Zum professionellen Storytelling eines Films gehört oftmals die Veränderung des Raum- und Zeitgefühls durch den Einsatz von Blenden. Aber nicht nur. Zeitraffer, Zeitlupe, Blende und Jump Cut gehören ebenso wie der Match Cut mit zu den wichtigsten Werkzeugen, mit denen sich das zeitliche Empfinden des Publikums in einem Video verändern lässt.
Mit Blende ist in diesem Artikel nicht die Kamerablende gemeint. Sondern das stilistische Mittel im Rahmen der Filmmontage. Diese Art der Blende kann definiert werden als eine technische Methode im Editing oder beim Dreh (Zeitlupen und Zeitraffer) zur Wahrnehmungsänderung des Zeitgefühls in einer Aufnahme.
- Arten von Blenden
- Überblendungen
- Aufblenden
- Abblenden
- Rückblenden
- Vorausblenden
- Sonderfall: Out of Focus
- Spezielle Formen
- Jump Cut
- Match Cut
- Sonderfall: Morphing
- Geschwindigkeitsmanipulationen
- Zeitraffer (Time Lapse)
- Zeitlupe (Slow Motion)
Zeitlupe und Zeitraffer ziehen ihre Kraft aus Geschwindigkeitsveränderungen der Aufnahmen, während Blenden, Match Cut und Jump Cut im dramaturgischen Storytelling eine Brückenfunktion einnehmen: sie verbinden zwei Filmeinstellungen.
1Mit Zeitraffer und Zeitlupe das Zeitgefühl ändern
Jeder Film kann auf besondere Effekte zugreifen, die in der Fotografie mit einem einzelnen Bild nicht möglich sind. Dazu gehören über den normalen, sog. harten Schnitt hinausgehend drei Arten von Blenden (Abblende / Aufblende, Überblendung, Vor- oder Rückblende), aber auch Zeitraffer und Zeitlupe oder Jump Cut. Sie alle sind, gemeinsam mit dem Jump Cut, grundlegende dramaturgische Gestaltungsmerkmale des Filmschnitts.
Menschen orientieren sich für ihr Zeitgefühl an Veränderungen. Oder an Räumen. Ändert sich eine Räumlichkeit, oder wandelt sich das Aussehen, interpretiert das Hirn dieses Signal aus Erfahrung als Zeitveränderung. Dies kann bewusst oder im Unterbewusstsein erfolgen. Auf diesem Umstand bauen die in diesem Artikel besprochenen Stilmittel auf. Sie profitieren davon, dass sich diese Art Signale im Filmschnitt mit einer Reihe von Mitteln beim Kinopublikum oder Zuseher einer Serie ganz gezielt auslösen lassen.
Profi-Tipp
Zeitlupe, Zeitraffer und Blende haben einen erheblichen Einfluss auf die Wahrnehmung der Zeitachse in einem Film: Sie verändern unser Zeitempfinden und die räumliche Wahrnehmung mit optischen Manipulationen. Dies losgelöst von der Storyline. Trotzdem sollte ihr Einsatz sorgfältig und stets vor dem Bildschnitt geplant werden, damit ihre Wirkung vollständig zum Tragen kommt.
Elemente, die an unterschiedlichen Orten aufgenommen, oder zu unterschiedlichen Zeiten in einer Storyline spielen, können mit einer Blende und mit Änderungen der Tempi von Filmbildern zu einer gänzlich neuen Wirklichkeit zusammengefügt werden.
Beispiel für Zeitlupen-Aufnahme | © DBB Group / YouTube
Die Rückblende liegt als Stilmittel näher bei der Montage, als bei einem Filmeffekt wie die Überblendung, Auf- oder Abblende. Sie ist zwar auch ein Filmgestaltungsmittel. Doch sie verändert den Inhalt, nicht der Form.
Die hier besprochenen Mittel haben viel mit der menschlichen Wahrnehmung zu tun. Deren grundsätzliche Mechanismen sind seit Jahrtausenden im Unterbewusstsein verankert. Darum sind der Filmschnitt generell und ganz speziell Blenden von ihrer Funktionsweise her betrachtet sehr viel weniger Zeitströmungen unterworfen, als etwa Musikkompositionen.
2Blenden: Abblende /Aufblende
Die Blende ist ein äußerst subjektives Gestaltungsmittel. Im Rahmen der Montage verleiht sie dem vor- oder dem nachgehenden Filmbild sofort Aufmerksamkeit. Diese Art Hinweis wird vom Zuschauer sofort verstanden.
Profi-Tipp
Die Abblende unterstreicht die Herkunft, oder Vergangenheit. Blendet ein Filmbild als Aufblende stufenlos aus der Verdunklung zum ersten Filmbild auf, eröffnet es unser Blickfeld auf etwas, das schon vorher war und an dem die Handlung fortan nun teilnehmen wird. Die Aufblende symbolisiert darum im klassischen Kinofilm Hollywoods oftmals auch Zukunft.
Wie jede Blende symbolisieren Abblende und Aufblende der Filmtheorie zufolge ein Zeitvergehen in einer Aufnahme.
3Überblendung
Die Überblendung verschmilzt immer zwei Einstellungen miteinander: Die vorgehende Einstellung verblasst – und nahezu gleichzeitig erscheint die nachfolgende Einstellung. Eine Überblendung verbindet unterschiedliche Bildinhalte. Sie deutet damit gleichzeitig immer auch die Veränderung der Zeit an: Zuerst war es so, dann wird es so.
Profi-Tipp
Falsch ist der Einsatz von Überblendungen immer dann, wenn damit ein Bildschnitt simuliert werden soll. Nur, wenn aufgrund fehlerhafter Gestaltung des Filmbildes die Montage überhaupt nicht möglich ist, ist die Überblendung als letzte Hilfe gestattet. Dies beispielsweise, wenn Bildschwerpunkte oder die Blickachsen nicht in Übereinstimmung gebracht werden können.
Kommt die Blende im Editing statt eines „richtigen“ Schnitts zum Einsatz, müssen sich Regisseur und Editor in der Montage bewusst machen, dass sie mit einem solchen Rettungsversuch dem Zuschauer immer auch – dramaturgisch falsch oder zumindest ungeplant – ein Zeitvergehen symbolisieren.
Überblendungen funktionieren am einfachsten bei Großaufnahmen. Sie sind aber nicht nur auf diese Einstellungsgröße beschränkt.
4Rückblenden / Vorausblenden
Die Rückblende ist das Einfügen von Szenen in einen Handlungsverlauf. Sie zeigt frühere Ereignisse. Rückblenden können Erinnerungen sein, aber auch Erklärungen für den Zuschauer.
Mit einer Rückblende bekommt der Zuschauer im Vergleich zu den im Film vorkommenden Charakteren einen Wissensvorsprung.
Filmzeit ist mit der Rückblende umkehrbar!
Walter Dadek
Flashbacks (engl. = Rückblenden) schaffen die dramaturgisch wichtige Möglichkeit zur Konfrontation der Gegenwart mit der Vergangenheit. Oder sie ermöglichen dem Zuschauer in einer Handlung die Auseinandersetzung mit der Zukunft. Das Erscheinen einer Rückblende ist zwar an die Handlung gebunden, erfolgt aber definitionsgemäß losgelöst von der Realzeit.
Die Rückblende ermöglicht dem Zuschauer, Vorgänge zu sehen und zu verstehen, die ihm im wirklichen Leben verschlossen bleiben. Die Rückblende – oder ihr weit weniger bekanntes Gegenteil, die Vorausblende – geht in der Montage über das lineare, reale Zeit- und Raumempfinden hinaus. Diese Art Blende manipuliert das Zeitempfinden massiv.
Die Technik der Rückblende erlebt heute ein Revival: Während Szenenübergänge mit Blenden die letzten Jahre vielerorts als veraltet galten, werden sie in jüngerer Zeit von Regisseuren und Editoren wieder häufiger für das Storytelling eingesetzt. Ihre Beliebtheit besitzt die Blende auch darum, weil sie wie kein anderes Mittel der Montage ein Paradox leisten kann: Die Blende ist „Trenner“ und „Verbinder“ zugleich!
Anders als Match und Jump Cut, signalisiert die Blende als einziges Mittel in der Montage eine als angenehm empfundene Verbindung zwischen zwei getrennten Sequenzen.
5Out of Focus
Das Ziehen des Fokus in die Unschärfe bis zum Punkt, in dem das Filmbild komplett unkenntlich wird, ist eine Mischung aus hartem Schnitt und einer Blende. Diese Art Übergang ist etwa in der Erfolgsserie „Game of Thrones“ in Folge 10 von Staffel 2 zwischen einzelnen Handlungssträngen zu sehen.
Das „verschwommene“ Bild, das bei diesem Effekt den Bildwechsel begleitet, ist kein Abschluss oder Auftakt wie sonst bei der Blende. Sondern eine Mahnung daran, dass hier die Handlung lässt noch nicht an ihr Ende gelangt ist. Darum werden Out-of-Focus-Transitionen gerne in Kombination mit einem Cliffhanger verwendet.
6Zeitlupe (Slow Motion)
Die Zeitlupe (englisch: Slow Motion) zeigt durch die Verlangsamung dem Zuseher Vorgänge und Dinge, die mit bloßem Auge so nicht sichtbar sind. Möglich ist dies durch Highspeed-Aufnahmen. Weil ein Video immer mit 25 Bildern pro Sekunde respektive 50 Halbbildern angespielt wird – so wie Kinofilme mit 24 Einzelbildern / Sekunde – muss, was verlangsamt werden soll, mit mehr Bildern pro Sekunde als üblich, und damit schneller und mit einem höheren Bilddurchlauf in der Kamera gedreht werden.
Profi-Tipp
Die Zeitlupe gibt dem Zuschauer durch eine Zeitdehnung die Gelegenheit, Dinge neu zu sehen und anders zu verstehen. Sie ist die Antwort auf eine tiefgreifende menschliche Neugierde: Was würde ich erkennen, lernen oder sehen, wenn man hier genauer hinsehen könnte? Die Zeitlupe bietet diese Möglichkeit: Sie verwandelt die Sekunden der Realzeit in Minuten im Film.
Menschen in Zeitlupe werden im Gegensatz zu Realaufnahmen, die im Zuschauer psychologische Reaktionen in höchster Komplexität auslösen, zum Objekt der reinen Beobachtung. Bilder in Zeitlupe lösen darum bei der richtigen Wahl des Motivs eine überaus starke Faszination beim Zuschauer aus.
Zeitlupen-Aufnahmen sind aus Sicht der Technik anspruchsvoll, weil sie in hoher Qualität nur mit Spezialkameras herzustellen sind. Denn für sie muss der Film schneller als üblich durch die Kamera laufen. Bei Digitalkameras sind echte Zeitlupenbilder ebenfalls eine Herausforderung. Darum werden 99 % aller Slow-Motion-Shots erst in der Postproduktion durch Extrapolation bestehender Bilder mithilfe von Algorithmen erstellt.
Eine ganz besondere Art der Zeitlupe ist Bullet Time. Dieser Effekt, der keine Filmaufnahme ist, wird in Filmpuls mit einem ausführlichen, eigenen Artikel kommentiert.
7Zeitraffer (Time Lapse)
Der Zeitraffer (in englischer Sprache: Time Lapse) eröffnet den Blick auf Abläufe, die erst durch ihre Beschleunigung erkennbar werden. Als Beispiel: Ein über Jahre schmelzender Gletscher wird erst durch diese Art der Aufnahme zum Mahnmal.
Profi-Tipp
Zeitrafferaufnahmen können scheinbar tote Objekte zum Leben erwecken: Der unendlich langsam erfolgende Zerfall eines Felsbrockens, über Monate, Jahre oder sogar Jahrzehnte mit Einzelbildern gedreht, haucht diesem plötzlich Leben ein. Je länger eine Sequenz mit überhöhter Filmgeschwindigkeit andauert, desto schwieriger ist sie als Zeitraffer dramaturgisch zu planen.
Zeitraffer-Sequenzen werden mit weniger als 25 Einzelbilder (oder weniger als 24 Bilder pro Sekunde beim Kinofilm) gedreht.
Beispiel für Zeitraffer-Aufnahme | © Dan Black / YouTube
Time Lapse-Aufnahmen verschieben den Fokus des Zuschauers auf visuelle Veränderungen, die auf der Zeitachse über eine längere Dauer stattfinden. Darum ist es in der Regel mit dem Einsatz von Zeitraffer schwieriger, große emotionale Regungen beim Publikum zu erzeugen, als mit der „stärker in die Tiefe gehenden“ Zeitlupe.
8Unterschied zum Jump Cut
Eine ganz besondere und ebenfalls weltberühmte Art, die Zeit im Film oder in einem Video zu komprimieren, ist der Jump Cut. Dieser bildet eine absolut ungewöhnliche Alternative zur Verdichtung der Zeit. Er ist gewissermaßen die Antithese zum klassischen unsichtbaren Schnitt, der Découpage Classique, im englischen Sprachraum auch Continuity Editing genannt.
Eigenen Aussagen zufolge hat Regisseur Jean-Luc Godard den Jump Cut nur darum erfunden, weil er keinen anderen Weg gefunden hat, sein Meisterwerk „A Bout de Souffle“ aus dem Jahr 1960 mit Jean-Paul Belmondo und Jean Seberg auf Kinolänge zu kürzen. Die Rettung fand Godard in der Verkürzung der Einstellungen. Nicht, indem er wie alle anderen in der Filmgeschichte Anfang oder Ende der Einstellung kürzte. Sondern, weil er innerhalb der Einstellung einen Teil herausschnitt – damit wurde diese Art Übergang erfunden!
9Unterschied zum Match Cut
Der Match Cut (übersetzt: passender Schnitt) verkürzt die Länge nicht, in dem er innerhalb einer Einstellung ein Stück herausschneidet. Er schneidet zwei komplett unterschiedliche Filminhalte hart hintereinander, die formal identisch umgesetzt wurden.
Das wohl berühmteste Beispiel für diese Art Szenenübergang lieferte Stanley Kubrick, im Klassiker „2001 – A Space Odyssee“ (1968). Sein Match Cut verbindet tausende Jahre Menschheitsgeschichte mit einem einzigen Schnitt: der rotierende Knochen, den ein affiger Steinzeitmensch in die Luft schleudert, wird zu einem Raumschiff, in dem die Story ihre Fortsetzung nimmt.
10Morphing
Eine spezielle Form der Überblendung ist das Morphing. Darunter versteht man die digitale Verschmelzung zweiter Aufnahmen, die nahtlos und damit für das Auge unsichtbar scheinbar organisch ineinander verfließen. Ein Apfel kann sich damit auf magische Weise in eine Birne verwandeln.
Morphing kann mittels Key Frames von professioneller Videoschnittsoftware im Editing innerhalb weniger Sekunden erstellt werden. Dazu vergleicht die Software die zwei unterschiedlichen Bilder und erstellt automatisch die erforderlichen Zwischenbilder, welche einen stufenlosen animierten Übergang ermöglichen. Der technische Vorgang gleicht im Prinzip am Schnittplatz erstellten, künstlichen Zeitlupen- oder Zeitraffer-Sequenzen. Allerdings müssen vom Computer beim Morphing nicht bekannte Pixelinformationen gedehnt oder verkürzt, sondern gänzlich neue Bildinformationen erstellt werden.
Entwickelt wurde diese Technologie, um in TV-Dokusoaps innerhalb einer Einstellung einzelne Wörter herausschneiden zu können, ohne dass dies vom Zuschauer bemerkt wird. Diese Art der Zeitverkürzung liegt daher näher bei Deepfake Videos und hat in der dramaturgischen Filmmontage keine Daseinsberechtigung, es sei denn zur Rettung missglückter Dialogzeilen von Schauspieler:innen.
Fazit zu Zeitraffer, Zeitlupe, Blenden und Filmübergängen
Das musst du wissen
- Zeitgefühl und die Wahrnehmung von Raum lassen sich nicht nur mit dem Bildschnitt verändern. Auch Blenden, Zeitraffer, Zeitlupe, Vorausblende, Rückblende und Jump Cuts können diese Art der Zeitmanipulation in einem Video erzielen.
- Es gibt fünf Arten von Blenden: Überblendungen, Aufblenden, Abblenden, Rückblenden und Vorblenden. Jede Art besitzt für das Storytelling spezifische Vorteile und Nachteile.
- Zeitlupe kann Objekte und Menschen vergegenständlichen. Zeitraffer kann scheinbaren, starren Dingen durch die Sichtbarmachung von Veränderungen plötzlich Leben einhauchen.
- Eine extreme Form zeitlicher Verdichtung ist der Jump Cut.
- Mit dem Einsatz von Blenden, Zeitraffer und Zeitlupen kann sich die Regie über die Möglichkeiten der Kamera hinaus für das Storytelling im Editing einen neuen filmischen Zeitraum schaffen.
- Je sparsamer mit Überblendungen in der Montage umgegangen wird, desto stärker ist die Wirkung einer Blende. Je häufiger Überblendungen eingesetzt werden, desto mehr empfindet sie der Zuschauer umgekehrt als sinnentleerter, verspielter Formalismus.
- Einen nicht zu unterschätzenden Anteil an der Wiederentdeckung der Möglichkeiten eines gezielten, kontrollierten Einsatzes dieser filmischen Gestaltungsmittel in Kinofilmen hat dabei auch die Software: Keyframing erleichtert die digitale Erstellung solcher Effekte.
Mehr zum Thema Zeitraffer, Zeitlupe und Blende
- Beller, Hans. „Filmräume als Freiräume. Über den Spielraum der Filmmontage“. In Onscreen/Offscreen. Grenzen, Übergänge und Wandel des filmischen Raumes. Hg. von Hans Beller, Martin Emele und Michael Schuster. Stuttgart: Hatje Cantz Verl., 2000.
- Gribbin, John und Mary. Raum & Zeit. Was wir über das Universum wissen: von der Erde als Scheibe zur Raumzeit in vier Dimensionen. Aus dem Englischen von Eva und Hans-Jürgen Schweikart. Hildesheim: Gerstenberg, 1995.
- Tillich, Paul. „Der Widerstreit von Zeit und Raum“. In ders. Der Widerstreit von Raum und Zeit. Schriften zur Geschichtsphilosophie. Gesammelte Werke. Band 6: evangelisches Verlagswerk, 1963.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 30.08.2016
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