Wenn du diese Filmtheorie verstehst wird dein Video besser!

Katzen haben neun Leben. Ein Film hat vier Leben. Dies besagt die Filmtheorie der Wirkungsäquivalenz. Dieser Artikel erklärt, warum Drehbuchautoren, Regisseure, Producer und Cutter diese Theorie verinnerlicht haben. Und was der daraus entstehende Brückenschlag an Risiken und Chancen für Filmemacher und die Herstellung von Spielfilmen und Videos bedeutet.

filmtheorie wirkungsäquivalenz
Filmregisseur Lois Weber am Set von Angel of Broadway, einem amerikanischen Stummfilm von 1927, der von Cecil B. DeMille produziert wurde, aber bei dem Weber Regie führte.

Alte Hasen im Filmgeschäft schwören: Filme sind einfach anzusehen, weil sie schwierig zu machen sind. Schlaue Füchse wissen aber auch, dass ein Film oder ein Video nicht einmal, sondern immer viermal entsteht. Das ist für Filmemacher nicht nur Filmtheorie und Risiko, sondern auch eine große Chance.

Filmtheorie: 4 Stufen der Wirkungsäquivalenz

Wirkungsäquivalenz bedeutet in der Filmtheorie nichts anderes, als dass ein Film oder Video in allen Phasen seiner Herstellung auf ein identisches Wirkungsziel ausgerichtet sein muss. Filmtheorien unterscheiden dazu bei der Entstehung und filmischen Gestaltung eines Films oder eines Videos vier wesentliche Stufen: Story (Drehbuch), Verfilmung (Dreharbeiten), Bildmontage (Schnitt) und Publikumserfolg. Die Frage der Wirkungsäquivalenz ist die Frage nach dem Brückenschlag zwischen diesen vier Stufen.

  • Drehbuch
  • Dreharbeiten
  • Bildschnitt
  • Vorführung

Grafik: Warum jeder Film immer viermal entsteht

Drehvorbereitungen können fehlerhaft verlaufen und bei Dreharbeiten tanzt nicht selten der Bär oder ist der Teufel los. Ungleich kritischer und gefährlicher – aber auch interessanter aus Sicht der Filmtheorie! – ​wird es, wenn man die Entstehung eines Films nicht aus Sicht des Herstellungsprozesses, sondern unter Berücksichtigung seiner Wirkungsziele untersucht und gliedert.

Die Dreharbeiten sind die Korrektur des Drehbuchs. Der Schnitt ist die Korrektur der Dreharbeiten.
François Truffaut

Kinofilme, TV-Filme und Auftragsfilme beginnen im Kopf des Autors, des Regisseurs, des Creative Directors oder des Art Directors. Alle diese Personen haben ein großes Interesse daran, ihre Vision, ihr Konzept oder ihre Idee möglichst unverfälscht auf der Leinwand oder dem Bildschirm als Film und Video zu sehen. Das aber ist nur möglich, wenn der Film und sein ideelles Fundament eine Reise über vier unterschiedliche Stufen schadlos überstehen.

Diese vier Stufen der Wirkungsäquivalenz beim Film sind:

  • Story (Drehbuch)
  • Dreharbeiten
  • Filmschnitt (Bildmontage)
  • Publikumserfolg / Rezeption

Aus Sicht der Filmherstellung entstehen die größten Risiken bei den „Übersetzungsleistungen“, die auf Stufe Dreharbeiten und Filmschnitt geleistet werden müssen.

Die beabsichtigte Wirkung, welche die Grundlage und der Auslöser für den Start der Umsetzung war, kann sich allerdings auf jeder (!) diese vier fundamentalen Stufen verändern. Oder, im schlimmsten Fall, verloren gehen und damit einen Film oder ein Video sinnfrei und nutzlos werden lassen, das als Drehbuch oder nach dem Dreh noch das Potenzial zu einem Meisterwerk hatte. Umgekehrt kann ein Film seine wahre künstlerische Größe auch erst durch die Dreharbeiten oder im Filmschnitt erhalten.

1Drehbuch

Am Anfang war das Feuer. Und die Kraft der Kreation. Auch das Feuermachen begann mit einer Idee, einer Vision, gekoppelt an den hartnäckigen Willen, losgelöst von altbekanntem Wissen etwas Neues, noch nie dagewesenes, zu versuchen. Damit dieses Neue den (eigenen und fremden) Vorstellungen und Anforderungen genügt, ist seit jeher eine gehörige Portion Arbeit und Inspiration vonnöten. Auch beim Film. Die Kreation von Bewegtbild ist fern von jeder Filmtheorie langwierig, anspruchsvoll und oftmals schwierig.

Wenn das Wunder aber erst geschehen ist, gibt es nichts Schöneres auf dieser Welt als die erste Drehbuchfassung. Sie ist noch von den Zwängen der Produktionsrealität verschont. Noch ist das Drehbuch von einem möglichen Mangel an Talent unverdorben.

Dann aber geht es los: Wie für die Lachse bei ihrer langen Wanderung vom Meer in die Flüsse, reiht sich für den zukünftigen Film schnell einmal ein Hindernis an das Nächste.

2Filmherstellung

Ein Drehbuch, das Wort sagt es, ist ein Buch. Ein Drehbuch legt die Grundlagen. Wörter auf Papier machen möglicherweise einen Film. Aber sie sind (noch) kein Film. Um ein Film zu werden, müssen die Wörter und Sätze in Aktionen vor der Kamera verwandelt und in die Sprache der Schauspieler und in die Grammatik des Films übersetzt werden.

Ein Drehbuchautor kennt alle Tricks und Kniffs des Filmhandwerks, unterstreicht beim Drehbuch schreiben mit Satzrhythmus und Satzbau die von ihm beschriebenen Figuren und Wendungen in der Handlung, betont und simuliert gewissermaßen schon den späteren Schnitt.

Doch an der Übersetzung von einem Medium (Papier) in das andere (Film) kommt kein Script vorbei.

Warum es jeden Film und jedes Video viermal gibt!
Filmtheorie: 4 Stufen der Wirkungsäquivalenz bei Film und Video

Gelingt der Transfer von einer Darstellungsform (Wort) in eine andere (Bewegtbild) über die Medienarten hinweg, entsteht in der Filmtheorie eine Wirkungsäquivalenz zwischen Drehbuch und Verfilmung (gedrehtem Material). Der Herzschlag ist geblieben, der Kreislauf intakt und das Werk konkreter und schöner als je zuvor.

Wirkungsäquivalenz bei Dreharbeiten
  • In einer perfekten Welt erkennt der Autor als Vater der Idee sein Kind, welches nicht ohne großes Sorgen der Obhut des Regisseurs anvertraut hat, mühelos und mit Freude sofort wieder. Die ursprüngliche Vision wurde gewahrt. Aus einem guten Drehbuch ist ein guter Film geworden.
  • Im Alltagsgeschäft entstehen Filme im Rahmen der Dreharbeiten oftmals neu. Das gehört nicht nur beim Imagefilm erstellen zum Alltag. Der Inhalt entwickelt ein anderes, neues Leben, wird mit oder ohne Absicht durch äußere und innere Zwänge umdefiniert oder auf andere Art interpretiert, als auf der Stufe Kreation.
  • Was im Dokumentarfilm oder im Fernsehen beim Factual Entertainment und Light Entertainment ganz bewusst und kontrolliert zugelassen wird, ist für Marketing und Kommunikation mit Bewegtbild ein schlechter Ratgeber.
  • Imagefilme und TV-Spots sind wie maßgeschneiderte Schuhe. Ein klares Profil, den Zweck und Aufgabe bis ins Detail durchdacht und kein Wort im Drehbuch ein Zufall, das kennzeichnet die meisten Filme für Unternehmen.

Scheitert ein Auftragsfilm beim Erklimmen einer Stufe, scheitert immer auch der Aussagewunsch.

3Filmschnitt / Montage

Ebenso so wichtig wie die Dreharbeiten ist nach Meinung vieler großer Filmemacher, dazu gehören Martin Scorsese genauso wie der französische Kult-Regisseur François Truffaut, der Filmschnitt (Montage). In diesem Arbeitsschritt entsteht der Film nochmals, dialektisch montiert und vom Cutter verdichtet.

Wirkungsäquivalenz beim Filmschnitt
  • Im Schnitt erhält der Film die finale Form, die das Publikum zu sehen bekommt und wird das Filmerlebnis in die finale Form gegossen. Hinzufügen lässt sich im Schnitt nur, was bei den Dreharbeiten aufgenommen wurde.
  • Weggelassen werden kann in der Montage nahezu alles: Personen, Handlungsstränge, aber auch die ursprüngliche Absicht von Autor oder Regisseur.
  • Dazu braucht es nicht zwingend, wie in Hollywood, einen Produzenten, der in der Bildbearbeitung den Final Cut an sich reißt.
  • Die Montage kann einen Film retten. Oder in Grund und Boden reiten.

Auch auf dieser Stufe ist (nicht nur in der Filmtheorie) es alles andere als selbstverständlich, dass die im Drehbuch geborene und über die Dreharbeiten mit harter Arbeit gehütete Vision nicht doch noch eine Überführung in einen abweichenden Aussagewunsch erfährt.

4Publikumserfolg

Ist das Kunststück vollbracht und hat jeder Arbeitsschritt das Werk kongenial in ihre, sich von Stufe zu Stufe zunehmend konkretisierende Welt verwandelt, ohne seine Grundlage verloren zu haben, kommt der wahre Härtetest: das Publikum. Auf dieser Stufe gilt nach wie vor die Erkenntnis von Regisseur Billy Wilder: »Jeder einzelne im Publikum ist ein Idiot, aber alle zusammen sind sie ein Genie.«

Auch wenn Filme sehen aus Sicht der Wahrnehmung und der Filmtheorie ein höchst seltsamer, beängstigend individueller Vorgang ist: Das Publikum hat immer recht. Weil Filme immer Kommunikationsmittel und Wirtschaftsgut sind, bestimmt der Zuschauer, und nur er, letztlich über die finale Form der Wahrnehmung! Das trifft auch auf Filme und Videos im Internet zu. Bewegtbild ist das, was das Publikum in ihm sieht.

Fazit zur Filmtheorie der Wirkungsäquivalenz

In jeder der vier Phasen der Wirkungsäquivalenz muss ein Film in gewisser Hinsicht nochmals neu geschaffen werden. Jede Stufe bringt Chancen zur Korrektur von Fehlern aus vorhergehenden Stufen, birgt aber ohne Fachwissen, Talent und Erfahrung auch hohe Risiken.

Was heißt Wirkungsäquivalenz?

  • Jeder Film hat während seiner Herstellung vier Stufen zu überwinden. Bei einigen dieser Stufen kommt es zu einem Medienbruch (Wörter müssen in Bilder verwandelt werden, so beim Drehbuch), während das Projekt gleichzeitig in jedem Schritt weiter konkretisiert wird.
  • Ziel des Regisseurs muss es sein, seine Vision über alle Herstellungsschritte hinweg verfolgen zu können. Die schon im Drehbuch angestrebte Wirkung soll sichergestellt sein. Darum spricht man auch von der Theorie der Wirkungsäquivalenz (Gleichheit der Wirkung).
  • Die wichtigsten vier Umwandlungsschritte sind: vom Drehbuch zu den Dreharbeiten, von dort in den Schnitt und vom fertigen Film zum Kinopublikum.

Nicht ohne Grund kämpfen Regisseure um die Hoheit über den Schnitt, streben Autoren und Cutter nach dem Stuhl des Regisseurs und gilt die relativ neue Funktion des Showrunners bei Filmschaffenden in aller Welt als Nonplusultra.

Wer ganz scharf denken will, wird als fünfte Stufe, oder noch exakter, als Stufe dreieinhalb (also nach Schnitt, aber vor der Visionierung durch das Zielpublikum), filmtheoretisch einen weiteren Schritt als Voraussetzung für die Grundlagen zu einem erfolgreichen Film erkennen: die Vermarktung. Dazu gehören nicht nur Video Thumbnails für YouTube, sondern ein ganzes Universum. Und Kommunikation im Klartext

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 15.11.2016

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