Katharina Rietz: »Damit das Publikum andockt, müssen unsere Figuren glaubwürdig sein!«

Moritz Brenner (Johannes Hendrik Langer), Ina Zimmermann (Melanie Marschke), Jan Maybach (Marco Girnth), Kim Nowak (Amy Mußul)
V.l.n.r.: Moritz Brenner (Johannes Hendrik Langer), Ina Zimmermann (Melanie Marschke), Jan Maybach (Marco Girnth), Kim Nowak (Amy Mußul) | © ZDF/Sandra Ludewig

Am 9. September startet SOKO Leipzig mit Staffel 23 im ZDF. Die von der UFA Fiction produzierte Primetime-Serie ist ein Phänomen, das seinesgleichen sucht: mit Traumquoten schafft es die Kriminalserie mit Hauptkommissarin Ina Zimmermann (Melanie Marschke) und ihrem Team immer wieder, neue Maßstäbe zu setzen, auch nach mehr als 450 Folgen. Produzentin Katharina Rietz erklärt im Interview, wie das möglich ist und was der Erfolg für ihre Tätigkeit und ihr Team bedeutet.

Wer wie bei der SOKO Leipzig eine Erfolgsserie produziert, steht einer ganz besonderen Herausforderung gegenüber: einerseits möchte der Zuschauer sich in seiner lieb gewonnenen Serienwelt wiederfinden. Andererseits muss er auch immer wieder überrascht werden. Wie gelingt diese Balance? Katharina Rietz produziert zusammen mit Henriette Lippold SOKO Leipzig. Im Interview erlaubt sie Filmpuls einen exklusiven Blick hinter die Kulissen der Erfolgsserie.

Filmpuls:Als Produzentin wirst du sicherlich konstant gefragt, was ihr tut, damit die SOKO Leipzig eine so treue und stabile Zuschauerschaft halten kann. Ich möchte die Frage umkehren: Was ist es, das ihr nicht tut, damit ihr Erfolg habt?

Katharina Rietz:Was wir nicht tun? (überlegt). Gute Frage. Also, was wir tatsächlich nicht tun, ist, die Serie in zu enge Formatvorgaben zu pressen, im Sinne von: Regie und Kamera beispielsweise vorzugeben, wie eine Folge am Ende auszusehen hat, oder den Autor:innen, welche Geschichte wie erzählt werden soll. Es gibt auch kein starres Regelwerk darüber, wie geleuchtet wird, was in Kostüm und Maske erlaubt ist, wie hoch die Schnittfrequenz sein darf usw.

Freitag, 09. Sep. im ZDF | 21:15
Immer freitags im TV und eine Woche vorab in der ZDF-Mediathek klärt das Team der SOKO Leipzig spannende Fälle in der sächsischen Metropole.

Außerdem gibt es ein paar inhaltliche Prämissen und Grenzen. Ein Verbrechen sollte zum Beispiel nicht nur zum Selbstzweck erzählt werden, weil es so schön gruselig oder spannend ist, sondern es dient zum Anlass für eine Geschichte über Opfer und Täter. Und bei streitbaren oder heiklen Themen wollen wir nicht bewerten, sondern verschiedene Blickwinkel aufzeigen, beispielsweise in dem unsere Ermittler-Figuren unterschiedliche Haltungen zu einer Sache haben. Und was wir auch nicht tun, ist uns von Trends allzu zu sehr beeinflussen zu lassen und dann etwas zu kopieren, was in einer anderen Serie vielleicht gerade gut ankommt. SOKO Leipzig hat einen starken inneren eigenen Kern.

Dynamik in der Stoffentwicklung und in der Produktion sind der Schlüssel für erfolgreiche Serienformate.

Katharina Rietz

Das bedeutet im Umkehrschluss: Wir lassen unseren Autor:innen, Regisseur:innen und dem gesamten kreativen Team einen relativ großen Spielraum und viel Freiheit. Dadurch sehen die Folgen nicht nur unterschiedlich aus. Sie sind auch richtig gut. Ich bin überzeugt, dass die Kolleg:innen es deswegen auch schaffen, so qualitativ hochwertig zu arbeiten, weil sie diesen Freiraum haben, weil sie ihre eigenen Handschriften zeigen können und weil so eine Leidenschaft beim Arbeiten entsteht, die dann letztendlich auch die Zuschauer:innen spüren.

Filmpuls:Bist du überhaupt am Set anzutreffen?

Katharina Rietz:Nur wenn es große Probleme gibt. Oder um den Kolleg:innen Hallo zu sagen, zu hören, wie es dem Team geht. Aber nie, um zu kontrollieren, was da gemacht wird oder um irgendetwas zu überprüfen. Das würde ich auch gar nicht schaffen, bei den über 25 Folgen pro Jahr, die wir hier produzieren.

© Foto: UFA Fiction
Katharina-Rietz UFA Fiction Produzentin

Katharina Rietz studierte Germanistik, Theater- und Medienwissenschaften in Leipzig und Kopenhagen. Bereits während des Studiums sammelte sie erste Berufserfahrungen als Producer- und Regieassistentin. Ab 2002 entwickelte und betreute sie als Producerin und Produzentin zahlreiche Kinder- und Jugendformate (u. a. Der kleine König Macius, KI.KA Krimi, Endlich Samstag, Schloss Einstein).

Seit 2015 ist sie bei der UFA Fiction GmbH tätig und verantwortet als Produzentin die Krimiserie „SOKOLeipzig“ sowie die Entwicklung weiterer Stoffe und Formate für die Niederlassung Leipzig.

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Filmpuls:Wäre die SOKO Leipzig auch erfolgreich, wenn das Team dahinter und die Darsteller nicht aus Leipzig, sondern, sagen wir mal, aus Stuttgart, kämen?

Katharina Rietz:Ich bin immer vorsichtig zu sagen, man kann nur genau das erzählen, was man selbst kennt. Aber klar, der eigene Bezug zu etwas hat durchaus Vorteile. Man ist authentischer. Und für unser Format macht es durchaus Sinn, dass viele von uns hier leben oder mit Leipzig verwurzelt sind. Denn die Stadt spielt inhaltlich eine große Rolle. Wir sagen oft, Leipzig ist unsere fünfte Hauptfigur im Team.

Filmpuls:Hast du eine Erklärung dafür, warum die SOKO Leipzig es schafft, ein länderübergreifendes Publikum zur Hauptsendezeit in ihren Bann zu ziehen?

Katharina Rietz:Damit das Publikum an Geschichten andockt, müssen unsere Figuren glaubwürdig sein. Das ist das A und O, und das ist nicht gerade einfach in einem Krimi-Format, in dem es jedes Mal um einen Mord oder Totschlag geht. Wir geben uns sehr viel Mühe, die persönlichen Motive für ein Verbrechen so herauszuarbeiten, dass man sie glauben kann. Man muss in die Psychologie der Figuren hineinschauen, sich in ihre Welt begeben und das Dilemma, in dem eine Figur steckt, für den:die Zuschauer:in wirklich nachvollziehbar erzählen. Wenn das gelingt, bleibt der:die Zuschauer:in auf jeden Fall dran.

Filmpuls:Demnächst werdet ihr 450 Folgen und damit Geschichten erzählt haben. Hat sich schon einmal jemand die Mühe gemacht hat, herauszufinden, wie viele Inhalte bei SOKO Leipzig seit der ersten Folge im Jahr 2001 bereits doppelt vorkommen?

Katharina Rietz:Wir arbeiten mit einem Autorenguide. In dem sind sämtliche Synopsen von allen Folgen, die wir je produziert haben, zu finden. Da kann man nachschauen, ob das Thema schon erzählt wurde.

Wie wunderbar, wenn der TV-Zuschauer über verschiedene Ansichten nachdenken darf!

Katharina Rietz

Natürlich gibt es Thematiken, die immer wieder auftauchen. Also wenn ich jetzt an die typischen Familienkonflikte denke: Die erzählen wir oft und viel und auch gerne, weil sie einfach wahnsinnig spannend sind. Aber wir schaffen es immer wieder, jeden einzelnen dieser Konflikte zu einer eigenständigen Geschichte zu machen. Es gibt wahnsinnig viele Nuancen und eine breite Palette, wie man einen Charakter aufstellen und damit ein Thema transportieren kann. Geschichten sind nie auserzählt.

Filmpuls:Wenn bei einer fiktionalen Serie ein gewisses Maß an Erfolg eintritt, fordern Darsteller:innen schnell einmal höhere Gagen und mehr Mitspracherechte. Nicht selten scheitert daran dann eine längerfristige Zusammenarbeit. Warum kann die UFA Fiction Talente wie Melanie Marschke über Jahre halten?

Katharina Rietz:Wir sind wahnsinnig nett (lacht). Sind wir nett? Ja, aber der Schlüssel ist ein anderer: Wir haben einen sehr vertrauensvollen Umgang miteinander. Und pflegen einen permanenten Austausch über Geschichten und beraten uns gegenseitig. Wo geht es mit dem Format hin? Was haben wir noch nicht erzählt? Welche Figur steht in ihrer Biografie gerade an welchem Punkt? Wir haben auch großes Glück, dass wir wirklich ein Ensemble vor der Kamera haben, das überaus leidenschaftlich für dieses Format einsteht. Die Schauspieler:innen lieben ihre Figuren und fühlen sich verantwortlich für sie. Wenn Melanie Marschke, Johannes Hendrik Langer, Marco Girnth und Amy Mußul das Gefühl haben: „Hier, guck mal, meine Figur rückt in den Hintergrund. Was habt ihr vor?“, sagen sie uns das. Und noch eins ist wichtig dabei. Wir erzählen als einziges Soko-Format auch horizontal, also mit private lines, und zwar über viele Staffeln und Jahre hinweg!

Filmpuls:Magst du diese letzten zwei Fachbegriffe ausdeutschen?

Katharina Rietz:Private Lines meint „private Handlungslinien“ und bedeutet, dass unsere Ermittler:innen auch ein Privatleben in der Serie haben. Wir wollen die Menschen hinter den Polizist:innen erzählen und damit auch von ihren persönlichen Konflikten, Haltungen, ihren eigenen Lebensgeschichten, die ihnen passieren, während sie ermitteln. Das bauen wir über mehrere Folgen hinweg als horizontale Handlungsstränge in die Episoden ein.

Damit werden unsere Hauptfiguren lebendig und greifbar. Nicht nur für die Zuschauer:innen. Auch für die Schauspieler:innen, weil Melanie Marschke, Amy Mußul, Johannes Hendrik Langer und Marco Girnth dann eben nicht einfach nur in jeder Folge da stehen und die immer gleichen Fragen stellen müssen: „Wo waren Sie zu dem und dem Zeitpunkt und gab es irgendwelche Feinde in ihrem Leben?“ So geben wir unseren Figuren ein Innenleben und schauen mit ihrer Perspektive auf einen Kriminalfall. Das zeichnet die SOKO Leipzig aus. Mit dem Hauptcast offen diskutieren zu können, ist ein Geschenk. Es ist keine Selbstverständlichkeit.

Filmpuls:Wie findet ihr bei SOKO Leipzig eigentlich die Balance zwischen Übertreibungen, Vereinfachungen, Spannung und moralischer Wahrheitspflicht gegenüber dem TV-Zuschauer?

Katharina Rietz:In 45 Minuten hast du nicht die Zeit, die Realität vollumfänglich zu erzählen. Das ist klar. Das ist, davon bin ich überzeugt, aber auch eine Verabredung mit den Zuschauer:innen. Unsere moralische Verantwortung spüren wir besonders stark, wenn wir ein streitbares oder sehr sensibles Thema haben. Dann sagen wir, okay, wir gehen da jetzt nicht einseitig ran und verurteilen diese oder jene Haltung. Sondern wir versuchen wirklich, mehrere Perspektiven einzunehmen und den Zuschauer:innen zu überlassen, ihr Urteil zu fällen, ob sie diese oder jene Haltung besser finden. Das ist manchmal nicht so einfach. Aber es ist etwas, was ich wichtig finde.

Filmpuls:Provokativ rückgefragt: das ZDF und UFA Fiction glauben an ein kluges TV-Publikum?

Katharina Rietz:Ich glaube erstmal an ein kluges Publikum generell. Und solange unsere Folgen so gut ankommen, sehe ich das auch bei der SOKO Leipzig mit Fakten bestätigt, dass wir auch mit wirklich komplexen und schwierigen Themen ein Millionen-Publikum erreichen können. Als Produzentin schlägt da privat bei mir total der Idealismus durch. Wie wunderbar, wenn die Zuschauer:innen darüber nachdenken dürfen, wie er sich zu einer Frage verhalten soll!

Filmpuls:Wenn du den Idealismus ins Spiel bringst, muss ich jetzt natürlich fragen: Magst du Zahlen?

Katharina Rietz:Natürlich mag ich Zahlen … – ich mag die 5 Millionen, die da immer in der Quote stehen (lacht). Als Produzentin muss ich Zahlen mögen! Wie viele Serienformate haben wir ein beschränktes Budget. Aber ich kann diesem sogar einen Reiz abgewinnen! Das klingt jetzt erst mal sehr ambivalent. Aber relativ oft entsteht genau aus dieser Begrenzung ein kreativer Raum, den man niemals unterschätzen sollte. Gerade wenn man weiß, dass man – ich sag jetzt mal z. B. nur eine limitierte Anzahl an Episodenfiguren in einer Folge erzählen kann, weil man ansonsten das Budget sprengt, hat man eine klare Vorgabe und kann sich in diesem Raum bewegen.

Grenzen bedeuten, Lösungen zu finden, die Kreativität erfordern. Manchmal ist es mühsam oder auch unangenehm. Aber, dass wir als Team immer wieder versuchen, kreativ damit umzugehen und eben nicht von vornherein sagen: „Das geht nicht, oder das können wir nicht machen!“ ist ein wichtiger Teil dessen, was die SOKO Leipzig auszeichnet. Oft entstehen dabei neue Ideen, auf die wir sonst gar nicht erst gekommen wären. Diese Dynamik im Produzieren und Entwickeln braucht ein Format, damit es über die Jahre hinweg lebendig bleibt und das Maximum an Qualität rausgeholt wird.

Filmpuls:Kannst du als Produzentin ein Drehbuch lesen, ohne an Zahlen zu denken?

Katharina Rietz:Das ist schwer, tatsächlich schwer, weil wir nun mal 25 Bücher im Jahr entwickeln und 170 Drehbuchtermine im Jahr zu absolvieren haben und du natürlich permanent darüber nachdenken musst, wie das alles ins Budget passt. Aber man muss die Zahlen auch nicht komplett vergessen, um über eine Geschichte nachdenken zu können.

Filmpuls:Über welche Dinge musst du als Produzentin nicht nachdenken?

Katharina Rietz:Über meine Freude auf die kommende Staffel. Zum einen, weil wir wieder sehr starke Themen in den Folgen haben und neue herausfordernde Geschichten unserer Ermittler:innen! Da bin ich als Produzentin immer wahnsinnig gespannt, wie die Zuschauer:innen darauf reagieren. Und zum anderen, weil wir dank des ZDF auch dieses Jahr wieder Doppelfolgen in Spielfilmlänge prominent im Programm platzieren durften. Unsere „90er“ sind immer Höhepunkte für unsere Zuschauer:innen, die das Format besonders wertvoll machen. Dass wir über den Jahreswechsel gleich drei davon hintereinander ausstrahlen, ist besonders schön!

Das Interview erfolgte live über eine Videoschalte ohne vorherige Zustellung der Fragen. Filmpuls war in der redaktionellen Umsetzung unabhängig.

Ein herzliches Dankeschön geht an Katarina Rietz für ihre Bereitschaft, uns trotz eng getakteter Agenda hinter die Kulissen der SOKO Leipzig blicken zu lassen. Ebenso danken wir Junior Producerin Josefine Wolf von UFA Fiction und Antonia Baewert herzlich für die Mithilfe der Koordination des Gesprächstermins. Dank geht auch an das ZDF, Stefan Patzig, für die prompte Zustellung der Pressefotos.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 08.09.2022

Kristian Widmer 14 Artikel
Kristian Widmer ist Mitglied der Schweizer Filmakademie. Der promovierte Jurist und Inhaber eines MBA der Universität St. Gallen HSG war langjähriger CEO der 1947 gegründeten und mit einem Academy Award™ ausgezeichneten Condor Films AG.

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