Wahrnehmung von Bewegtbild: Warum dich der Halo-Effekt als Video­producer interessieren muss

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Sorgt für Verzerrung der Wahrnehmung, mit positiven wie negativen Folgen: der Halo-Effekt | © Zeichnung: Pavel Sokolov

Die Wahrnehmung des Menschen ist alles andere als perfekt. Wir sehen nicht, was wir sehen. Sondern was wir sehen wollen. Und genau da kommt der Halo-Effekt ins Spiel: Für dich als Videoproducer ist dieser Wahrnehmungseffekt sowohl Chance als auch Risiko.

Im Leben jedes Menschen gibt es drei Dinge, denen man nicht entkommen kann!

Erstens ist da – banal, aber für uns alle eines Tages eine lebensbedrohliche Angelegenheit – der Tod. Zweitens vergleichen wir alle unsere Existenz mit derjenigen unserer Mitmenschen. Bin ich schöner? Reicher? Stärker? Drittens, darum geht es in diesem Artikel, ordnet der Mensch ihm unbekannte Dinge ein anhand von ihm bekannten Tatsachen oder Erlebnissen oder anhand von extremen Eindrücken, oftmals gänzlich unbewusst.

Der Halo-Effekt

Das griechische Wort „Halo“ steht für Lichthof. Das erklärt, warum der Begriff für eine ganze Reihe von Dingen verwendet wird. So auch für atmosphärische Lichteffekte am Himmel oder ungewollte Effekte in der digitalen Bildbearbeitung.

In diesem Artikel geht es nur um den Halo-Effekt, wie er in der beobachtenden Forschung und der Psychologie, im Marketing und der Soziologie verwendet wird: Hier versteht man unter dem Halo-Effekt einen Wahrnehmungseffekt. Man nimmt dabei ganz einfach eine Sache anders wahr, als sie in Wirklichkeit ist.

Der Halo-Effekt beschreibt nichts anderes als einen Wahrnehmungsfehler, eine subjektive Verfälschung der menschlichen Wahrnehmung. Der Wissenschaftler spricht dabei von einer kognitiven Verzerrung.

Menschen sind von Natur aus darauf programmiert, von sich selbst auf andere Menschen zu schließen und sich zugleich von Extremen blenden lassen. Dabei werden eigene oder zumindest einem schon aus Erfahrung bekannte Eigenschaften einer Drittperson zugeschrieben. Oder anhand einer klar erkannten Eigenschaft auf weitere Begebenheiten rückgeschlossen. Dies, ohne zu prüfen, ob solches objektiv gerechtfertigt ist. Erforscht und entdeckt wurde dies erstmals 1920 vom Psychologen Edward Lee Thorndike.

Als Videoproducer kann man diesen Umstand in Videos positiv einsetzen. Oder daran scheitern. Denn er ist ebenso stark wie Emotionen und Gefühle in Videos.

Positive Wahrnehmungsverzerrungen („Heiligenschein-Effekt“)

Verzerrungen in der Wahrnehmung können positiv sein. Dies besonders dann, wenn es um die Einschätzung oder Beurteilung einer Person geht. In diesem Fall spricht man auch von einem Heiligenschein-Effekt. Ein Mensch wird als positiver wahrgenommen, als er ist.

Ein klassischer Fall einer positiven Wahrnehmungsstörung ist der instinktive Glaube, ein sympathischer Schauspieler sei automatisch auch der bessere, erfolgreiche Mensch. Die Attraktivität überstrahlt den Gesamteindruck und beeinflusst (besser gesagt: verfälscht) das Gesamtbild positiv.

Ein positiver Halo-Effekt kann sogar durch Vornamen oder Namen ausgelöst werden. Darum wählen Drehbuchautoren die Namen ihrer Charaktere mit größter Sorgfalt.

Negative Wahrnehmungsverzerrungen („Teufelshörner-Effekt“)

Der Teufelshörner-Effekt ist das Gegenstück zum Heiligenschein: Eine Person wird als negativer erkannt oder beurteilt, als sie objektiv betrachtet ist. Wer einen tiefen sozialen Status besitzt oder an einer körperlichen Einschränkung leidet, dem oder der wird unbewusst eine ganze Reihe weiterer negativen Eigenschaften zugeschrieben. Das ist nicht schön. Auch nicht gerecht. Aber Realität.

Auch darum gibt es das Typecasting. Damit bezeichnet man in der Filmbranche Darsteller, die ohne Ausnahme für dieselben Rollenbilder besetzt werden. Sie sind auf einen Typus Rolle festgezurrt. Das naive Blondchen und der maskuline Macher findet sich nicht nur in einfach gestrickten TV-Serien.

Je extremer eine Eigenschaft, desto stärker Halo-Effekt

Der Halo-Effekt kommt besonders zuverlässig zum Tragen, wenn die zu beurteilende Person extreme Eigenschaften oder Verhaltensweisen zeigt. Besonders ausgeprägte Freundlichkeit lösen die Wahrnehmungsverzerrung genauso aus, wie radikale Abweisung, blendende Schönheit oder verstörende Hässlichkeit.

Wer als Autor für Serien, Film und Video schreibt, muss als Autor darum den Spagat zwischen Filmklischee und Differenziertheit immer wieder aufs Neue finden.

Der Halo-Effekt geht aber weit über die Entwicklung und Gestaltung von fiktiven Charakteren hinaus.

Anwendung bei Film und Video

Als Videoproducer kannst du vom Halo-Effekt in deinen Filmen oder Videos profitieren. Das gilt ganz besonders, wenn,

  • du in deinem Film eine kluge, attraktiv aufgebaute Einstiegssequenz hast. (Vorsicht! Nein, ich meine damit nicht attraktive Darsteller. Sondern die Dramaturgie, die Bildsprache, das Sound Design). Führst und verführst du deinen Zuschauer am Anfang deines Videos, so schließt er unbewusst daraus, dass alles Weitere ähnlich attraktiv daherkommen wird. Damit schaffst du eine gewisse Toleranz, die den Zuseher großzügig über spätere kleine Mängel hinwegsehen lässt. Ebenso so klar sollte dir aber auch sein, dass du einem klugen Einstieg nicht nur inhaltlichen Müll hinterher senden kannst.
  • du es mit seriellem Video-Content zu tun hast. Oder eine Werbespot-Reihe. Hier ist die Erwartung des Zuschauers ganz besonders durch das geprägt, was er schon kennt. Es ist darum nicht nur so, dass jedes Sequel einer Serie das vorgehende übertrumpfen muss. Als Produzent darfst du auch davon ausgehen, dass ein Fan wild entschlossen ist, auch weitere Teile eine Reihe sensationell gut zu finden. Auch darum gibt es grottenschlechte Filme, bei denen der auch die vierte Fortsetzung noch ein Geschäft ist.
  • du in einer Auftragsproduktion dem Zuschauer ein Image oder ein Produkt näherbringen willst, das er bisher nicht kennt. Sei dir gewiss: Der Mensch schließt von ihm bekannten Dingen auf unbekannte Dinge. Positive Wahrnehmung kann übertragen werden. Nicht ohne Grund hat sich Nespresso (als Teil des Nestlé-Konzerns nicht gerade das, was der Werber eine Love-Brand nennt) für den umwerfend attraktiven und unübertroffen charmanten George Clooney als Markenbotschafter entschieden.

Kennst du weitere Beispiele für den Halo-Effekt im Zusammenhang mit Film, Serien oder Video? Dann teile deine Erfahrungen und nutze dazu bitte die Kommentarfunktion unterhalb dieses Fachartikels!

Bei der Filmherstellung zu beobachten

Der Halo-Effekt ist auch bei der eigentlichen Herstellung eines Videos oder Filmes zu beobachten.

So, wenn du Teil einer Crew bist, oder wenn du eine Filmcrew für deine Videoproduktion unter Vertrag nimmst. Du wirst dabei immer in gewissen Punkten von dir selbst auf andere schließen. So wie andere von sich gewisse Dinge auf deine Persönlichkeit ableiten. Achte darauf, dass Werte von deiner Zielgruppe geteilt werden müssen. Denke aber auch daran, dass unterschiedliche Blickwinkel und Fähigkeiten ein Video meist attraktiver machen.

Werden wichtige Exponenten der Filmcrew von den übrigen Mitgliedern des Teams bei der Filmproduktion als positiv erkannt (Beispiel: Der Regisseur ist ein Genie; eine wahnsinnig charismatische Schauspielerin), überdeckt dies chaotische Produktionsabläufe. Man spricht bei dieser Art positiver Wahrnehmungsverzerrung dann liebevoll von kreativen Freiräumen, die eine Leistung erst ermöglichten.

Umkehrt, bei negativer Wahrnehmungsverzerrung, wettert die Crew trotz perfekter Vorproduktion und gut organisierter Abläufe über ein Chaos, stört sich an Improvisation und über eine Produktion in Wildwestmanier.

Das musst du wissen

  • Der Halo-Effekt beschreibt das Phänomen, dass eine Eigenschaft einer Person oder ein Element einer Sache dermaßen dominant wirkt, dass aus dieser, in Kombination mit eigenen Erfahrungen, unbewusst auf alle anderen, weiteren Eigenschaften geschlossen wird.
  • Der Effekt bewirkt damit eine Verzerrung der Wahrnehmung. Psychologen sprechen sogar von einer Wahrnehmungsstörung.
  • Es gibt positive und negative Wahrnehmungsstörungen.
  • Als Videoproducer erlebst du Halo-Effekte nicht nur beim Herstellungsprozess eines Videos. Er zeigt sich insbesondere auch bei der inhaltlichen Gestaltung von Filmen, bei der Besetzung von Rollen und bei seriellen Inhalten.

Mehr zum Halo-Effekt

  • Phil Rosenzweig, Der Halo-Effekt: Wie Manager sich täuschen lassen, Verlag: GABAL, ISBN: 3897497891
  • Eike Rappmund, Der HALO-Effekt: Arbeitsheft IA2 (Psychologische Effekte) zum Workbook Manipulation (Grundlagen/Psychologische Effekte 1)
  • Michael McCathy, Psychologie für Anfänger: Einführung in die Psychologie – Persönlichkeitsentwicklung, toxisches Verhalten, Bewusstsein und Unterbewusstsein, Selbsthilfe, Lebenseinstellung

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 10.09.2019

Gabriela Weingartner 24 Artikel
Gabriela Weingartner ist überzeugt, dass der Autor Patrick Süskind recht hat, wenn er sagt: »Man muss gescheit sein, um in der dummen Sprache des Films eine Geschichte klug erzählen zu können.«

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