Gutgemachtes Entertainment verführt uns mit diesen sechs Schlüsselfaktoren

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5 Schlüsselfaktoren bilden die Rezeptur für gute Unterhaltung | © Foto: Pavel Sokolov

Warum vermögen uns gewisse Serien, Online-Games oder Unterhaltungsangebote zu faszinieren und über längere Zeitdauer zu fesseln? Was ist es, dass uns dermaßen an Content bindet, dass wir immer mehr davon wollen und kaum mehr davon ablassen mögen? Dieser Artikel illustriert die Mechanik von gutgemachtem Entertainment anhand von Beispielen aus unterschiedlichsten Industrien.

Warum haben sich über 44 Millionen Zuschauer die Folgen von „Game of Thrones“ angesehen?1 Weshalb verbringen in der Gruppe der 26- bis 35-Jährigen über 12,9 % begeistert mehr als zwanzig Stunden pro Woche mit Online-Games?2. Was ist die Ursache, warum der Umsatz der weltweiten Online-Glücksspiele und Wetten neuen Prognosen zufolge von 61,5 Milliarden US-Dollar im Jahr 2021 auf 114,4 Milliarden US-Dollar bis 2028, was einem Zuwachs von 86 Prozent entspricht?3

Die Antworten darauf sind vielfältig. Sie alle aber besitzen eine gemeinsame Basis: die mentale Verursachung, verstanden als das Zusammenspiel von einem Erlebnis (Ursache) und seinen Folgen (Wirkung).4 Nicht nur Filmemacher – anders als Wissenschaftler – haben diese Wechselwirkung schon immer als eine Selbstverständlichkeit und Chance verstanden.

Was ist gut gemachtes Entertainment?

Vorab zur Frage nach den Treibern erfolgreicher Unterhaltungsprodukte gilt es zu bestimmen, was überhaupt unter gutem Entertainment zu verstehen ist. Hierzu bieten sich unterschiedliche Eingrenzungen und Perspektiven zur Begriffsbestimmung an:

Oftmals anzutreffende Definition für gutes Entertainment und ihre Betrachtungswinkel:
  • Wirtschaftliche Perspektive:

    Gut gemacht ist Entertainment dann, wenn es am Markt einen höheren Gewinn erwirtschaftet, als die Produkte der Mitbewerber. Damit ist im Segment Online-Games das Merkur Spiel „Amazonia“ ebenso gutes Entertainment wie – um für diese Art der Definition beim Regenwald zu bleiben – erfolgreicher Kinofilm wie „Amazonia, Abenteuer im Regenwald“, der in 3D aus Perspektive eines Kapuziner-Äffchens von einer außergewöhnlichen Reise erzählt.

  • Moralische Betrachtung:

    Die Bewertung erfolgt nicht nach objektiv messbaren Fakten (Umsatz oder Gewinnmarge), sondern auf Basis eines gesellschaftlichen Konsenses oder einer subjektiven Moralvorstellung. Gut ist damit, was der Gesellschaft, einer Gruppe dient oder das eigene Wertesystem bestätigt. Aus dieser Perspektive überwiegt auch eine epische Dokumentation wie „Comandante“ (2003) von Oliver Stone über Fidel Castro die moralische Werthaltigkeit des weitaus erfolgreicheren Online-Casino-Games Blackjack, bei dem um Echtgeld gespielt wird. Dies, obwohl beide, Revolutionsführer und Casinos in Kuba, sogar eine kausale, historische Verflechtung aufweisen.5 Die Unfassbarkeit und Ungerechtigkeit dieser Art Bewertung lässt sich nur dann vermeiden, wenn man sich bei einer solchen Betrachtung auf dasjenige Regelwerk bezieht, das die direkte Summe einer demokratischen Gesellschaft ist: das Gesetz.

  • Kulturelle Sichtweise:

    Gute Unterhaltung ist nach dieser Betrachtungsweise einzig, was als Kunst zu bestehen vermag. Kunst ist Ursache und Folge zugleich, folgt oder bricht mit Form und Kultur sowie den daraus entstandenen Konventionen und darf darum alles. Oder, wie es einst Carlo Ponti, Rechtsanwalt, Produzent und Ehemann von Schauspielerin Sophie Loren so trefflich formulierte, „erweist sich ein Film nicht als Kassenknüller, ist er Kunst.“ So betrachtet besitzt jede Gattung im Segment Entertainment auch das Potenzial zur Kunst. Ob dem so ist, liegt im Auge des Betrachters.

  • Definition nach Art des Produkts:

    Das Prädikat „Gut“ wird derjenigen Produkt-Gattung verliehen, deren Vorteile die positiven Faktoren anderer Kategorien deutlich überwiegen. Aus dieser Sicht ist ein Online-Glücksspiel – ungeachtet wie erfolgreich es wirtschaftlich sein mag – kein gutes Entertainment, anders als eine TV-Show mit gehobenem Unterhaltungsanspruch zur Primetime. Darum, weil Abendunterhaltung am Fernsehen das Publikum zwar kaum klüger macht, aber man dabei nur Lebenszeit verliert, nicht aber um Gewinne mit Verlustrisiken spielt.

Als Summe dieser Betrachtungswinkel bietet sich als integrale Definition an:

Gutes Entertainment ist die Summe aus wirtschaftlichem Erfolg und gesellschaftlicher Akzeptanz von Produkten etwelcher Art, die dem Zweck der Unterhaltung dienen, vom Publikum freiwillig aus einer Vielzahl von Angeboten ausgewählt werden können, und in ihrem Auswertungsraum keine rechtsstaatlichen Gesetze verletzen und das Potenzial einer Kunst ausweisen, nicht aber zwingend innehaben müssen.

Die Mechanik hinter guter Unterhaltung

Erfolgreiche Unterhaltungsprodukte weisen – auch mit der vorgehenden, weitestmöglichen Definition, die Filme, Serien und Online-Games ebenso umfasst wie Theater, Oper, Konzerte und Varieté – nahezu ohne Ausnahme eine ganze Reihe gemeinsamer Elemente auf. Sie bilden die Mechanik guter Unterhaltung.

Entstanden sind diese Erfolgsfaktoren durch empirische Erprobung in den jeweiligen Industrien. Alle Elemente adressieren ohne Ausnahme menschliche Verhaltensmuster und zielen darauf, aus ihrem Ganzen mehr als die Summe der Einzelteile entstehen zu lassen.

Dieses 6 Elemente bilden die Grundvoraussetzungen guter Unterhaltung:

  • Trigger als Auslöser und Zündschnur:

    Der Trigger ist der Startpunkt, der Erstkontakt, das, was sich in den ersten drei Sekunden im Kontakt mit dem Unterhaltungsprodukt abspielt. Einziger Zweck des Triggers ist es, auf die nächste Stufe der Mechanik weiterzuführen. Diese Art Stimulans kann wegen der geforderten Kürze, kombiniert mit der Notwendigkeit, einen starken Impuls zu schaffen, meist nicht anders, als bunt, plakativ und laut zu sein. Bei den vorgenannten, komplett gegensätzlichen Beispielen, Amazonia Casinos und dem – als Blu-Ray oder ebenso online zugänglichen – Kinofilm „Abenteuer im Regenwald“ ist der Trigger das damit in unseren Köpfen bereits bestehende, mit dem Trigger sofort ausgelöste exotische Bild des Amazonas-Urwalds. Auch das klassische Star-System in Hollywood arbeitet mit diesem Mechanismus und setzte über Jahrzehnte die Stars als „auslösendes Element“ zur Gewinnung der Aufmerksamkeit des Publikums ein.

  • Versprechen zur Befriedigung der Neugierde:

    Der Trigger ist das aufflammende Zündholz. Was darauf im nächsten Schritt bei erfolgreicher Unterhaltung folgt, lässt sich als Zündschnur beschreiben. Eine solche Lunte ist psychologisch betrachtet nichts anderes als ein Versprechen, oder eine Drohung, auf das, was auf einem wartet. Adaptiert auf gute Unterhaltung bedeutet dies: Es reicht nicht, einzig Neugierde (durch ein imaginäres Bild von Regenwäldern in Amazonien) auszulösen. Zusätzlich dazu will der Zuschauer, User, Abonnent oder Spieler auch frühzeitig bestätigt bekommen, dass er am richtigen Ort ist, das richtige Produkt gewählt hat, das die in ihm ausgelösten Vorstellungen oder Klischees bedient. Er erwartet darum als Dankeschön für sein Interesse und seine Aufmerksamkeit ein Versprechen, dass seine Neugierde befriedigt wird. Beim Film spielen dabei Genre und Exposition (1. Akt) eine entscheidende Rolle. Die Mehrheit aller digitalen Unterhaltungsangebote im Internet setzt diese Versprechung unmittelbar vor die Online-Registrierung, bevor es wie bei Amazonia Echtgeld zu gewinnen oder verlieren gibt, oder vor den Miet- oder Kaufprozess ihrer Produkte (Streaming-Angebote). Auch, um damit die Höhe dieser Hürde für den User zu senken und die Konversionen zu steigern.

  • Angebot für Eskapismus oder was Amazonia im Casino und Film verbindet:

    Von einem Versprechen allein wird niemand satt. Gutes Entertainment bietet darum auf die Zielgruppen zugeschnittene Ankerpunkte. Sie nehmen dem User / den Zuschauern bewusst die Angst vor neuen, ihm unbekannten Welten. Diese Identifikationsmomente oder Projektionsflächen haben die Funktion von Startrampen. Sie sind die offenen Türen dazu, den eigenen Alltag hinter sich zu lassen oder über sich hinaus zu wachsen. Gutes Entertainment baut diese Rampen, indem es durch dramaturgische Mittel wie Überraschung, Kontraste oder Verzögerung, um nur einige davon zu nennen, Spannung aufbaut. Oder indem der Nutzer ihm angebotenen Identifikationspunkte („Ich erkenne mich in dieser Filmfigur wieder!“, oder: „Dieses Spiel kann auch ich gewinnen!“) annimmt. Beides, Dramaturgie und Identifikation, sind bewährte Werkzeuge erfolgreicher Unterhaltung. Sie werden darum oft schon im Rahmen der strategischen Produktplanung festgelegt und sind in der Praxis meist in kombinierter Form zu finden.

  • Immersion bis zum Selbstvergessen:

    Wer auf das Angebot, neue Abenteuer und Welten zu erleben und sich selbst in gewisser Hinsicht zu vergessen, eingeht (nichts anderes ist Eskapismus), tritt in das Stadium der Immersion ein. Immersiv ist Unterhaltung dann, wenn in sie eintaucht. Die Forschung unterscheidet dabei vier Stufen der Intensität6. In der ersten Stufe bleibt der Zuschauer oder Spieler das wahre, eigene Ich. In Stufe 4 geht die eigene Persönlichkeit im Unterhaltungsangebot auf. Sie verschmilzt nicht nur (Stufen 2 und 3) in unterschiedlichem Umfang mit einer Schauspielerin oder einer neuen Identität, sondern sie geht komplett darin auf. Stufe 4 ist der heilige Gral aller industriellen Unterhaltungsproduzenten. Einher geht mit dieser radikalsten aller Stufen der Immersion bei Angeboten wie Amazonia Casinos und der damit verbundenen Suchtgefahr, eine erhöhte moralische Verantwortung.

  • Multiplikation = Stimulation durch Repetition:

    Streaming-Anbieter wie Netflix, Sky oder HBO betrachten – ebenso wie die Marvel Studios oder die Anbieter von Games – ihre zukünftigen Unterhaltungsprodukte schon auf Stufe Serienkonzept, Drehbuch oder Lastenheft für Programmierer und Webdesigner als integraler Teil einer holistischen Erlebniswelt, die im Erfolgsfall erweitert und multipliziert wird. Gutes Entertainment profitiert davon, dass der Mensch im Leben wie in der Unterhaltung Orientierung sucht. Serien und Sequels stimulieren den Zuschauer mit dem Versprechen, selbst einen immer größeren Teil der gezeigten Welt zu kennen und zu werden. Interaktive Online-Spiele, umgekehrt, stimulieren den User zusätzlich noch dadurch, dass nichts endgültig ist. Jederzeit lässt es sich an den Startpunkt eines Levels zurückgehen und sein Glück nochmals neu versuchen, oder auf die Probe stellen.

  • Das Hoffnungsversprechen:

    Gute Unterhaltung ist immer ein Hoffnungsversprechen an den User, Zuschauer oder Zuhörer. Ob mit dem Ansinnen, stimuliert durch Amazonien, einen schönen Gewinn zu erzielen oder sich zur Entspannung von der Story über ein süßes Äffchen im brasilianischen Urwald aus dem Alltagstrott herausreißen zu lassen, oder um aus einem fiktiven Epos wie „Game of Thrones“ über den Voyeurismus hinaus tiefere Erkenntnisse über den Mechanismus hinter dem Aufstieg und Fall der Reichen und Schönen zu ziehen: Entertainment und Hoffnungsversprechen sind Zwillinge, die immer Hand in Hand gehen.

Wer nichts hofft, keine Erwartung gegenüber niemanden hegt, wer von nichts heimlich träumt und mit der Welt abgeschlossen hat oder wie ein Einsiedler lebt, gehört eher nicht zur Kernzielgruppe der Produzenten guter Unterhaltung – wird aber dennoch und gegen alle eigenen Erwartungen im Unterhaltungsangebot einen passenden Spiegel finden, der Begeisterung auslöst.

Denn in seiner unglaublichen Vielfalt und der Kraft, immer wieder zu überraschen liegt die wahre, tiefere Kraft des Entertainments seit jeher: Es vermag viel mehr Ketten zu sprengen, als man denkt!7

Im Interesse der Lesbarkeit wird von der Autorin in diesem Artikel bei Personenbezeichnungen und personenbezogenen Hauptwörtern die männliche Form verwendet. Entsprechende Begriffe gelten im Sinne der Gleichbehandlung grundsätzlich für alle Geschlechter.

Quellen: 1 Hollywood Reporter, 20. August 2022; 2 Statista, Dokument 261264; 3, Statista, Dokument 270728; 4 Sven Walter, Mentale Verursachung, 2006, mentis Verlag GmbH; 5 W. Diefenthal, Geschichte Kubas, 20.05.2022; 6 Bewertung der aktiven Immersion durch Richard A. Bartle; 7 ausgesuchte Filme und Filmszenen werden zunehmend auch für psychologische Therapien erfolgreich eingesetzt.

Die Verfasserin dieses Artikels arbeitet aktuell als Autorin an einem Fachbuch über die Mechanik der Verführung im Entertainment. Dieser Beitrag skizziert schon heute einige wenige der Inhalte und Erkenntnisse aus dem zukünftigen Buch in abgekürzter Form exklusiv für Filmpuls-Leser:innen.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 08.11.2022

Carrie Duvan 19 Artikel
Carrie Duvan hat am Aufbau einer Social Media Plattform mitgearbeitet und war Chief Web Officer (CWO) für ein internationales Agenturnetzwerk. Carrie ist glücklich ❤️ verheiratet und Mutter.

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