»Wir lassen uns überfahren, ertrinken und springen von Häusern.« | Berufsbild Stunt-Double

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Stunt-Double in einer Action-Szene (Symbolbild) | © Bildmontage: P. Sokolov mit Footage von Adobe Stock

Wer Filmeditor werden will, kann sich die erforderlichen technischen Grundlagen dazu weitgehend und gefahrlos im Selbststudium zu Hause beibringen. Privat und im Alleingang zu üben, durch Glasscheiben aus Fenstern zu fallen oder als lebende Feuerfackel herumzurennen, ist nicht nur eine dumme Idee, sondern lebensgefährlich. Wie also wird man Stunt-Double? Katja Jerabek (Stuntfrau / Stunt Coordinator), Cecilia Diesch (Stuntfrau) und Pamela Gräbe (GSA) kennen die Antwort.

Cecilia Diesch:Ich war auf einer Stuntschule. Ich kannte niemanden. Darum bin ich auf eine Stuntschule gegangen und habe die Grundlagen gelernt. Bevor ich das erste Mal vor der Kamera stand, habe ich Erfahrungen in einer Stuntshow gesammelt. Ich habe viel Kung-Fu und Parcour trainiert und in der Turnhalle mit anderen Stuntleuten Stürze geübt. Je nach Jobanfrage werden die jeweiligen Bewegungen mit Matten und Protektoren in niedriger Geschwindigkeit geprobt und geübt. Sprünge aus niedriger Höhe und Autoanfahrer in Schrittgeschwindigkeit. Man übt und übt und baut das auf.

Pamela Gräbe:Viele Stuntleute kommen aus dem Leistungssport oder zumindest aus Sportarten, die sie seit Jahren betreiben, dem Turnen oder Kampfsport in den Beruf. Aber auch aus dem Ballett oder Motorsport.

Die Arbeit beim Film als Stunt-Double ist immer ein Zusammenspiel von vielen Menschen.
Cecilia Diesch

Katja Jerabek:Ich hab Grafik Design studiert und bin während meinem Studium beim bewegten Bild gelandet. Ich war sportverrückt, hatte aber nie das Ziel, Stuntfrau zu werden. Ich war Regie-Assistentin und hab bei einem Kinofilm mitgearbeitet und die Stuntleute kennengelernt, und mich verliebt. Dann bin ich mit trainieren gegangen, eher weil ich Spaß an der Freude hatte. Damit war ich plötzlich in einer Marktlücke, weil es keine kleinen dünnen Mädchen gab, die Stunts gemacht haben. Und da ich ja vom Film kam, hab ich die ganzen Hintergründe und das Verständnis mitgebracht. Ich bin also abgebogen, vom Regieassistenten zu Stuntfrau.

© Foto: Frédéric Batier
Katja Jerabek, Stuntfrau, Stunt-Double, Stunt Coordinator

Katja Jerabek ist Stuntfrau und Stunt Coordinator mit 20 Jahren Erfahrung an nationalen und internationalen Filmsets. Sie ist unter anderem als Stunt-Double und Stunt Performer tätig und zählt zu den erfahrensten und erfolgreichsten Stuntleuten in Deutschland.

Katja ist Geschäftsführerin des Unternehmens „Face Off“. Sie hat Produktionen wie Euphoria (2017), Nightlife (2020), Kohlrabenschwarz (2023) und Luden (2023) betreut.

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© Foto: privat
Stunt-Double Cecilia-Diesch, Stuntfrau

Stuntfrau Cecilia Diesch hat nach ihrem Abitur eine Ausbildung an der renommierten Kahana Stunt School in Florida und an der British Action Academy absolviert. Danach hat sie parallel zu ihrem Physik-Studium in Berlin in der Stuntshow Babelsberg angefangen zu arbeiten und in den folgenden Jahren ihre ersten Erfahrungen am Set gesammelt.

Aufgrund ihrer Vielseitigkeit und Professionalität ist Cecilia als Stunt-Double, Stunt Performer und Stunt Player (eigene Rolle) sehr gefragt. Sie hat in zahlreichen Produktionen mitgewirkt, u. a. in Uncharted (2022), John Wick: Kapitel 4 (2023) und in Serien wie Blackout (2020) und „1899“ (2022).

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© Foto: Inga Orschinski, Agentur Nilo
German Stunt Association e.V.,, Pamela Gräbe

Pamela Gräbe ist die Geschäftsführerin der German Stunt Association. Sie kam über einen künstlerischen Beruf, eine kaufmännische Tätigkeit und 10 Jahre Erfahrung in Internet-Redaktionen und im Content-Management 2008 zum Berufsverband der Stuntwomen und Stuntmen. Pamela verknüpft ihre vielfältigen Kompetenzen in ihrer Arbeit und alle Mitglieder, um zielgerichtet Verbesserungen für den Berufsstand zu erreichen.

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Filmpuls:Kann es auch sein, dass man bei der Vorbereitung eines Stunts feststellt, diese Aufgabe ist mir zu gefährlich, das will ich nicht machen?

Cecilia Diesch:Das kommt manchmal vor. Ich zum Beispiel würde keiner Anfrage für einen Motorrad-Wheelie zusagen, weil es zu gefährlich wäre für mein Skill-Level. Wenn man eine Anfrage bekommt aus 20 Meter Höhe ins Wasser zu springen und sich unsicher ist, ob man es bedienen kann, sucht man sich einen Sprungturm im Schwimmbad, übt und entscheidet dann, ob man den Job zu- oder absagt.

Filmpuls:Die negative Rückmeldung, dass man einen Job ablehnt, weil zu gefährlich – ist das mental nicht unglaublich schwierig? Denn wenn du den Stunt nicht machst, fließt kein Honorar. Und Miete zahlen müssen wir alle.

Cecilia Diesch:Ja, das ist so. Du bist als Stunt-Double nur sehr selten irgendwo angestellt. Wir werden nur bezahlt, wenn wir den Stunt abliefern. Allgemeines Training, Recherchen und deine Fortbildung werden nicht abgegolten.

Katja Jerabek:Darum sind in Deutschland viele Stuntleute, so wie Cecilia und ich, praktisch Allrounder: Wir lassen uns in Spielfilmen und Serien von Autos überfahren, wir ertrinken und springen von Häusern.

Filmpuls:Stichwort Training: Was ist wichtiger für ein Stunt-Double, was der Körper kann, oder was im Kopf geschieht?

Cecilia Diesch:Definitiv beides! Aber das habe ich auch erst später nach einiger Zeit im Job als Stunt Woman mitbekommen. Mit mentaler Stärke kann man sein Potenzial richtig ausschöpfen.

Pamela Gräbe:Als Stuntfrau oder Stuntmen bist du in der Regel in ein Team eingebunden und hast einen Stunt-Koordinator, die dich darin unterstützen, beides weiterzuentwickeln.

Filmpuls:Worin liegt der Unterschied zwischen Stunt-Koordinator und Stunt-Double?

Katja Jerabek:Der Koordinator plant und ist dafür zuständig, dass die maximale, kreative und finanziell realisierbar schönste Lösung erarbeitet wird. Die Stuntkoordinatoren sind auch dazu da, die Leute auszuwählen, die die Stunts ausführen, und die Leute, die uns unterstützen, Spezialisten wie für Rigging. Wir kommunizieren mit den Departments, der Kreativabteilung. Wir schützen aber auch die Stuntdoubles. Niemals wird ein Stuntman etwas ausführen müssen, wenn er oder sie sich nicht wohlfühlt. Einer der wichtigsten Punkte ist, eine gute Teamarbeit zu haben.

Cecilia Diesch:Ja, diese Art von Teamgeist gibt sehr viel Kraft. Das liebe ich an dem Beruf, genauso wie all die verrückten Sachen und Situationen, die man erleben darf. Du spielst mit irren Waffen oder bekommst Geld dafür, dass du so tust, als würdest du vor der Kamera ertrinken.

Filmpuls:Wie viel muss man als Stunt-Double vom Filmhandwerk verstehen? Kameraarbeit, Perspektiven, Anschlüssen und so weiter?

Katja Jerabek:Wenn man anfängt, hat man meist noch nicht so viel Ahnung. Aber es sollte schon der Anspruch sein, dass man weiß, von wo jetzt welcher Sturz am besten gedreht werden kann. Man möchte ja nicht einfach nur hinfallen. Sondern es soll dann für die Kamera gut aussehen. Bei Schlägereien muss man wissen, wie und wo stelle ich mich hin, damit der Schlag für die Kamera funktioniert.

Cecilia Diesch:Es hilft auf jeden Fall, wenn man versteht, wie Filme entstehen. Aber genauso finde ich es auch wertvoll, wenn jemand nicht so tief drinsteckt wie der Regisseur oder der Kameramann. Weil daraus manchmal neue Ideen, verrückte Ideen entstehen, die man nicht vielfach schon gesehen hat. Für mich ist die Arbeit ein Zusammenspiel.

Katja Jerabek:Diese Vielfältigkeit liebe ich an meinem Beruf, dass man als Stunt Coordinator oder Stunt Woman immer wieder neuen Aufgaben gegenübergestellt wird. Ich liebe die Arbeit mit meinen Stuntteams und dem Filmteam! Ich liebe diese besonderen Momente, wenn ich ein Drehbuch lese und weiß, ich kann einen guten Beitrag zur Umsetzung leisten. Und ich liebe das Reisen, ich liebe meinen Beruf!

Katja Jerabek lässt sich in eine Wassertonne fallen. | © Fotos: Torsten Jerabek

Filmpuls:Wie weit kann man, darf man sich als Stunt-Double in eine Szene kreativ einbringen?

Katja Jerabek:Das ist unterschiedlich. Aber ja, es gibt Regisseure, die von uns sehr viel Kreativität fordern und sich diese Impulse wünschen. Als Stunt Koordinatorin bin ich dann die erste Ansprechpartnerin. Wie der Mensch in seiner Persönlichkeit unterschiedlich ist, gibt es natürlich auch Regisseure, die lassen nicht viel zu.

Du musst akzeptieren, dass es nicht um dich selbst geht: Du bist ein gesichtsloses Double für den Schauspieler.
Katja Jerabek

Filmpuls:Ihr müsst ein schönes Leben haben: weil, zack! ein paar wenige Sekunden volle Konzentration und Arbeit, und schon hast du als Stunt-Double mehr Geld verdient als andere Menschen in einem Monat!

Katja Jerabek:Schön wärs! Also, ich bin jetzt schon echt lange Business und das ist völlig falsch! Wir werden zwar hoch bezahlt, wenn man den einen Tag vor der Kamera rauspickt. Was man nicht sieht, ist die Vorarbeit, welche die Leute in unserem Beruf bringen müssen, um diese Leistung auf den Punkt bringen zu können! Was an Vorbereitung, und von Anfragen abgekoppelt an Eigenleistung und Training investiert werden muss, damit man fit bleibt, dass man facettenreich arbeiten kann. Auch musst du dich permanent fortbilden, weil wir Scheine haben, die wir jährlich auffrischen müssen. Niemand in dieser Branche wird für Wochen, oder viele Tage hintereinander gebucht. Gerade als Stunt-Double sind wir eher selbstständige Tagelöhner. Als Koordinatorin sind es bei mir von 100 Tagen etwa 90 Tage Vorbereitung und 10 Drehtage.

Filmpuls:Weil Film immer auch mit Bildern und damit mit dem Aussehen der Menschen vor der Kamera zu tun hat – sollte man als Stunt-Double fotogen sein?

Cecilia Diesch:Eigentlich ist es irrelevant, wie du aussiehst! Wir sind Doubles. Man will unser Gesicht nicht sehen. Die Kunst des Doubles ist es, sich so zu bewegen, dass das Gesicht nicht erkannt wird und man nicht merkt, dass es nicht der Schauspieler ist.

Katja Jerabek:Die Fähigkeiten, die man mitbringt, sind das Wichtigste. Klar, die Statur sollte stimmen, aber man muss vor allem einen guten Job liefern. Das zählt!

GSA Stunt Weekend | © Foto: Marc Sieger

Cecilia Diesch Stuntfrau, Stunt-Double

Filmpuls:Was für einen Rat gebt ihr jemandem, der davon träumt, Stuntmann oder Stuntfrau zu werden?

Katja Jerabek:Erst mal, dass man akzeptieren muss, dass es bei diesem Beruf nicht um einen selbst geht! Das eigene Ego voranstellen geht gar nicht. Dann hab ich ganz großen Respekt davor, dass man eben alles, was im Film passiert, trennen können muss von der Realität. Wenn du vor der Kamera tust, als ob du mit dem Tod kämpfst, dass man das nicht nach Hause nimmt!

Cecilia Diesch:Es gibt schon Druck und mitunter Stress. Darum darf man nicht zu viel persönlich nehmen. Anrufe für Jobs kommen oft spontan und die Arbeitszeiten sind sehr lang und unplanbar, man muss relativ flexibel und privat einigermaßen gut aufgestellt sein. Das Umfeld sollte entspannt und tolerant sein mit kurzfristigen Absagen, ansonsten hat man schnell keine Freunde mehr außerhalb der Filmbranche. Man hat als Stuntfrau nun mal kein geregeltes Leben. Aber das ist auch das Spannende an meinem Beruf und ich habe sehr viel Glück mit meinem Partner, meinen Freunden und meiner Familie.

Katja Jerabek:Du musst der Typ Mensch sein, der das nicht nur ein Jahr mitmacht. Ich kann im Sommer normalerweise nie in den Urlaub fahren, weil da viele Drehs stattfinden und man nicht immer vorausplanen kann. Das muss man in Kauf nehmen. Du musst diesen Beruf lieben und leben.

Du darfst die German Stunt Association jederzeit kontaktieren und uns Fragen stellen.
Pamela Gräbe

Filmpuls:Mir fällt gerade auf, dass wir in diesem Interview nicht über Gefahren, Unfälle, Tod und Teufel gesprochen haben …

Katja Jerabek:Dafür bin ich auch sehr dankbar! Oftmals werden wir Stuntleute als Haudegen dargestellt. Oder werden immer gefragt, wie oft und wie wir uns verletzt haben, solche Sachen. Diese Sensationslust verkennt an unserem Beruf, wie professionell, aufwendig und sorgfältig jeder einzelne Stunt bis ins Detail vorbereitet wird. Stuntleute sind Profis darin, Risiken in jedem Detail im Voraus zu erkennen, richtig einzuschätzen und zu vermeiden!

Filmpuls:Wenn ich mich für den Beruf Stunt-Double interessiere, darf man sich dann bei der German Stunt Association melden, Pamela?

Pamela Gräbe:Ja, absolut. Man kann uns jederzeit kontaktieren und Fragen stellen. Die German Stunt Association (GSA) bietet auch Workshops an, die offen sind für Leute, die nicht Mitglied sind. Da können sich angehende Stuntleute vorstellen, mittrainieren und gucken, wie der Job ist. Jeweils im Frühjahr ist unser jährliches Stunt-Weekend. Das ist unsere Mitgliederversammlung mit ganz vielen Workshops über mehrere Tage. Dieses Jahr waren vier oder fünf Einsteiger dabei. Da sind auch Stunt-Koordinatoren vor Ort, die die Einsteiger unter die Lupe nehmen und Einblick in den Arbeitsalltag geben. Talentierten Interessenten können wir auch Hinweise geben, wenn Trainingsmöglichkeiten gesucht werden. In Berlin zum Beispiel gibt’s eine Gruppe Stuntleute, die regelmäßig trainiert. Später, wenn du die ersten Jobs als Stunt-Double hast, kannst du als Anwärter bei uns Mitglied werden. Da hat man dann die Super-Vernetzung, erhält wichtige Infos und lernt viele Leute kennen, damit man einen guten Einstieg hat in die Branche.

Der hier publizierte und gekürzte Text ist die Transkription eines Video-Interviews mit Katja Jerabek, Cecilia Diesch und Pamela Gräbe geführt hat. Filmpuls dankt allen Beteiligten ganz herzlich für die Mitarbeit und Offenheit bei der Beantwortung der Fragen. Die Umsetzung dieses Artikels erfolgte redaktionell komplett unabhängig und ohne Auftrag oder Bezahlung durch die German Stunt Association.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 10.08.2023

Redaktion Filmpuls 200 Artikel
Unter der Bezeichnung »Redaktion Filmpuls« erscheinen Beiträge, die von mehreren Redaktionsmitgliedern gemeinsam erstellt oder bearbeitet wurden.

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