Alles soll, muss heute sogar eine Story sein. So die weitverbreitete, vorherrschende Meinung. Nur: die Wahrheit liegt weder in der Mitte, noch hat die Mehrheit immer recht. Dieser Artikel erklärt, wie und warum Corporate Storytelling einem Imagefilm schaden kann. Er zeigt, warum nicht immer alles eine Geschichte ist und wo es sich lohnt, auf den Einsatz von Herzschmerz und auf die Versprechungen falsch verstandener Hollywood-Dramaturgie zu verzichten.
Ein ebenso beliebter Irrtum bei Videoproduktionen und Auftraggebern besteht im Glauben, dass jeder gute Film eine Geschichte erzählen muss. Das ist gleich mehrfach falsch. Der Zwang zur Geschichte ist für Imagefilme eine wachsende Realität. Dennoch: Aus Sicht der Dramaturgie besteht dazu keine zwingende Notwendigkeit!
Corporate Storytelling im Imagefilm
Es gibt Filme, deren einziger und absolut legitimer Zweck es ist, einen Sachverhalt zu demonstrieren. Natürlich, auch ein kurzes Dokumentationsvideo über eine hoch spezialisierte industrielle Maschine für das Stanzen von Aluminiumblechen erzählt eine Geschichte. Das Blech ist vorher unbearbeitet. Nachher ausgestanzt. Für den an einem Lizenzerwerb interessierten Käufer wird die Darstellung der Präzision relevant sein. Nicht die Story. Für den Verkäufer als Auftraggeber des Videos gilt das ebenso. Mit der Frage, was kostet ein Film, hat dies nichts zu tun. Sondern nur mit Sinn und Zweck der Kommunikationsmaßnahme.
Ebenso zu berücksichtigen: Geschichten müssen transportiert, sprich: erzählt werden. Leider ist nicht jeder Mensch ein geborener Geschichtenerzähler. Daran ändert auch die Kamera nichts, deren sich ein Erzähler als Krücke zu bedienen versucht.
Situationen sind keine Geschichte. Aber sie ergeben eine Geschichte. Und sie machen Geschichte, im richtigen Leben.
Reichen die Mittel des Auftraggebers weder für das Engagement talentierter Geschichtenerzähler hinter einer Kamera (Autor, Regisseur, Kameramann, Cutter) noch vor der Kamera (Darsteller, Drehorte), wird besser auf eine Geschichte verzichtet. Das gilt für jedes Genre und ganz besonders für Imagefilme.
Emotionen und Geschichten
Emotionen und Geschichten sind zwei Paar Schuhe, die sich nicht zwingend gegenseitig bedingen.
Auch Situationen ohne Entwicklungslinie lassen sich beim Corporate Storytelling hochemotional inszenieren. Sie bieten dem Zuschauer breite Identifikationsfläche, vorausgesetzt der Zuschauer kann das Gesehene mit der eigenen Erlebniswelt verknüpfen.
Und: Jede funktionierende Geschichte benötigt ein minimales Zeitbudget, um sich entfalten zu können.
Warum scheitern die meisten Werbe-Regisseure beim Spielfilm? Weshalb sind die TV-Spots von Spielfilmregisseuren nicht immer ein Aha-Erlebnis? Weil der Spielfilmschaffende in wenigen Sekunden eine richtige Geschichte zu erzählen versucht. Und weil der Macher von Werbefilmen versucht, Situationen, die für Sekunden taugen, auf neunzig Minuten zu dehnen. (Warum Situationen keine Geschichten sind, zeigt der Artikel Dramaturgie für Einsteiger.)
Sonderfall: Motivationsvideo
Interessant ist die Frage, ob ein Motivationsvideo überhaupt eine Geschichte benötigt. Damit ein Motivationsvideo seinen Zweck erfüllen kann, bedient es sich sowohl intrinsischer und extrinsischer Motivation. Intrinsische Motivation ist die eigene, bereits bestehende Triebkraft, ohne äußere Einwirkungen etwas zu tun oder zu bewirken. Extrinsische Motivation ist derjenige Antrieb, welcher durch gezielte Impulse von außen entsteht.
Soll ein Motivationsvideo extrinsisch wirken, ist dazu Überzeugungsarbeit zu leisten. Diesfalls wird beim Corporate Storytelling meist auf eine Geschichte zugegriffen. Die Handlung soll erklären, anleiten und zeigen, was möglich ist.
Anders ist es, wenn eine bereits bestehende, intrinsische Motivation ausgelöst oder verstärkt werden soll. Hier genügen Impulse. Dazu muss keine Geschichte von A bis Z erzählt werden. In diesem Fall kann es als Ausnahme, welche die Regel bestätigt, durchaus genügen und absolut sinnvoll sein, in diesem Fall bei einem Motivationsvideo nur eine Situation abzubilden. Der Zwang zur Geschichte und seine unglücklichen Folgen zeigt sich in diesem Genre besonders häufig.
Was ist eine Story?
Eine Geschichte, neudeutsch: Story, muss für längere Filmformate (Imagefilm, Produkt-Film, Schulungsfilm etc.) in Anlehnung an den Dokumentar- und Spielfilm auch für das Corporate Storytelling wie folgt definiert werden (Quelle: filmschreiben.de)
Eine gute Story ist ein dreidimensionales Abbild des Menschseins. Sie erzählt immer von Veränderungen in drei unterschiedlichen Welten:
- der äußeren Welt von Handlungen, der emotionalen Welt von Beziehungen und der inneren Welt der Identität. Und von den wechselseitigen Abhängigkeiten der Welten voneinander. Damit helfen Geschichten uns zu verstehen, wer wir sind. Geschichten im Auftragsfilm stiften Identität.
- Eine Geschichte ist ein Werte-Diskurs: Sie erzählt von Werten. Damit stellt sie eine Möglichkeit dar, uns über unsere individuellen und sozialen Werte zu verständigen. Geschichten konstituieren im Auftragsfilm Wertegemeinschaften.
- Geschichten spiegeln Entwicklungsprozesse. Sie erzählen von einer, der Austragung oder Auflösung von Herausforderungen, durch die sich Veränderungen vollziehen. Geschichten schaffen im Auftragsfilm die Aussicht auf positive Veränderungen.
Nicht alles, was zwischen Anfang und Ende liegt, ist eine Geschichte.
Form und Inhalt
Nicht alle guten Imagefilme benötigen eine Handlung mit einem Anfang, einer Mitte und einem Ende. Das beweist etwa das Format Bullet Time, das für Situationen wie geschaffen ist (siehe dazu das Video Frozen Heist). Geschichten sind faszinierend. Großartige Situationen sind es ebenso. Entscheidend ist einzig, dass ein Entscheid für oder gegen Corporate Storytelling im Imagefilm mit Rücksicht auf die beabsichtigte Wirkung wohlüberlegt getroffen wird.
Auch die serielle Kommunikation mit Video braucht nicht in jedem Fall an eine Story. Ein Management-Video oder ein Video-Testimonial, das in regelmäßigen Abständen mit unterschiedlichen Personenkreisen arbeitet, kann sowohl für sich allein stehen als auch ohne verbindende Story seriell und wiederholt produziert werden. Wie beim Corporate Storytelling im Imagefilm kann auch hier eine Story nur funktionieren, wenn das sequenziell erzählte Video in einem gewissen Rhythmus und mit redaktionell vergleichbarem Content produziert wird.
Die Rolle der Dramaturgie beim Corporate Storytelling
Last but not least ist sich der erfahrene Filmemacher bewusst, dass Corporate Storytelling im Imagefilm nicht nur eine Frage der Dramaturgie ist. Allein schon mit der Kamera als Werkzeug lassen sich Geschichten für Imagefilme erzählen. Sei es durch die geschickte Wahl der Perspektive und Brennweite oder auch, indem durch die Filmsprache ganz gezielt die subjektive Wahrnehmung des Zuschauers stimuliert wird.
Filme können abgefilmt, verfilmt oder inszeniert werden, authentisch sein oder sich bewusst jenseits von Realität positionieren. Ohnehin müssen Filme und Video leuchten und schmerzen. Das gilt losgelöst vom Zwang zur Geschichte sogar für Filme, die in erster Linie auf Authentizität setzen. Nur auf diese Weise entstehen gute Imagefilme und ist die Zukunft im Auftragsfilm nachhaltig gesichert.
Mehr dazu
Teil 2 dieser Artikel-Serie wird als Checkliste die 10 wichtigsten Aspekte des Corporate Storytelling für die Kommunikation mit Film und Video behandeln. Folge 3 fasst Kernpunkte in einer Checkliste zusammen. Teil 4 zeigt zum Abschluss an Beispielen, was der Auftragsfilm vom Spielfilm lernen kann.
Das musst du wissen
- Es gibt Vorhaben, bei denen du explizit auf eine Geschichte verzichten kannst. So beispielsweise bei einem Tutorial zur Bedienung einer Industriemaschine. Hier heiligt der Zweck die Mittel.
- Emotionen sind nicht zwingend an eine Geschichte gebunden. Auch eine einzelne Videosequenz kann Gefühle bewirken.
- Eine Filmstory beruht immer auf drei Dimensionen. Dies sind: (1) die äußere Welt, (2) die der Geschichte zugrunde liegenden Werte und (3) eine Zeitachse, in der sich eine Story entwickelt und sich Dinge verändern (vorher / nachher). Ein kontrollierter Umgang mit diesen drei Elementen erfordert Zeit – die nicht jedes Video zur Verfügung hat.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 03.11.2015
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