Die Kamera ist für den Kameramann, was der Pinsel für den Maler ist. Ihre Bewegung, die Art der Veränderung des Blickfelds und das damit verbundene Tempo bewirken eine entscheidende Prägung des Films. Dieser Artikel erklärt, wie der Kameraschwenk als Mittel einer Filmerzählung optimal eingesetzt wird.
In den Gründerjahren des Kinos fanden Bewegungen immer vor der Kameralinse statt. Die klobigen Kameras ruhten stabil und unbeweglich auf dem Stativ, während davor die Darsteller durch die Szenen hüpften, purzelten und sprangen. Erst schrittweise entwickelte sich das Vokabular der Filmsprache, und damit auch das Wissen, was ein Kameraschwenk leisten kann.
Der Kameraschwenk
Veränderungen des Sichtfeldes der Kamera um ihre Horizontalachse oder um ihre Vertikalachse werden beim Film als Kameraschwenk bezeichnet. Technisch gibt es zur Ausführung von vertikalen oder horizontalen Bewegungen eine Vielzahl hoch spezialisierter Gerätschaften. Ein Sonderfall ist der Dutch Head, eine Vorrichtung, welche das Neigen der Kamera um ihre Längsachse und damit auch das Kippen der Horizontlinie ermöglicht.
Kameraschwenks sind auch mit Handkameras möglich. Im Zeitalter der Videoaufnahmen mit Smartphones sind Veränderung des Bildausschnitts alltäglich geworden. Damit einher geht leider eine Verwilderung und Verflachung der Filmsprache. Kaum ein User bewegt sein Aufnahmegerät mit dem Wissen, was damit möglich wäre!
Die Möglichkeit, zu schwenken, ist gleichermaßen wichtig wie die Bildbeleuchtung und die Möglichkeit, die Perspektive zu beeinflussen, um damit die subjektive Wahrnehmung des Kinopublikums zumindest in einem gewissen Maß kontrollieren zu können.
Gründe für einen Kameraschwenk
Wie bei jeder Blickfeldveränderung der Kamera stellen sich vorab immer eine Frage zum Beweggrund und zwei Fragen zur Umsetzung des Kameraschwenks:
- Warum Bewegung
- Wie wird bewegt
- Start / Ende
Grafik 1: drei Fragen bestimmen die Bewegung der Kameraeinheit um die horizontale oder vertikale Achse
Jede Veränderung der Kameraposition oder des Kamerablickwinkels innerhalb einer Einstellung bedarf einer Motivation, damit sie das Storytelling unterstützt.
Zugleich muss sichergestellt werden, dass die Aufnahme sich später im Schnitt in eine Bildsequenz einfügen lässt. Möglich ist dies nur, wenn der Einstiegspunkt (Start der Bewegung) und der Ausstieg (Bewegungsende) auf die vorgehenden oder anschließenden Einstellungen abgestimmt sind.
Ein Kameraschwenk kann aus 6 Gründen erfolgen:
Orientierung:
Das Schwenken der Kamera verschafft einen Überblick innerhalb einer Szene. So, als ob der Kinozuschauer, motiviert von seinem Interesse, sich selbst im Filmset umdrehen und seinen Blick steuern könnte.
Blickführung:
Der Kameraschwenk führt den Blick der Zuschauer auf bestimmte Bildinhalte, die für die Handlung oder den Ablauf der Erzählweise entscheidend sind.
Spannungserzeugung:
Bewusstes Ausschließen von stattfindenden Handlungen oder Objekten aus dem Blickfeld des Zuschauers kann mit horizontalen oder vertikalen geschwenktem Blickfeld erfolgen. Was mit dem Wissen des Betrachters aus dramaturgischen Gründen im Off stattfindet, steigert die Spannung.
Kontinuität:
Das Schwenken erlaubt die Verfolgung bewegter Objekte. Das Auge wird damit in die Lage versetzt, einer Bewegung vor der Kamera folgen zu können.
Harmonischer Übergang:
Organische Überleitung zweier Einstellungen durch Schnitt.
Harter Übergang:
Die Bewegung bedient einen harten Schnitt in Form einer Wischblende, ermöglicht durch einen Reißschwenk.
Rhythmus:
Die Kameraführung gibt mit ihren Blickfeldveränderungen den Takt vor, wobei Bewegung und Schwenkgeschwindigkeit als Teilelement eines größeren, dramaturgischen Konzepts für das Storytelling erfolgen.
Befinden sich die Bildelemente zweier aufeinander folgender Elemente im Fluss, müssen diese bei einem Kameraschwenk besonders sorgfältig aufeinander abgestimmt sein.
Kameraschwenk ab Kran | © filmpuls.info
Die wichtigsten Regeln für den Kameraschwenk
Übergänge sicherstellen:
Der Bewegungsrhythmus der Bildelemente muss nicht nur untereinander, sondern auch in der Kombination mit dem Kameraschwenk so gestaltet sein, dass die Übergänge ineinanderfließen können. Häufiger als man es denken möchte, können vertikale oder horizontale Kamerabewegungen mangels Koordination nicht wie geplant in Sequenzen eingeschnitten werden.
Sehgewohnheiten beachten:
Ob ein Schwenk vom Zuschauer, verbunden mit der Filmhandlung, als natürlich wahrgenommen wird, hängt nicht nur von der Art der Kamerabewegung ab, sondern auch von der Sehgewohnheit des Publikums. Wer mit Musikvideos erwachsen geworden ist, beurteilt einen Schwenk anders als Gruppen, deren Medienverhalten durch YouTube geprägt wurde oder als Generationen, die französische Autorenfilme als Referenzsystem betrachten.
Kulturell erlernte Deutungsrahmen:
Liest das Publikum statt von links nach rechts von rechts nach links, gilt ein Kameraschwenk im Uhrzeigersinn als besonders und außergewöhnlich. In Kulturen, in denen von links nach rechts gelesen wird, gilt ein Verfolgen gegen den Uhrzeigersinn als Besonderheit und um Aufmerksamkeit heischend.
Geschwindigkeit:
Je größer die Brennweite oder kleiner der Aufnahmewinkel, desto ruhiger bewegt sich die Kamera einer professionellen Faustregel zufolge.
Nach Inhalt und Wirkung kann man unterschiedliche Arten von Kameraschwenks unterscheiden. Da jede Art des Kameraschwenks sowohl horizontal oder vertikal erfolgen kann, oder als Kombination von beidem, wird bei der nachfolgenden Typologie nicht noch zusätzlich zwischen Horizontal-Schwenk und Vertikal-Schwenk differenziert.
Langsamer Schwenk
Der langsame Kameraschwenk erlaubt es, Veränderungen wahrzunehmen und genau hinzusehen. Er nimmt dem Zuschauer das Gefühl für den realen Ablauf der Zeit. Dadurch erzeugt er eine entsprechende Stimmung.
Die bekannteste Art des langsamen Schwenks ist das Panorama. Hier gleitet die Kamera langsam über eine stimmungsvolle Landschaft. Dramaturgisch betrachtet ist dieser meist auch verzögernd: Der langsame Schwenk bremst die vom Zuschauer mit Spannung erwartete Fortsetzung der Handlung. Darum darf dieses Mitteln nicht beliebig eingesetzt werden.
Schneller Schwenk
Der schnelle Kameraschwenk löst durch seine Geschwindigkeit Überraschung aus. Er besitzt auch darum eine hohe dramaturgische Wichtigkeit für die Montage. Plötzliche Reaktionen des Protagonisten oder Antagonisten – oder die Konfrontation von Widersprüchen, dramatische Dialogstellen oder plötzliche Wendungen in der Handlung eines Films oder Videos – sind typische Anwendungsfälle für schnelle Seitenbewegungen.
Rasche Blickfeldveränderungen der Kamera müssen noch stärker als langsame inhaltlich motiviert sein.
Schnelles Schwenken der Kamera ohne nachvollziehbare Motivation kann bewusst dazu eingesetzt werden, um beim Zuschauer Desorientierung hervorzurufen. Diese muss später aber zwingend aufgelöst werden.
Suchender Schwenk
Der suchende Kameraschwenk tastet sich an etwas heran. Er sucht, er wählt aus, er informiert. Größtenteils verfolgt er dabei bewegende Objekte: Menschen, Tiere, aber auch Autos oder Flugzeuge. Die Geschwindigkeit der Kamerabewegung hängt hier immer von der Bewegung des Objekts ab, das von der Kamera begleitet wird.
Der suchende Schwenk kann auch eingesetzt werden, ohne dass er einem Objekt in einer Einstellung folgt. Dann die Ausführung umso sorgfältiger anzugehen.
Reißschwenk
Der Reißschwenk gehört zu den spektakuläreren Anwendungsarten des Kameraschwenks. Er entsteht durch eine plötzliche, unerwartete Blickfeldveränderung der Kamera. Diese beschleunigt dabei dermaßen abrupt, dass im Bild keine Details mehr wahrnehmbar sind.
Darum dieser Typus auch als eine in der Kamera erzeugte „Wischblende“ bezeichnet. Er ist für den Zuschauer ein Aufruf zur erhöhten Aufmerksamkeit. Aus einem Reißschwenk kann immer hart und direkt auf das nächste Bild geschnitten werden, ohne dass der Bildinhalt der Folgeeinstellung den Schnitt stört.
Panoramaschwenk
Beim Panoramaschwenk ist der Name Programm: Die Kamera bewegt sich bei dieser Art der Kamerabewegung in langsamem Tempo seitwärts entlang der Horizontlinie. Gewöhnlich wird dabei eine Totale oder Halbtotale eingesetzt. Das gleichzeitige Heranzoomen am Ende oder der Zoom rückwärts am Ende eines Panorama – dieser Effekt ist vorwiegend in TV-Produktionen zu sehen – ist die Ausnahme. Er sollte nur dann erfolgen, wenn er inhaltlich motiviert ist.
Das Abschwenken eines Panoramas stellt besondere Herausforderungen an Kameraperson und Stativ. Panoramaschwenks, die nicht absolut gleichmäßig und ruhig ausgeführt werden, irritieren den Zuschauer. Bei Hollywood-Produktionen wird darum, abhängig von der Brennweite, die Seitwärtsbewegung der Filmkamera durch vorprogrammierte Präzisionsmotoren (Motion Cam) ausgeführt.
Situativer Schwenk
Ein situativer Schwenk ist eine Kamerabewegung, die nicht vorab zu ihrer Ausführung geplant ist. Sie entstehen aus der Situation vor der Kamera heraus. Entweder, weil die Regie den Schauspielern großen Freiraum lässt und die Kamera sich an die Improvisation spontan anpassen muss, oder weil es sich um einen Dokumentarfilm handelt.
Situative Kameraführung stellt höchste Ansprüche an die Kameraführung. Denn sie sind nicht – wie oftmals fälschlicherweise verstanden – ein bloßes, spontanes Abfilmen von dem, was vor der Kamera geschieht. Professionelle Kameraleute setzen die Gestaltung einer situativen Kamerabewegung in den Kontext des Aussagewunsches der jeweiligen Szene und gestalten damit das Filmwerk auch bei dieser Spielart der bewegten Kamera bewusst mit der Kameraführung mit. Möglich ist dies nur, wenn die möglichen Ereignisse vor der Kamera antizipiert werden, was ein Maximum an Erfahrung, Talent und Professionalität voraussetzt.
Störfaktor Shutter-Effekt (Stroboskop)
Eine wichtige Gemeinsamkeit, die alle Arten des Kameraschwenks verbindet, ist der Shutter-Effekt (deutsch: Stroboskop). Dieser entsteht, wenn sich die Frequenzen einer Bewegung und von Film- oder Videobildern überschneiden. Dies ist zwingend zu vermeiden, denn dadurch entsteht ein störendes Bildflimmern, das die Aufnahme unbrauchbar macht.
Abhängig von der Bildauflösung und dem Tempo der Schwenkbewegung können je nach Aufnahmeverfahren auch senkrechte Linien im Bild schwere Störungen hervorrufen, die eine spätere Verwendung des Drehmaterials verunmöglichen.
Schwenkt in alle Richtungen: der Dutch Head | © Fábio Guerra / YouTube
Auswirkung auf die Dreharbeiten
Zeit auf dem Filmset ist ein wertvolles Gut. Die Arbeit mit Kameraschwenks bei den Dreharbeiten hat nicht nur Auswirkungen auf das Storytelling. Auch Termine und Filmbudget werden davon berührt.
Auswirkungen auf den Produktionsprozess beim Einsatz von Schwenks
Einrichtung des Filmbilds:
Jedes Mal, wenn die Aufnahmeeinheit für eine Einstellung neu positioniert (aufgestellt) werden muss, zieht das für den Ablauf auf dem Filmset eine ganze Reihe von Folgen mit sich. Das Filmbild muss neu eingerichtet werden, die Position der Darsteller überprüft und das Licht neu gesetzt werden. Stative, Scheinwerfer und Kabel müssen zwischen den Aufnahmen neu positioniert werden. Mit einem Schwenk erübrigt sich die Neuposition der Kamera. Zwei oder mehr Einzeleinstellungen können damit kombiniert und in einem Arbeitsvorgang abgedreht werden.
Brennweite und Objektive:
Durch den klassischen Positionswechsel der Kamera beim Drehen einer Szene ändert sich, wie beim Schwenk, der Blickwinkel. Doch dabei dreht sich die Kamera nicht um die eigene Achse, sondern sie ändert ihren Standort, was einen Wechsel der Brennweite oder Objektive erfordert. Das benötigt Zeit. Nicht so beim Schwenken, was den Ablauf der Dreharbeiten spürbar beschleunigen kann.
Koordination der Handlungsabläufe:
Der Kameraschwenk verbindet, was sonst in unterschiedlichen Einstellungen stückweise aufgezeichnet wird. Damit fasst er die Inhalte mehrerer Aufnahmen in einer Sequenz zusammen. Schauspieler müssen die Emotionen über eine längere Spieldistanz halten. Das Kamerateam muss die Aktionen vor der Kamera mit deren Eigenbewegungen koordinieren, was eine höhere Anfälligkeit für Fehler und damit mehr Wiederholungen bedeutet. Insgesamt sind Schwenks für Regie und die künstlerische Inszenierung darum weit anspruchsvoller als die Arbeit mit einzelnen Kameraeinstellungen.
Damit besitzt der Kameraschwenk für die technisch-logistische Filmproduktion zwei bemerkenswerte Vorteile. Er stellt aber auch eine erhöhte Anforderung an die Professionalität, das Talent und die Erfahrung von Filmemacher und Filmcrew.
Fazit
Das musst du über das Schwenken der Kamera wissen
- Kameraschwenks gibt es in vier Grundtypen: langsam, schnell, suchend und gerissen.
- Für die Anwendung gibt es vier primäre Gründe: Die Kamera verschafft dem Zuschauer einen Überblick, leitet den Zuschauerblick, sie folgt einer Person, oder sie nutzt die Bewegung, um eine Eigenbewegung zu initiieren.
- Schwenks verleihen Handlungsabläufen einen Takt und geben dem Film zusammen mit dem Schnitt seinen Rhythmus.
- Diese Art Blickfeldwechsel fordert bei der Umsetzung auf dem Filmset ein Mindestmaß an Erfahrung und Professionalität aller daran beteiligten Funktionen.
Mehr zu filmischen Stilmitteln
- Teil 1 der Artikelserie zur professionellen Kameraführung enthält grundsätzliche Informationen zu Kategorien und Arten von Kamerabewegungen und deren korrekten Anwendung.
- Teil 2 der Serie – der vorliegende Artikel – beschäftigt sich ausschließlich mit Informationen und Details zum Schwenken der Filmkamera.
- Teil 3 erklärt als Beitrag die Besonderheiten und Unterschiede bei der Anwendung von Kamerafahrten in Film und Video.
- Teil 4 zeigt auf, nach welchen grundsätzlichen Regeln die Kameraführung als Teil der Filmsprache erfolgen sollte.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 07.06.2016
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