Heldenmutig ins eigene Verderben: »Der Fall Richard Jewell« von Clint Eastwood | Filmkritik

Richard Jewell Film Clint Eastwood
Szenenbild aus "Der Fall Richard Jewell" | © Warner Bros

Er hat es wieder getan. Trotz seinen knapp 90 Jahren realisierte Clint Eastwood einen weiteren Spielfilm, der es in sich hat. Der Fall »Richard Jewell« erzählt die Geschichte eines einfachen Sicherheitsbeamten, der unkontrolliert zum Helden und wenige Tage später zur tragischen Figur wird.

Streaming-Plattformen und Hollywood machen uns vor, wie man Digitalgeborene global an der Hand nimmt und idiotensicher durch eine Filmhandlung führt. Clint Eastwood, der längst zum verkannten Altmeister ebenso leiser, wie gesellschaftskritischer Filme geworden ist, kann das auch. Aber nicht nur.

Mit Heldenmut ins eigene Verderben: »Richard Jewell« von Clint Eastwood

Clint Eastwood schafft es, sein Publikum nicht nur zu fesseln, sondern noch während einer Erzählung auch wieder freizulassen. Seine Filme sind – anders als viele aktuelle Kinofilme – keine Heldenreisen für ein Publikum, das dumm geboren ist und nicht dazugelernt hat. Sondern auch eine Reise, die jeder Zuseher für sich selbst macht. Das gilt auch für »Richard Jewell«.

Kinotrailer »Richard Jewell« | Deutsche Sprache

Filmkritik der Fall Richard Jewell

The Making-Of | Englische Sprache

Richard Jewell | The Making of Richard Jewell | Warner Bros. Entertainment

»Richard Jewell« ist dabei keine Ausnahme. Dieser Film lässt uns teilhaben am Schicksal der Hauptfigur Richard Jewell, als wäre sie ein Familienmitglied. Gleichzeitig schafft die Regie immer wieder ganz gezielte Momente der Distanz. Damit erzeugt das jüngste Werk von Clint Eastwood einen Sog, dem man sich nur schwerlich entziehen kann.

Am gefährlichsten ist es, zu denken, alles sei perfekt. Das endet selten gut.
Clint Eastwood

Clint Eastwood bietet in »Richard Jewell« Raum, das Gesehene unmittelbar zu reflektieren. Er entwirft als Regisseur gewissermaßen eine Landkarte, auf der wir als Zuschauer eigenständig orientieren müssen.

Dieses Vorgegeben einer Richtung kann man »Richard Jewell« vorwerfen. Einige der im Film weniger vorteilhaft Porträtierten haben dies auch getan. Damit kritisiert man am Werk aber nur, dass es einen Handlungsstrang hat. Innerhalb dieser Handlung aber, und das fällt um vieles stärker ins Gewicht, bewegen sich die Schauspieler in einer Nähe zum Leben – und oftmals mit einer Hilfslosigkeit und Leere – die der Zuschauer gar nicht anders, als aus sich selbst heraus füllen kann.

Der Schauspieler-Regisseur

Eastwood hat als Regisseur schon seit seinem ersten Werk auf das Genie seiner Darsteller vertraut. Nicht nur Schauspielerin Hillary Swank hat er auf diese Weise zu Höchstleistungen und zu einem Oscar geführt.

Der großartige Paul Walter Hauser (33), der in »Der Fall Richard Jewell« erstmals eine Hauptrolle trägt, ist eine Entdeckung. Er schafft es, Filmklischee und Widerspruch zugleich zu sein. Und damit heldenmütig universale Nöte der menschlichen Existenz auf versöhnliche Weise zu verkörpern.

Gleichermaßen grandios spielt Kathy Bates, die dafür eine Oscar-Nomination erhielt, als Nebenrolle seine Mutter.

Based on a true Story: »Richard Jewell«

»Richard Jewell« ist ein altmodischer Film in einer neuen Welt. Die auf einer wahren Geschichte basierenden Handlung eines Helden kreist um die Olympischen Spiele 1996 in Atlanta, USA.

Die Hauptstadt von Georgia kämpfte zu dieser Zeit mit hoher Kriminalität. Um die mehr als drei Millionen Besucher und über 10‘000 Athleten, die für die Spiele erwartet wurden, zu beruhigen, erklärte der damalige Bürgermeister Atlanta zur „sichersten Stadt“ der Welt. Mehr als 35‘000 Sicherheitskräfte, ausgestattet mit einem Budget über 100 Millionen Dollar, sollten das Wohlbefinden der Besucher gewährleisten. Einer davon war Richard Jewell.

Trotzdem explodierte am neunten Tag der Spiele im Herzen der Stadt eine Bombe. Zwei Menschen starben: Eine Touristin sowie ein türkischer TV-Reporter, der während seines Berichts über das Attentat einem Herzinfarkt erlag. Mehr als hundert Menschen wurden verletzt.

Das IOC, das mit diesen Sommerspielen in den USA eine neue Dimension der Kommerzialisierung der Olympischen Spiele für sich erschlossen hatte, erklärte nach dem Attentat: „The Games must go on“. Angetrieben durch den Durst der Presse nach Neuigkeiten bei der Aufklärung und Rache, drängten Behörden und Politiker auf einen baldigen Ermittlungserfolg. Eine ebenso hilflose wie verzweifelte Suche nach dem Bombenleger nahm ihren Anfang. In ihrem Zentrum: Richard Jewell, ein übergewichtiger Sicherheitsangestellter, der mit 33 noch bei seiner Mutter lebte und davon träumte, ein richtiger Polizist zu werden.

Wie oft in den Filmen von Eastwood, geht es auch bei »Richard Jewell« am Ende um die ganz großen, tief menschlichen Fragen: Alle wollen das Beste. Nur verstehen sie unterschiedliche Dinge darunter. Dort, wo der uramerikanische Traum mit der Realität kollidiert, da beginnt die Meisterschaft von Eastwood als Regisseur.

Der Fall Richard Jewell
CAST
Richard JewellPaul Walter Hauser
Watson BryantSam Rockwell
Kathy ScruggsOlivia Wilde
Bobi JewellKathy Bates
Dr. W. Ray CleereCharles Green
Brandon WalkerMike Pniewski
u.v.a.
CREW
RegieClint Eastwood
DrehbuchBilly Ray, Marie Brenner
DoPYves Bélanger
MusikArturo Sandoval
EditorJoel Cox
ProduzentLeonardo DiCaprio, Jonah Hill, u.a.
LandUSA
Premiere2020
Folgen131Minuten
SpracheEnglisch

Leonardo DiCaprio und Jonah Hill

Wer sich die Mühe macht, die Namen im Abspann von »Richard Jewell« zu studieren, staunt. Unter den Produzenten tauchen höchst bekannte Namen auf. So der Schauspieler Leonardo DiCaprio und der Comedian Jonah Hill (der bei „The Wolf of Wall Street“, 2013, schon mit DiCaprio im selben Film aufgetreten ist).

Interessant und schön, dass eine junge Generation von Hollywood-Stars hinter den Kulissen das Schaffen von Clint Eastwood finanziell unterstützt. Leo DiCaprio ist mit Jahrgang 1974 gerade mal halb so alt wie der Altmeister. Jonah Hill, mit zarten 36 Jahren, könnte altersmäßig der Enkel des Regisseurs sein.

Clint Eastwood: Holzfäller, Hollywood-Star, Regisseur

Clint Eastwood wird diesen Mai neunzig Jahre alt. Er ist in den 30er-Jahren des letzten Jahrhunderts auf einer Hühnerfarm aufgewachsen. Vor seiner Hollywood-Karriere arbeitete er als Holzfäller, Tankwart und Lagerist. 1953 bekam er seine erste Sprechrolle in einem Spielfilm.

Zehn Jahre später wurde »Dirty Harry« mit dem Spaghetti-Western «Für eine Handvoll Dollar» zum Megastar und Legende. Für seine Regie-Arbeit bei «Million Dollar Baby» bekam er mit über siebzig Jahren gleich zwei Oscars. «Der Fall Richard Jewell» ist sein 41. Film, bei dem er Regie führt.

Jedes Projekt ist wie Zocken in Las Vegas. Ich bin oft zur Hälfte mit einem Film fertig, wenn die ersten Zweifel kommen. Dann frage ich mich: Will das überhaupt jemand sehen?
Clint Eastwood

Wer weiß, wie unglaublich anspruchsvoll und belastend die monatelangen Dreharbeiten für einen Spielfilm sind, der fragt sich, wie man es überhaupt schafft, im Alter von knapp 90 Jahren noch immer einen solchen Marathon zu laufen. Eastwood erklärt das in einem Interview mit den «guten Genen», die er von seinem Großvater geerbt hat.

Es ist ein Glück, dass der ehemalige Westernheld noch immer zu einer solchen Leistung fähig ist. Auch in »Der Fall Richard Jewell« beweist der Regisseur seine außerordentliche Beobachtungsgabe und den Respekt auch für Menschen, die vordergründig keine Chance auf Erfolg haben.

Der ehemalige Cowboy mag mit Bezug auf sein Menschenbild altersmild geworden sein. Sein Adlerauge und das Rückgrat aber sind geblieben.

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Zachery Z. 44 Artikel
Zachery Zelluloid war in der Unterhaltungsindustrie tätig. Er schreibt unter Pseudonym, weil er weder vertraglichen Schweigepflichten verletzen, noch das wirtschaftliche Fortkommen der Berufsgattung Anwalt fördern oder Freunde brüskieren will. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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