Wenn es um Storytelling geht, gibt es zwei Fragen. Die zweite Frage lautet: Wie kann die Geschichte mit maximaler Wirkung erzählt werden? Hier kommt die Dramaturgie für Einsteiger ins Spiel. Und die erste Frage? Auch darauf findest du hier eine Antwort.
Die erste Frage, wenn es um Storytelling geht, ist diejenige nach dem Inhalt der Geschichte. Neudeutsch: den Content. Worum geht es? Was wird erzählt? Die zweite – nicht weniger wichtige – Frage lautet: wie wird erzählt?
Dramaturgie für Einsteiger
Anfang und Ende mögen, wie Geburt und Tod für einen Menschen und sein Umfeld, höchst existenziell sein. Wenn man auf den Namen Louis XVI. getauft wurde und als Bourbonen-König in der Französischen Revolution mit der Guillotine öffentlich geköpft wird, schreiben diese Fixpunkte sogar Geschichte.
Aus Sicht des Erzählers aber sind Start und Ende von Ereignissen nur zwei Eckpunkte. Entscheidend für das Storytelling ist, was in der Phase dazwischen passiert ist. Denn zwischen dem Anfangspunkt einer Story und deren Ende, da kann so ziemlich alles passieren, was die menschliche Vorstellungskraft zulässt. Deswegen benötigt das Storytelling für Film und Video einen Rahmen. Und ein Strukturprinzip, mit dem sich Lebenssachverhalte für ein breites Publikum nachvollziehbar und mit maximaler Spannung transportieren lassen.
Definition
Dramaturgie im Film heißt: Content (Geschichten) besser, stärker, wirkungsvoller zu erzählen. Wird die Story besser, wenn sie nicht in der Reihenfolge der Ereignisse erzählt wird? Sondern etwa als Rückblende? Aus wessen Perspektive wird von den Ereignissen berichtet? Wie baut man aus dem Stoff in einer Erzählung starke Spannungsbögen?
Die Filmdramaturgie bietet einen bewährten Rahmen für das filmische Erzählen von Storys. Nicht nur für Fortgeschrittene, sondern ganz besonders auch für Einsteiger ins Storytelling.
Die Wurzeln der Filmdramaturgie
Die Wurzeln der heutigen Filmdramaturgie liegen nicht nur bei den alten Griechen – die schon im Theater an der perfekten Erzählform gefeilt haben. Sondern maßgeblich auch bei den Ereignissen um den glücklosen Louis XVI. Denn ohne die während seiner glücklosen Regentschaft in Gang gekommene Französische Revolution hätte der korsische General Napoleon erfolgreich Europa auf den Kopf stellen können. Damit wäre es als Folge seines Kaiserreichs niemals zur späteren, vorübergehenden Wiederherstellung der alten Ordnung (Restauration) gekommen. Und exakte diese Instandsetzung der früheren guten alten Zeit, die hat bis heute Folgen für Film, Serien und Fernsehen.
Die Erfindung der 3-Akt-Struktur
Vor exakt zweihundert Jahren erkannten Autoren und Theaterbetreiber im Europa nach dem Ende der Herrschaft von Napoleon, dass sie im Theater die Schrecken der blutigen Vergangenheit zwar erfolgreich in Erinnerung rufen konnten. Dies aber vom Publikum nur dann geschätzt wurde, wenn letzten Endes auch auf der Bühne das Gute siegte.
Die für ein versöhnliches Ende notwendigen Szenen ließen sich in einer 3-Akt-Struktur perfekt auf jede Art Erzählung anwenden: In der ersten Szene wurde zuerst der Konflikt der wichtigsten Figur des Films gegen das Böse erzählt. Dann der Kampf des Helden gegen Bösewicht. Und schließlich der Sieg des Guten. Damit war, schon lange, bevor der Film überhaupt erfunden wurde, die klassische Filmdramaturgie geboren.
Anfang des letzten Jahrhunderts übernahmen die Filmpioniere dieses Strukturprinzip aus dem Theater. Es garantiert Hollywood und der Gaming-Industrie bis heute Milliardenumsätze und hat als Happy End weltweit Karriere gemacht.
Dramaturgie ist mehr als nur Anfang, Mitte und Ende
Dem griechischen Philosophen Aristoteles wird immer wieder die Urheberschaft der – vom Einsteiger in die Filmdramaturgie gerne zitierten – Feststellung zugeschrieben, dass jede Geschichte ein Anfang, eine Mitte und ein Ende hat.
Das ist doppelter Unsinn!
Einerseits findet sich bei Aristoteles kein solches Zitat. Andererseits sind Anfang und Ende für jede Geschichte zwar unbestrittener Maßen relevant. Aber sie sind für sich allein noch lange keine Geschichte.
Die Sache mit der Fallhöhe
Nicht Anfang und Ende, das Vorher und nachher, sondern alle Dinge, die dazwischen stattfinden und die Ursache von Start und Schlusspunkt sind, geben den Figuren und der Geschichte in einem Drehbuch ihren Wert. Sie müssen im Vordergrund stehen.
Diese Erkenntnis führt schnurstracks zu einem der am häufigsten angewendeten und technisch überaus starken Werkzeug: Kontrast. Filmemacher sprechen in diesem Zusammenhang gerne von Fallhöhe.
Profi-Tipp
Je größer der Verlust für die Figuren, je unüberwindbarer ein Problem für die Zuschauer scheint, desto stärker zieht die Handlung das Kinopublikum in den Bann. Darum besiegen im Spielfilm die Helden immerfort überlebensgroße Bösewichte. Darum liebt Hollywood Spider-Man, Superman, Wonder Woman, Thor und Batman.
Auf dem Weg zum Happy End sind – auch bei einer einfachen Dramaturgie für Einsteiger – Überraschung, Verzögerung und Wissensvorsprung gerne gesehene Gäste im Werkzeugkasten des gewieften Erzählers. Sie alle gewährleisten im Kanon mit dem filmischen Handwerkszeug die Faszination des bewegten Bildes. Dank ihnen werden Situationen zu Geschichten.
Dramaturgie für Einsteiger: 6 Profi-Tipps
Dramaturgie ist wie das Storytelling – und vieles andere bei Film und Video – ein Handwerk mit dem Potenzial zur Kunst. Ohne Talent führt der Weg in die Sackgasse. Bewährt als Handwerkszeug der Filmdramaturgie haben sich die folgenden Elemente, von denen du auch als Einsteiger profitieren kannst:
Sechs bewährte dramaturgische Mittel für Storytelling im Film:
Überraschung:
Es passiert etwas, das für den Zuschauer oder die Charaktere im Video oder Film nicht voraussehbar war.
Kontrast:
Gegensätze prallen aufeinander. Visuell, inhaltlich oder indem die Figuren in einem Spielfilm unterschiedliche Ziele verfolgen.
Verzögerung:
Die Lösung eines Problems scheint in greifbarer Nähe – und plötzlich taucht ein neues, möglicherweise noch größeres, Hindernis auf. Beispiel: bei einer Verfolgungsjagd wird der Verfolger unmittelbar vor dem Einholen einer flüchtenden Person von einem Taxi oder einem Eisenbahnzug zu einem Halt gezwungen – bevor er die Verfolgung wieder aufnimmt. Dieses dramaturgische Prinzip wird in der Fachsprache auch als Retardierung bezeichnet.
Wissensvorsprung:
Der Zuschauer weiß mehr, als die Personen im Film. Oder umgekehrt. Das berühmte Beispiel von Hitchcock dazu: Eine Familie isst in aller Ruhe zu Mittag und nur das Kinopublikum weiß, dass unter dem Tisch eine Bombe tickt.
Erregung:
Der Zuschauer identifiziert sich mit den Figuren in der Handlung und wird von dem, was diesen widerfährt, emotional berührt. Positiv oder negativ, durch Freude oder Hass. Auch darum bevorzugen viele erfolgreiche Autoren prinzipiell Storys, bei denen Charaktere, die das Kino- oder Serienpublikum aus der eigenen Lebenswelt kennt, unbekannten Herausforderungen gegenüberstehen. Es gilt: lieber bekannte Figuren in unbekannten Welten, statt unbekannte Figuren in bekannten Welten.
Humor:
Komische Momente, mehr oder weniger stark ausgeprägt, sind das Gegenteil des Spannungsaufbaus. Und darum nicht weniger wichtig als Hochspannung. Spannung und Entspannung bedingen einander. Darum ist Humor im Film ein wichtiges Mittel der Dramaturgie.
Diese Liste ist keine abschließende Aufzählung. Sie ist kein Rezept und garantiert allein für sich stehend keine erfolgreichen Filme, weil jedes Drehbuch und jede Story auch noch verfilmt werden müssen. Wenn du mehr über Filmdramaturgie lernen willst, kannst du das hier: roter Hering, MacGuffin und Tschechows Gesetz zur Erhaltung von Details.
Dramaturgische Mittel: Storyforming ist nicht gleich Storytelling
Die Dramaturgie ist die Art, wie eine Geschichte erzählt wird. Was die Geschichte ist, beantwortet das Storyforming. Für das Storytelling sind beide, Storyforming und Storytelling, von größter Wichtigkeit. Der Unterschied zwischen diesen beiden Begriffen wird hier erklärt.
Storyforming und Storytelling können sich wie bei „Shallow“ unterscheiden oder wie bei Mr. Robot und „Son of Saul“ nahezu synchron verlaufen.
Dramaturgie auf Wirkung testen
Wenn du das nächste Mal am Fernsehen einen TV-Spot siehst, probiere doch bitte das, was man in Erinnerung an Louis XVI. in der Dramaturgie den Bourbonen-Test nennt:
Frage dich, ob der Werbefilm, der dein Fühlen und Denken in wenig mehr als zwanzig Sekunden verändern will, nur ein auf deine Brieftasche niedersausendes Fallbeil ist? Oder ob da mehr ist?
Möglich ist es!
Fazit
Argumentiere im Umgang mit Dramaturgie bitte nicht mit begrenzten Budgets und der Dramaturgie für Einsteiger! Cineasten, Regisseure, Casting-Agenten wissen: Im Auge eines einzigen talentierten Schauspielers kann sich – sofern Erzählung und Story Hand in Hand gehen – das Universum spiegeln. Auch im Werbespot, bei Bullet Time Aufnahmen ohnehin, oder sogar in CEO Videos.
Das musst du wissen
- Dramaturgie ist das wie, während der Inhalt einer Geschichte das was ist. Festlegen, wie eine Geschichte am besten erzählt wird, das ist die Aufgabe der Dramaturgie.
- Aufgabe der Dramaturgie ist es, eine Geschichte besser zu erzählen.
- Es gibt sechs bewährte dramaturgisch Werkzeuge.
- Storyforming beschäftigt sich mit dem Inhalt (Was wird erzählt?). Storytelling mit der Frage, wie erzählt wird – und damit mit der Dramaturgie.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 21.10.2015
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