Der schweizerische Verband der Produzenten für Auftragsfilme hat eine neue Studie über die eigene Branche publiziert. Die Studie „Filmproduktion Schweiz“ untersucht verschiedene Teilaspekte von Auftragsfilmproduktionen. Hier sind die wichtigsten Erkenntnisse und Fragen, die sich daraus ergeben.
Auftragsfilme sind Filme, die im Auftrag von einem Unternehmen oder einer Organisation durch eine Auftragsfilmproduktion erstellt und vollständig vom Auftraggeber finanziert sind.
Bedingt durch die schiere Masse der durch Steuergelder finanzierten öffentlich-rechtlichen SRG SSR, dominieren in den Augen von Öffentlichkeit und Politik nur zwei Player das schweizerische Filmschaffen: das Fernsehen und die Spielfilmproduktion / Dokumentarfilmproduktion.
Firmen für Auftragsvideos waren bisher nicht oder kaum auf dem Radar. Die im Auftrag des Branchenverbandes Swissfilm Association1 publizierte, neue Studie soll dieses Bild nun korrigieren. Erstellt wurde die Studie zur Filmproduktion Schweiz von der BAK Economics AG2, einem unabhängigen Schweizer Institut für Wirtschaftsforschung.
Alle Daten in den nachgehend aufgeführten Grafiken stammen aus der Studie „Die Filmproduktion Schweiz“.3 Ein Mouseover auf die interaktiven Grafiken legt die exakten Zahlenwerte offen.
Die in der Studie zur Filmproduktion Schweiz publizierten Fakten
Wie sieht die Struktur der Film- und Videobranche (nach FTE; Full-time-Equivalenz) in der Schweiz aus?4
In welcher Filmkategorie werden prozentual die meisten Filme produziert, gemessen an der Anzahl der jährlich produzierten Auftrags-Produktionen in der Schweiz (1540 Filme)?
Welche Filmkategorie generiert in Prozenten gemessen den höchsten Umsatz?
Volkswirtschaftliche Bedeutung / Umsätze Auftragsfilm und freier Film nach Schweizer Franken:
Zur Unterscheidung der wichtigsten zwei Kategorien: Freie Filmproduktionen (Spielfilm, Dokfilm) tragen die inhaltliche und operative Verantwortung nicht im Auftrag einer Drittpartei. Siehe dazu auch die bedeutende Definition des Auftragsproduzenten in Deutschland gemäß § 94 Urheberrechtsgesetz.
Rückschlüsse aus den Zahlen der Studie …
Dass der Werbefilm, gemessen an der Anzahl produzierter Filme, die Spitze der Rangliste anführt, überrascht wenig. Allerdings liegt hier die Schönheit der Definition im Auge des Verfassers der Studie über die Schweizer Filmproduktion: abhängig von der Art, wie das Filmprodukt „Werbefilm“ umrissen wird, lässt sich ebenso gut eine Konstanz oder ein Rückgang darstellen. Erstens, weil Imagefilme immer auch Werbung für eine Organisation oder eine Firma sind. Zweitens, weil immer mehr Werbefilme ihre traditionellen Alleinstellungsmerkmale verlieren und als Mischformen etwa in die sozialen Medien abwandern.
Wenig überraschend auch, dass innerhalb der Branche die Postproduktionshäuser strukturell ihre Relevanz in der Videobranche nahezu vollständig verloren haben. Ungeachtet ob 4K oder 8K, Filme lassen sich heute in jeder Produktionsfirma endfertigen. Die Ausnahme, als Nische, bilden wohl spezialisierte Anbieter für Motion Design und Animation. Interessant wird zu beobachten sein, ob die nächste radikale Innovation, die virtuelle Produktion, bedingt durch die hohen Investitionen in die dazu erforderlichen Infrastruktur, diesen Trend wieder zu drehen vermag.
… und Fragezeichen
Misst man die publizierte Studie zur Filmproduktion in der Schweiz mit Erfahrungswerten und Faustregeln der Videoproduktion, gelangt man zu einigen interessanten Erkenntnissen.
Nicht alle davon kann man ohne Fragezeichen stehen lassen.
Jeder Betriebswirt lernt im Rahmen seines Studiums, dass sich mit einer Faustregel der Umsatz für eine (gesunde) Firma mittels der Vollzeitstellen (FTE) abschätzen lässt. Damit ein Unternehmen mittelfristig bestehen und sich weiterentwickeln kann, muss pro Mitarbeitender Pi mal Daumen mindestens € 75.000 an Umsatz generiert werden.
Appliziert man diese Formel auf die publizierten Zahlen, wird in der Schweizer Filmbranche pro Mitarbeiter das Mehrfache erzielt: im Auftragsfilm nämlich nahezu 175.000 CHF. In der Dok- und Spielfilmproduktion sogar knapp 250.000 CHF.
Erzielen die Schweizer Filmschaffenden – und die Firmeninhaber erst recht – selbst bei den europaweit dominierenden tiefen Margen in einem von internationaler Konkurrenz geprägten Markt unfassbar hohe Einkommen?
Oder wurden die von den Firmen gemeldeten Umsätze mit einer gewissen Kreativität – möglicherweise angetrieben vom Ego oder der Angst, schlechter als Mitbewerber dazustehen – an die Verfasser der Studie über die Filmproduktion kommuniziert? Dies würde die Belastbarkeit der Untersuchung infrage stellen. Man vergleiche zu dieser Frage auch die zu einem gänzlich anderen Ergebnis kommende Studie des Schweizer Verbandes ARF/FD über das Einkommen bei Spiel- und Dokumentarfilmen.
Die Mehrheit aller Videoproduktionen in Europa besteht aus 3 Festangestellten, die – bedingt durch fortlaufend schrumpfende Budgets – bereits bei einem Jahresumsatz von 250.000 € am Ende des Geschäftsjahres die Sektkorken knallen lassen.
Setzt man die Währungen gleich und legt diesen Wert auf die Zahlen aus der Studie um, müssten in der Schweiz allein 1.520 Videoproduktionsfirmen existieren, die sich auf Auftragsfilme konzentrieren. Dies in einem Land, das zehnmal (!) kleiner ist als Deutschland.5 Der Auftraggeber der Studie über die Schweizer Filmproduktion, der einzige Schweizer Branchenverband der Schweizer TV,- Auftrags- und Werbefilmproduzenten Swissfilm Association, vereinigt aber nur knapp fünfzig Produktionsfirmen.6 Rund zusammen geht das nicht.
1 Nicht zu verwechseln mit Swissfilms, der staatlichen Vermarktungsorganisation für Spielfilme und Dokumentarfilme.
2 www.bak-economics.com
3 Quelle: „Die Filmproduktion Schweiz: Auszug aus der Studie, 2022“. Die in die Studie eingeflossenen Zahlen stammen aus einer Umfrage in der Filmproduktionsbranche und ziehen dazu die Werte aus dem Jahr 2019 als Basis, weil die zwei Folgejahre wegen COVID keine belastbaren Referenzwerte liefern konnten.
4 gemessen an der Anzahl Vollzeitstellen (FTE).
5 Vergleich Bevölkerung
6 Quelle: Webseite Swissfilm Association / EDI
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 13.10.2022
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