Das Set-Design kann einen Film in wenigen Sekunden prägen. Man denke an die bewusst maskulin gestaltete Filmarchitektur in „The Power of the Dog“ oder das minimalistisch-kubistische Szenenbild in der Serie „The Squid Game“. Dennoch steht dieser enorm wichtige Bereich der Filmgestaltung vor enormen Herausforderungen.
Filme und Serien benötigen die großartige und visuell hochwertige Drehorte. Dieses Bedürfnis und damit dasjenige nach Filmarchitektur bleibt auch in Zukunft bestehen. Die Art und Weise, wie diese Szenenbilder entstehen, ist beim Set-Design aber bereits heute einem ebenso radikalen wie anspruchsvollen Wandel unterworfen.
Filmarchitektur und nachhaltiges Wirtschaften
Nebst den künstlerischen Anforderungen an die Filmarchitektur galten über Jahrzehnte für das Szenenbild nur zwei Bedingungen: maximale visuelle Wirkung zu möglichst tiefen Kosten. Und selbst wenn, wofür die Bondfilm-Reihe bekannt und berühmt ist, ein Budget zur Disposition stand, für das ein Autorenfilmer einen ganzen Film drehen kann: Umwelt und Nachhaltigkeit waren nie ein Thema.
Da passiert was: Green Shooting und Green Production bei TV, Film und Video
Wir haben keinen Planeten B! Diese Tatsache rückt auch in der Film- und Fernsehindustrie immer stärker in den Fokus. Diverse Initiativen und Bemühungen von Produzenten, Verbänden, TV-Anstalten und Filmschaffenden bemühen sich aktiv darum, Wege zu erarbeiten und aufzuzeigen, wie TV-Formate und Filme nachhaltig hergestellt werden können.
In der TV-Landschaft hat dazu bereits 2015 das ZDF ein Gütesiegel für nachhaltige Dreharbeiten etabliert. Im Rahmen einer deutschlandweiten Initiative für nachhaltiges Produzieren wurde ein Arbeitskreises „Green Shooting“, in dem neben öffentlich-rechtlichen Sendern auch diverse Förderer, Produzenten und Verbände vertreten sind. Ziel ist die Einführung eines nationalen Drehpasses zur einheitlichen, bundesweiten Zertifizierung von ökologisch nachhaltig produzierten Film- und Fernsehproduktionen.
Mit der Initiative „Sauber gedreht!“ hat die Seven.One Entertainment Group (ProSieben / SAT1) einen umfassenden Maßnahmenkatalog mit 14 Ziele für ökologisch nachhaltige Fernseh- und Filmproduktionen formuliert. Darin bekommen Produktionsunternehmen konkrete Handlungsempfehlungen an die Hand, um CO₂-Emissionen zu reduzieren und Ressourcen zu schonen.
In Deutschland arbeiten Werbefilmproduzenten an einer Methodik für umweltfreundliches Produzieren, ebenso wie der Schweizer Verband für Auftragsfilme.
Bevor ökologischer Fußabdruck und Karbonisierung ins Bewusstsein einer breiten Öffentlichkeit rückte, war das Set-Design – man kann es rückblickend leider nicht anders sagen – eine gnadenlose Dreckschleuder. Für ein Szenenbild kurz 10.000 m³ Styropor für eine künstliche Felswand in einem Filmset, in dem für 4 Stunden gedreht wird, verbauen? Warum nicht? Das Baumaterial anschließend wiederverwenden? Zu kompliziert und aufwendig – zumal auch die Kosten für die Entsorgung als Betriebsmüll schließlich in der Kalkulation enthalten sind.1
Fakt ist: Eine Stunde Filmproduktion erzeugt im Schnitt 5,8 Tonnen CO₂, was dem Jahresverbrauch eines EU-Bürgers entspricht. Bei den großen Blockbustern in den USA liegt dieser Wert zwischen zwölf und fünfzehn Tonnen CO₂. Wissenschaftlichen Berechnungen zufolge bringt eine einzige Tonne CO₂ rund drei Quadratmeter Eis in der Arktis zum Schmelzen.2
Es ist richtig und wichtig, dass mit dem Prinzip des Green Shootings mit aller Kraft dafür gekämpft wird, Filme umweltfreundlich und nachhaltig zu produzieren und darum auch Szenenbilder ökologischer zu bauen. Sogar beim Werbefilm. Für die Filmarchitektur bedeutet dies: ein radikales Umdenken. Was verbaut wird, muss nicht mehr nur gut aussehen. Sondern möglichst auch dem Netto-Null-Prinzip folgen. Diesen Anspruch könne viele Materialien und klassische Konstruktionsprinzipien nicht erfüllen.
Als Folge davon rückt die virtuelle Produktion nochmals verstärkt in den Fokus der Filmarchitektur. Wo das Set-Design in 3D programmiert statt physisch on Location gebaut ist, gibt es nichts zu rezyklieren und muss weder über Kreislaufwirtschaft diskutiert werden, noch ein Shitstorm der Klimajugend befürchtet werden.
Virtual Production und Set-Design
Gegen die neuen Möglichkeiten, welche virtuelle Produktionswege eröffnen, muten der klassische Austausch von Hintergrundbildern mit Greenscreen und Chroma Key an wie ein Verfahren aus der Steinzeit.
Vor drei Jahren hat Hollywood verstärkt damit begonnen, nicht mehr nur beim Set-Design für Realdrehs auf neue Produktionswege zu setzen: die virtuelle Filmproduktion. Auch europäische Filmschulen bilden ihren Nachwuchs bereits auf Basis dieser bahnbrechenden Technologie aus. Die Kamera wird dazu mit einem Sensor-System an die 3D-Räumlichkeit gekoppelt. Dank dem Rendering der computergenerierten Filmkulisse in Echtzeit verändern sich Blickfeld, Perspektiven und Räumlichkeiten synchron mit den Kamerabewegungen. Nur die Schauspieler, die dank LED-Panel die digitale Filmarchitektur – anders, als bei Greenscreen – um sich herum sehen können, sind (vorderhand) noch echt. Solcherweise generierte Szenenbilder sind schon heute nicht mehr von realen Aufnahmen unterscheidbar.
Das Set-Design verliert mit der virtuellen Produktion seine physische Komponente. Und gewinnt die Möglichkeit, dass in Zukunft die Filmarchitektur alles visualisieren kann, was die menschliche Kreativität und Vorstellungskraft für ein Szenenbild zulassen.
Quellen: 1 Dreharbeiten unter Leitung des Schreibenden in den Bavaria Studios, München, 1999; 2 www.werbefilmproduzenten.de/green-production
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 01.06.2022
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