprochen werden. Werbung und Marketing beim Kinofilm, so die Faustregel in Hollywood, müssen etwa in derselben Höhe budgetiert werden, wie die eigentlichen Produktionskosten – sonst lässt sich nicht genügend Aufmerksamkeit erzeugen, um ein Projekt zu refinanzieren. Bei einer Herstellung von 200 Millionen investiert ein Studio damit 400 Millionen. Bei einem solchen Risiko werden nur Drehbücher und Handlungen zur Produktion durchgewinkt, die aus keinerlei Perspektive irgendwelche inhaltlichen Ängste auslösen. Das ist eine der Erklärungen dafür, warum wir als Zuschauer immer mehr Sequels (Fortsetzungsfilme) und formelhafte Filmgeschichten im internationalen Kino serviert bekommen.
Die Studios, deren Geschäftsmodell auf Serien und Streaming setzt, scheren sich weit weniger um Aufmerksamkeit.
Erstens, weil Anbieter mit Netflix ein Stammpublikum haben (aktuell 172 Millionen Abonnenten), und den Zuschauer im Unterschied zum klassischen Kino und dessen Vertriebsform nicht jedes Mal aufs Neue ins Kino locken müssen.
Zweitens, weil diese Produktionen nicht nur direkt im Wohnzimmer zu sehen sind, sondern – hierin liegt eines der wesentlichen Erfolgsgeheimnisse – durch ausgeklügelte Algorithmen dem User aktiv vorgeschlagen werden. Auf diese Weise lässt sich im Unterschied zu einer Kinoauswertung ohne große Gefahr nahezu jede Vorliebe adressieren, mag sie noch so besonders oder sogar eigenartig sein. Darum finden sich bei Netflix, HBO und vergleichbaren Anbietern auch in maximaler Dichte höchst unkonventionelle, originelle Geschichten.
Lerne: Als Drehbuchautor hast du drei Optionen. Du kannst:
- Höchst originelle, individuelle Autorenfilme schreiben, die nahezu sicher trotzdem nur ein sehr beschränktes Publikum im Kino erreichen. Reich wirst du damit darum auch nicht.
- Du pfeifst auf das Kino. Dafür konzipierst du deine ganz besondere Story mit allen Kanten und Ecken als 90-minütigen Film, der im Auftrag eines Streaming-Anbieters gedreht wird.
- Oder du schreibst eine Serie für TV oder Streaming. Solches hat aber auch seine Besonderheiten und Nachteile für dich als Autor. Dazu gleich mehr.
Am meisten Freiheiten und Einkommen hast du diese Tage als Autor, wenn dorthin gehst, wo das Publikum und damit auch das Geld ist! Gelingen kann dir das aber nur, wenn du einerseits das Handwerk des Autors perfekt beherrscht und wenn du mit weit überdurchschnittlichem Talent als Storyteller gesegnet bist.
Unterschiede bei der Drehbucharbeit für eine Serie und einen Spielfilm
Der zweite große Unterschied zwischen einem Drehbuch für einen Spielfilm und eine Serienproduktion wie SOKO Leipzig oder das Paris-Special von GZSZ ist die Art, wie die Autorenarbeit erfolgt.
Beim Kinofilm erfolgt 99 % der Schreibarbeit durch eine Person. Möglicherweise kommt eines Tages für ein Rewrite oder Polish ein Co-Autor oder ein Spezialist für Dialoge hinzu. Die Hauptlast der Arbeit wird aber von einer Person, dem Drehbuchautor, gestemmt. Dazu sind 6 bis 9 Monate an Arbeit erforderlich. Schreibst du ein filmreifes Drehbuch innerhalb von vier bis acht Wochen, bist du entweder ein Genie oder du hast fünf Monate nachgedacht und Vorarbeit geleistet. Oder aber du bist nicht im Bilde darüber, was du tust.
Umgekehrt wird eine Serie nie, niemals, nur von einem Autor geschrieben! Die Drehbücher und Storylines entstehen in einem Writers Room und folgen der sog. Serienbibel. Die Bibel für eine Serie, das ist ein verbindlicher Leitfaden, in dem vom Headwriter (Chefautor) die Figuren einer Serie wie »Frieden«, deren Entwicklungen und die Handlungslinien festgelegt sind. Darauf aufbauend übernehmen Drehbuchautoren die Feinarbeit: Sie erarbeiten die Details und schreiben dann für eine oder verschiedene Folgen, nicht zwingend in chronologischer Abfolge, die Drehvorlagen.
Der Erfinder eines Serienstoffes arbeitet oftmals auch Headwriter. Er leitet als solcher auch das Autorenteam. Er kann aber auch als Showrunner eine Produzentenfunktion innehaben und auf dieser Stufe sicherstellen, dass eine Serie nach seiner Vision geschrieben und umgesetzt wird. Auch das ist ein wesentlicher Unterschied zum klassischen Spielfilm: Ein Autor kann als Chefautor oder Showrunner bei einer Serie seine Story weit über das Drehbuch hinaus prägen und direkt auf die Umsetzung bei Dreh Einfluss nehmen.
Der Arbeitsprozess spiegelt den Unterschied der Länge einer Serie im Vergleich zu der immer in sich abgeschlossenen Handlung eines Spielfilms. Ein Autor allein würde es nie schaffen, in vernünftiger Zeit drei, vier oder sogar sechs Staffeln einer Serie ganz im Alleingang zu schreiben. Die Länge ist aber auch für weitere, dramaturgische und strukturelle Besonderheiten bei einer Serie verantwortlich:
Andere Struktur, andere Dramaturgie
Der dritte, vierte, fünfte und sechste Unterschied zwischen der Erstellung eines Drehbuchs für eine Serie ein dem Drehbuch für ein Movie liegt in der Struktur und in der Dramaturgie.
- Die Story in einem Spielfilm endet nach 90 Minuten. In dieser Zeitspanne muss alles erzählt werden, was es zu erzählen gibt. Eine Folge einer Serie ist umgekehrt immer Teil einer größeren Geschichte. Das hat Folgen für die Erzählstruktur. Stark vereinfacht richtet sich der Aufbau einer Kinofilmhandlung nach drei Akten. Ein Drehbuch für eine Serie besitzt zwar ebenso Handlungsbögen, aber diese können über viele Folgen erzählt werden.
- Innerhalb einer Serie besteht mehr Zeit, Figuren / Charaktere einzuführen, aufzubauen und zu entwickeln. Personen können darum lebensnäher und tiefer sein, benötigen weniger Klischees, weil sie nicht „sofort funktionieren“ müssen. Wandlungen, Verwandlungen sorgen für Wendungen und Überraschungen. Das bedeutet aber auch: Als Autor benötigst du fundierte Menschenkenntnisse und Lebenserfahrung. Serien mit Pappfiguren scheitern.
- Drehbücher für Serien verfolgen in der Regel mindestens drei bis sechs gleichwertige Storylines parallel. Im Unterschied dazu gibt es beim Spielfilm immer nur eine Haupthandlungslinie, ergänzt von Nebenhandlungen. Beim Drehbuchschreiben als Autor für eine Serie sind darum Vor- und Folgegeschichten mindestens so wichtig, wie die jeweilige Folge, die man selbst mithilfe der Serienbibel im Autorenteam verfasst. Aus dramaturgisch-struktureller Sicht ist eine Serie darum ein ganz anderes Paar Schuhe, als eine Film-Handlung mit überschaubaren Turning Points.
Das Verfassen eines tragfähigen Drehbuchs für einen Spielfilm ist eine Elefantenarbeit. Aber, als Ganzes betrachtet, immer noch weit weniger zeitintensiv und weit weniger komplex in der Erarbeitung als von acht oder mehr Drehvorlagen für eine Serienstaffel. Darum entstehen Erfolgsserien im Unterschied zum Kinofilm immer im Team, während großartige Spielfilme von nur einem Autor im stillen Kämmerlein geschrieben werden können.
Serie und Film: alle Unterschiede auf einen Blick
Was unterscheidet ein Drehbuch für einen Kinofilm und eine Serie? Hier findest du alle Eigenheiten der beiden Erzählformen in einer Übersicht zusammengefasst:
Unterscheidungsmerkmal | Spielfilm | Serie |
---|---|---|
Länge | 90 bis 120 Minuten | 5 bis 50 Folgen zwischen 30 und 60 Minuten |
Storylines | 1 Strang mit Haupthandlung, 2 bis 3 untergeordnete Nebenhandlungen | mindestens 5 Handlungsstränge mit (anfangs) gleicher Gewichtung, meist bezeichnet als Storyline A, Storyline B etc. |
Story | gefällige Geschichten für ein globales Publikum | Erzählperspektive und Inhalte ungewöhnlicher als bei Kinofilm, sie dürfen auch auf spezielle Interessen zielen |
Charaktere | 1 Hauptfigur, 3 bis 5 Nebenfiguren | 5 bis 10 Hauptfiguren, 12 bis 20 Nebenfiguren |
Struktur | 3-Akt Struktur | 5 Akte pro Folge, übergreifende Handlungsbogen |
Urheber | 1 Drehbuchautor | Autorenteam, bestehend aus Headwriter und Autoren |
Cliffhanger | (-) | üblicherweise, aber nicht zwingend, am Ende einer Folge und am Staffel-Ende |
Turning Points | ja | ja |
Anzahl Seiten | Drehbuch besitzt 90 bis 110 Seiten Umfang | 30 bis 60 Seiten für eine Folge, abhängig von der Länge einer Folge |
Seiten-Takt | 1 Seite entspricht in der Regel 1 Filmminute | 1 Drehbuchseite entspricht in der Regel 1 Serienminute |
Vorgaben an die Form und Formatierung des Drehbuchs | Ja, Einsatz einer Drehbuch-Software empfohlen | ja, Einsatz einer Drehbuch-Software empfohlen |
Showrunner | (-) | ja, meist der „Erfinder“ einer Serie (oft identisch mit Headwriter), großer Einfluss auf Umsetzung |
Zeitaufwand für Autor | 6 bis 9 Monate Schreibarbeit für ein Drehbuch (erste Fassung, ohne Überarbeitungen / Redraft und Polishing) | Autorenteam schreibt, abhängig von der Teamgröße, 12 bis 18 Monate pro Staffel |
Distribution erfolgt via | Kino, TV, Pay-TV, Blu-Ray Disc und Free-TV | Streaming / Internet auf allen Plattformen (TV, Desktop / Laptop, Smartphones, teilweise auch Game-Konsolen), bei Werken mit hohem künstlerischem Anspruch auch Kino |
Tabelle: Wesentliche Unterscheidungsmerkmale der Autorenarbeit bei Film und Serie | Quelle: filmpuls.info
So hast du Erfolg: 3 Tipps für angehende Autoren
Du willst als bislang nicht oder kaum bekannter Autor ein Drehbuch schreiben, weißt aber nicht, ob für einen Spielfilm oder eine Serie? Diesfalls solltest du dir vor Augen halten, dass du für den Start einer ernsthaften Karriere einen etablierten Produzenten, eine Produktionsgesellschaft oder einen Sender finden musst, der an dein Talent glaubt. Das gelingt immer nur mit einer Schreibprobe.
Es gibt in einem solchen Fall für dich drei Möglichkeiten:
- Du schreibst ein Drehbuch für eine bestehende Serie. Damit erzählst du die bestehenden Handlungsstränge weiter. Denke an die letzte Folge der letzten Staffel von „Game of Thrones“ oder die erste Episode von „House of the Dragon (HotD)“, die für viele Fans eine Enttäuschung waren. Schreibe diese neu. Besser. Anders. Wohlgemerkt: Du darfst nicht davon träumen, dass ein spekulatives Seriendrehbuch verfilmt wird. Das ist auch nicht der Zweck der Übung. Du willst nur demonstrieren, dass du als Autor einen Unterschied machst. Zeige der Welt, dass du Serien schreiben kannst. Überzeuge, warum und wie du das Drehbuch für Folge 3 oder Folge 4 oder das Finale einer Staffel besser hättest schreiben können. Damit zeigst du auch, ob du seriell und sequenziell denken kannst und den Unterschied zwischen einem Drehbuch für Kino und eine Serie verstanden hast. Ist deine Arbeit einnehmend, empfiehlst du dich damit möglicherweise für ein Autorenteam einer zukünftigen Serie.
- Du investierst deine Zeit in die Erarbeitung eines Exposés, Treatment oder Drehbuchs für einen Kinofilm. Niemand wird und kann dir hierzu eine Vorgabe machen. Du bist frei, zu tun, was du willst. Bist du ein Ausnahmetalent – nur dann – und hast du zugleich ein gutes Näschen für die richtigen Stoffe, kannst du mit dem notwendigen Quäntchen Glück deine Arbeit verkaufen. Und wenn nicht, dich wenigstens auf den Radar eines Produzenten in der Hoffnung auf zukünftige bezahlte Schreibarbeit setzen.
- Du bewirbst dich in einer Assistenzfunktion zur Mitarbeit in einem Autorenteam für eine Serie. So lernst du, was professionelle Schreibarbeit bedeutet und kannst dich von einer soliden Basis aus nach oben arbeiten. Dabei hilft dir bei der Bewerbung entweder ein fiktives Script einer Serie (siehe vorgehend Punkt 1) oder ein spekulatives Drehbuch von dir als Autor.
Ungeachtet wie schwierig der Start als Anfänger ist, du hast ein ganz großes Privileg, das weder ein Schauspieler noch ein Produzent oder ein Regisseur in vergleichbarem Ausmaß besitzen: Du kannst als Autor für ein Drehbuch ganz allein zeigen, was du als Storyteller drauf hast. Ein Laptop reicht! Um zu zeigen, was du im Unterschied zu deinen Mitbewerbern drauf hast, benötigst du anders als bei der Regie weder ein finanziertes Filmprojekt noch eine Filmcrew.
Zusammengefasst
Als Drehbuchautor kannst du die Welt in deinem Kopf, zumindest formal betrachtet, in der gleichen Perfektion zu Papier bringen wie ein etablierter Autor und Oscar-Gewinner. Denn es ist immer nur der Inhalt – also dein Köpfchen und Talent – der ausschlaggebend ist und den Unterschied macht.
Das musst du wissen
- Zuschauer haben heutzutage vergleichbare Erwartungen gegenüber Serien und Kinofilmen. Als Autor ist keine der beiden Gattungen darum „einfacher“ zu bedienen.
- Serien haben im Vergleich zu einem Spielfilm ein komfortableres Zeitbudget, um ihre Handlungsbögen beim Publikum zu etablieren. Umgekehrt sind für Serien eine Vielzahl gleichberechtigter Handlungsbögen zu entwickeln, und sind mehr Filmfiguren / Charaktere erforderlich, deren Entwicklungsstränge im Drehbuch äußerst sorgfältig auszuarbeiten sind.
- Serien werden in der Regel im Team geschrieben. Langfilme im Kino von Drehbuchautoren im Alleingang.
Ich wünsche dir bei der Schreibarbeit viel Spaß. Für Fragen, Inputs und Rückmeldungen zu diesem Artikel nutze bitte die Kommentarfunktion auf dieser Seite oder das Kontaktformular.
Mehr dazu
Einen einzigartigen Einblick – auch in die Schreibarbeit einer Serie – gibt dir der deutsche Produzent Christian Beetz in seinem Erfahrungsbericht über »Rohwedder – Ein perfektes Verbrechen«.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 20.01.2021
Dieser Artikel ist sehr gut und verständlich geschrieben. Ich mach mich direkt an die Arbeit.