Kameraführung in Film und Video (Teil 4): Prinzipien und Regeln

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Die wichtigsten Regeln zur professionellen Kameraführung | © Illustration: Pavel Sokolov

Man muss nicht alles wissen. Aber es schadet auch nichts. Deshalb erklärt dieser Artikel die wichtigsten Regeln zur Kameraführung. Er zeigt, nach welchen Grundsätzen in Videos und beim Film Kamerafahrten und Schwenks eingesetzt werden, damit das Storytelling sich mit maximaler Wirkung entfalten kann.

Allgemein verbindliche Naturgesetze für die Beurteilung der Kameraführung gibt es nicht. Aber es herrscht Einigkeit darüber, welche Prinzipien und Regeln bewährt haben und wie diese bei der Filmgestaltung mithelfen, eine Story optimal zu erzählen.

Schon vorab zu jedem Filmdreh stellen sich immer dieselben drei Herausforderungen, die eng mit den Regeln der Kameraführung verknüpft sind: Warum soll die Kamera bewegt werden und mit welchem Ziel? Welche Art der Kamerabewegung führt zur Zielerfüllung? Und wie harmonieren die entstandenen Aufnahmen mit den restlichen Einstellungen der jeweiligen Filmsequenzen?

  • Warum Bewegung
  • Wie wird bewegt
  • Start / Ende

Grafik 1: die drei wichtigsten Fragen zur Kameraführung

Regeln zur Führung der Kamera

Aus erfolgreichen Filmen lässt sich ableiten, dass man drei grundlegende Prinzipien der Kameraführung – wann immer möglich – bei den Dreharbeiten kennen sollte. Diese Leitplanken beruhen einerseits auf der Psychologie. Und andererseits auf der Art und Weise, wie das Publikum einen Kinofilm wahrnimmt.

3 Prinzipien für die Arbeit mit der Filmkamera

  • Motivation der Bewegung:

    Alle durch die Handlung eines Films oder einer Serie dramaturgisch motivierten Bewegungen in einem Film sind berechtigt, weil sie das Storytelling verbessern.

  • Auslöser der Bewegung:

    Bewegungen beim Führen der Kamera, die durch ein sich bewegendes Element vor der Kameralinse ausgelöst werden, ergeben nahezu in jeder Situationen einen Sinn.

  • Stellvertreter-Funktion:

    Die Kamera darf sich stellvertretend für das Auge des Zuschauers immer um ein Objekt im Film herumbewegen.

Diesen drei grundlegenden Prinzipien ordnen sich zur Ergänzung acht Regeln zur Kameraführung unter. Sie werden nachfolgend erklärt:

8 Regeln für die Kameraführung

  • „Um die Ecke denken“:

    Nicht nur am Bahnhof und in der Continuity gibt es Anschlüsse.  Auf dem Filmset gedrehte Einstellungen müssen sich später im Editing zu einer Szene zusammenfinden. Das erfordert Vorausdenken und Vorstellungskraft. Wer das erste Mal bei einem Film oder einem Video Regie führt, stellt fest, dass die Planung einer sequenziellen Abfolge von Bildern einiges an Übung und noch mehr an Know-how erfordert.

  • Raumgefühl und Authentizität:

    Kamerafahrten erhöhen das Raumgefühl des Zuschauers. Sie verschaffen dem Kinopublikum auch ohne 3D-Aufnahmetechnik den Eindruck, sich in einem dreidimensionalen Raum zu befinden.

  • Lenken des Zuschauers:

    Kameraschwenk und Kamerafahrten führen, leiten und begleiten den Blick des Zuschauers. Die Kameraführung ist mit dem Entscheid über die Perspektive, unter anderem durch die Wahl der Brennweite, vergleichbar: Schwenks und Fahrten enthüllen neue Inhalte oder behalten ihm Inhalte vor.

  • Subjektive Wahrnehmung:

    Eine professionelle Kameraführung versucht, die subjektive Wahrnehmung des Publikums im Sinne der Handlung zu leiten, zu bestätigen oder zu täuschen. Bewegungen erschrecken oder überraschen den Betrachter, unterstützt durch schnelle Schnitte in der Montage. Oder sie geben dem Betrachter als rhythmisches Element den Takt für sein Erlebnis vor.

  • Bewegungen haben Folgen:

    Kamerabewegungen ziehen immer drei Konsequenzen mit sich: Die Dauer einer Einstellung erhöht sich durch die Kamerabewegung. Das Tempo der Handlung verlangsamt sich. Bildkomposition ist schwieriger.

  • Achsensprünge und Blickachsen:

    Sprünge über die Kameraachse und räumliche Verwirrung verhindern das Eintauchen des Kinopublikums in die Filmstory. Ein gutes Storyboard hilft bei der Planung, erleichtert die Dreharbeiten und verhindert Fehler, die erst in der Nachproduktion bei der Bildbearbeitung bemerkt werden.

  • 30-Grad Regel:

    Filme und Videos lassen sich am einfachsten montieren, wenn bei gleichbleibendem Sujet und Veränderung der Kameraposition der Blickwinkel um mindestens 30-Grad verändert wird.

  • Emotionale Bindung:

    Französische Autorenfilmer wie Regisseur François Truffaut waren überzeugt, dass die Kameraführung als „Technik des Begleitens“ einzig dazu dienen darf, die emotionale Bindung zu einem sich im Bild bewegenden Darsteller aufrechtzuerhalten. Nur dazu darf die Kamera nach dieser Meinung bewegt werden.

Wie in jeder Kunstform darf man auch beim Film die vorherrschenden Prinzipien und Regeln brechen. Aber bitte nur, wenn dieser Bruch mit Absicht und damit aus gutem Grund im Interesse der Story erfolgt, und damit der angestrebten Film-Wirkung dient.

Wirkungs-Äquivalenz

Professionelle Kameraleute folgen dem Grundsatz der Wirkungs-Äquivalenz. Die Kamera übersetzt das aus Wörtern bestehende Drehbuch in bewegte Bilder.

Mit der Kreation von zur Sprache gleichwertigen Filmbilder erfolgt eine Übersetzungsleistung. Dies erfordertes Wissen, Talent und Erfahrung.

Story, Story und Story

Im Interview mit Filmpuls antwortet Adrian Teijido, der als Kameramann für Netflix die global erfolgreiche Serie „Narcos“ gedreht hat, auf die Frage nach seinem Erfolgsrezept:

»Als Kameramann hast du eine Mitverantwortung, wenn es um das Storytelling geht. Es gehört zu unserem Beruf, dass wir uns tief in die Geschichte eindenken und den Regisseur schon bei der Konzeption der visuellen Umsetzung unterstützen. Zuerst kommt das konzeptuelle Denken. Dann erst die filmtechnischen Überlegungen.«

Fazit zur Kameraführung

Das musst du über Kameraführung wissen

  • Die Kameraführung wird vom Kameramann in Absprache mit dem Regisseur festgelegt.
  • Jede Bewegung der Aufnahmeeinheit zieht Konsequenzen mit sich. Erstens, mit Bezug auf die inhaltliche Wahrnehmung. Zweitens, weil sie die Ansprüche an die Inszenierung ändert.
  • Positionsveränderungen erhöhen das Gefühl der Lebensnähe und damit die Authentizität einer Filmaufnahme. Darum bewegt sich das Bild in Hollywoodfilmen nahezu ohne Ausnahme in jeder einzelnen Einstellung.
  • Zum Führen einer Filmkamera und zur Wahl der durch die Filmsprache verfügbaren Gestaltungsmittel kann man sich an 3 Prinzipien und 8 Regeln orientieren.

Mehr zur Filmgestaltung

Artikel-Serie Filmsprache:
  • Teil 1 der Beitragsreihe über professionelle Kameraarbeit enthält als Einführung grundsätzliche Informationen zu Kategorien und Arten von Kamerabewegungen und Erläuterungen zum korrekten Einsatz dieses Instruments.
  • Teil 2 der Serie beschäftigt sich ausschließlich mit Informationen und Details zum Schwenken der Filmkamera.
  • Teil 3 erklärt als Beitrag die Besonderheiten und Unterschiede bei der Anwendung von Kamerafahrten in Film und Video.
  • Teil 4 – der vorliegende Artikel – zeigt auf, nach welchen grundsätzlichen Regeln die Kameraführung als Teil der Filmsprache erfolgen sollte.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 28.06.2016

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