Wer A sagt, muss auch B sagen. Für B-Roll Footage und Videos gilt das nur, wenn man die Anwendung dieser Art Aufnahmen auch wirklich versteht und beherrscht. Nur diesfalls entsteht Mehrwert bei gefilmten Interviews. Dann aber kräftig.
Dieser Artikel erklärt, was es für die richtige Anwendung, u. a. bei Interview-Sequenzen und CEO Videos, in der Praxis zu beachten gilt. Am Ende des Beitrags sind zusätzlich eine Checkliste und Video-Beispiele aufgeführt.
Die A-Rolle und die B-Rolle
Der Begriff B-Roll ist ein Relikt aus der analogen Zeit. Als B-Rolle hat man damals ganz einfach die zweite Filmrolle beschriftet. Die A-Rolle enthielt die wichtigsten Aufnahmen eines Interviews oder Video-Testimonials. Alle anderen Aufnahmen, gewissermaßen das Material zur Ergänzung des Interviews, gehörten zur B-Rolle (englisch = B-Roll). Mit Pick-ups (wörtlich: dazu nehmen) ist dasselbe gemeint.
Wer nun aber glaubt, die A-Rolle sei für ein gelungenes Videointerview wichtiger, als es die B-Roll ist, kann auch gleich seine Oma in Scheibchen schneiden und verkaufen.
Was heißt B-Roll Footage?
Von B-Roll Footage (der englische Begriff Footage bedeutet Filmmaterial) spricht man nur bei Interview-Aufnahmen. Zu dieser Kategorie gehören auch Testimonials oder Stellungnahmen. Als Interview gilt alles, was zum Zweck hat, einen „Talking Head“ als Bewegtbild festzuhalten.
Bei Werbespots und Spielfilmen wird statt B-Roll oft auch von Material für asynchrone Zwischenschnitte gesprochen. Diese Bezeichnung bringt drei wichtige Eigenschaften der B-Roll auf den Punkt:
- Erstens wird B-Roll nicht während dem Dreh des Interviews aufgenommen. Sondern erst nachträglich zum Hauptdreh. Bei einer gleichzeitigen Aufnahme spricht man nicht von B-Roll. Sondern von einem Dreh mit mehreren Kameras (mehr dazu: Wie viele Kameras benötigt ein Testimonial).
- Zweitens sind B-Roll Aufnahmen nicht zwingend synchron zum Hauptmaterial. Das müssen sie auch nicht. Dies, weil sie oftmals Dinge zeigen, die entweder losgelöst von der Zeit stattfinden oder auf der Zeitachse nicht zuordenbar sind, weil sie eine gewisse Beliebigkeit besitzen. Zudem, auch das ist wichtig zu wissen, läuft die Tonspur des Hauptmaterials weiter. Wo das Zusatzmaterial zum Einsatz kommt, hört man die Stimme des Interviewpartners im Off.
- Drittens fügt sich eine als B-Roll gedrehte Einstellung immer zwischen eine längere Sequenz mit der Hauptaussage. Sei es, um diese zu illustrieren. Oder um in der Hauptsequenz gemachte Statements zu unterstreichen.
B-Roll besitzt also immer eine unterstützende, dienende Funktion. Sie muss sich einer Hauptaussage unterordnen. Zweitklassig darf sie darum nicht sein. Im Gegenteil.
Bilder sagen mehr als Worte
Jedes Videointerview ist ein kleiner Widerspruch in sich. Film und Video sind immer dann besonders stark, wenn sie das tun, was andere Medien nicht können. Ein Text (und viele Interviews in Videoform sind am Ende des Tages leider nichts anderes) kann auch in geschriebener Form oder als Audio-File transportiert werden.
Geschieht die Übermittlung als Video, hat dies meist nur zwei Vorteile gegenüber den vorerwähnten Arten.
- Einerseits bekommt der Absender ein Gesicht.
- Andererseits, je nachdem, ob dieses Gesicht glücklich schaut oder eine bedrückte Miene macht, erhält man zu einem gewissen Grad einen Eindruck davon, wie der Absender zu dem steht, was er da gerade kommuniziert.
Hier nun kommt die B-Roll ins Spiel:
Klopft der Finger des Sprechenden während dem Interview in einem Zwischenschnitt entschieden auf den Tisch, während die Stimme im Off gleichzeitig sagt «dazu habe ich eine klare Meinung», unterstreicht diese Geste die Entschlossenheit der Aussage.
Auch Illustrationen einer Aussage sind mit dem Mittel des Zwischenschnitts möglich. Sagt der CEO «unser Gewinn ist um 15 % gestiegen» mag das für den zusehenden Zuhörer möglicherweise weniger eindrücklich sein, als wenn dieselbe Aussage durch dazwischen geschnittene Aufnahmen von glücklichen Kunden gestützt wird.
Mit diesem Beispiel wird gleichzeitig klar, warum B-Roll Material auch sehr problematisch sein kann.
Die schmale rote Linie
Die Montage von Film und Video lädt geradezu dazu ein, durch die Gewichtung und Abänderung der Reihenfolge von Einstellungen neue Aussagen zu schaffen. Weil diese nur im besten Fall deutlicher sind, im schlechtesten aber geradezu manipulativ, erfordert der Umgang mit B-Roll mehr als nur handwerkliches Geschick.
Die redaktionelle Verantwortung, die mit der Arbeit mit B-Roll einhergeht, darf nicht unterschätzt werden.
Bewegtbild strebt immer nach Superlativen. Da liegt die Versuchung nahe, dem starren CEO durch das Einschneiden von Gesten etwas mehr Dynamik zu verleihen. Schließlich bezahlt er dafür, gut im Video herüberzukommen.
B-Roll, soviel ist richtig, ist oftmals auch eine Art Verbandstoff. Zwischenbilder arrangieren inkohärente Aussagen neu.
Viele Schnitte auf der Ebene Ton sind ebenso erst dank der B-Roll Footage überhaupt möglich. Von unendlich vielen «ähs» und «hmms» in Interviews bleibt der Zuseher, übrigens auch am TV, nur durch asynchrone Zwischenschnitte verschont.
Wo aber mit den Mitteln der Montage die Kernaussage eines Interviews nicht verstärkt, sondern verfälscht wird, lügt das Bild.
Umsetzung von B-Roll Aufnahmen in der Praxis
Auch wenn es blöde klingt, B-Roll Footage scheitert oftmals daran, dass nicht, oder erst in letzter Sekunde, an sie gedacht wird. Wer sie nicht einplant und mit dem Kunden oder Interviewpartner abspricht, dass nach dem Interview noch einige Minuten für diesen Zweck drehen darf, hat meist schon verloren.
Der erfahrene Regisseur oder Redaktor geht für den Dreh von Zusatzmaterial ganz gezielt vor. Er beobachtet beim Dreh des Interviews den Menschen vor der Kamera, schaut auf dessen Gesten und analysiert die Aussagen. Anschließend realisiert er auf dieser Basis ergänzende Einstellungen. Trinkt der CEO beim Interview aus einem Wasserglas, kann dies mit einem Close-up aus einer anderen Perspektive nochmals aufgenommen werden. Das gilt auch für Gesten, Blicke und andere Elemente der Körpersprache.
Weil in solchen Fällen die Porträtierten vor der Kamera größtenteils normale Menschen sind, darf die Regie nicht der Versuchung anheimfallen, Anweisungen wie für Schauspieler zu geben. Auf natürliche Weise ein Glas Wasser zu trinken, das kann für Laien erstaunlich schwer sein. Natürlicher wirkt es, wenn nicht die gewünschte Geste stumm wiederholt wird, sondern man auch die dazugehörige Frage und Antwort nochmals repetiert.
Blitzen und Archiv
Später im Schneideraum gilt es dann zu entscheiden, wo und in welchem Umfang im Editing mit B-Roll das Interview auf Perfektion getrimmt werden kann und getrimmt werden darf. Steht die Gefahr von Manipulation im Raum, um eine Aussage von Versprechern und Wiederholungen zu bereinigen, macht man es besser so wie viele TV-Redaktionen. Man verzichtet auf B-Roll und arbeitet mit sogenanntem Weißblitzen. Wie das Wort es sagt, wird durch das Einfügen von wenigen weißen Frames verdeutlicht, dass an dieser Stelle die Aufnahme geschnitten wurde. Blitzen wird als Code vom Zuschauer verstanden, nicht zuletzt, weil er es vom Fernsehen her kennt.
Darum gilt: lieber gut geblitzt als schlecht zwischengeschnitten. Das gilt immer auch dann, wenn aus Zeit- oder anderen Gründen nicht genügend vernünftiges Material für Zwischenschnitte generiert werden kann.
Wo mit B-Roll eine Aussage illustriert wird (wie im vorangehend erwähnten Beispiel mit dem 15 % Gewinn), gilt es einen Grundsatzentscheid zu treffen. Man kann das Material für die illustrierende Zwischensequenz selbst drehen. Oder aber das dafür notwendige Material aus einem Archiv wie Shutterstock, iStockPhoto oder Adobe oder zu lizenzieren. Beides sind gangbare Optionen.
Für welchen Weg man sich entscheidet, hängt von der Qualität, der verfügbaren Zeit und wie immer von den Kosten ab.
Checkliste
Woran gilt es bei der Realisation von B-Roll Footage zu denken? Welche Entscheidungen fallen an? [1]
Dreh / Bearbeitung | Anmerkung | |
---|---|---|
01 | Einbezug in Konzept und Drehbuch | idealerweise in Varianten |
02 | genügend Zeit vor Ort einplanen | Drehplanung / Call Sheet |
03 | Vorbesprechung mit Interviewpartner | auch direkt vor Dreh möglich |
04 | situativ entscheiden welche Elemente | bestehende Elemente aus Interview verstärken |
05 | redaktionell gewichten | wenn Inhalt bekannt, gezielt Schwerpunkte illustrieren |
06 | Glaubwürdigkeit sicherstellen | wenn nicht möglich, verzichten |
07 | Integrität der Aussagen | Verfälschungen sind nicht statthaft |
08 | Dreh oder Archivmaterial | wenn nicht vor Ort zu realisieren |
[1] Quelle: filmpuls.info
Aus inhaltlicher Sicht sind denkbar? [2]
Interview im Büro | zu beachten | |
---|---|---|
09 | Person am Schreibtisch sitzend | idealerweise in Varianten, ruhig blickend |
10 | zum Schreibtisch gehend | eher zur Einführung / Exposition |
11 | Handbewegungen / Gesten | muss für konkrete Person stimmig sein |
12 | Tätigkeiten beim Sprechen | Kugelschreiber in Hand, Wasser trinken |
13 | Reflexion | Augen, ruhige Hand auf Pult |
14 | Illustration externe Vorgänge | im Tempo auf Interview abgestimmt |
[2] Quellenangabe filmpuls.info
Naheliegenderweise sind immer Wirkung und Kernaussage entscheidend. B-Roll um der B-Roll willen zu realisieren, weil es mehr oder weniger professionell aussieht, ist der falsche Entscheid.
Ergänzende und illustrierende Aufnahmen haben unzweifelhaft das Potenzial, Aussagen visuell zu verstärken. Missverstanden, können sie aber auch eine zusätzliche Hürde bilden und Distanz zum Inhalt schaffen. Dies ist immer dann der Fall, wenn der Betrachter die Absicht von B-Roll spürt und diese die Authentizität nicht fördert, sondern zerstört,
Beispielvideos: 3 Optionen
Beispiel 1: Der Schnitt erfolgt im Video direkt von Einstellung zu Einstellung, die Übergänge zwischen den Bildern wirken zwar authentisch, aber auch hart. Die Bilder springen. Für den Zuschauer ist die Bearbeitung der Aufnahmen (Wegschneiden von Textstellen) unmissverständlich klar.
Beispiel 2: Die Übergänge zwischen einzelnen, bearbeiteten Sequenzen werden aufgeblitzt. Die Bildsprünge entfallen, die Schnittstellen und redaktionellen Kürzungen / Bearbeitungen sind unmissverständlich.
Beispiel 3: Die Übergänge im Interview werden mit B-Roll Footage kaschiert. Ob hinter dem Übergangsbild eine Manipulation erfolgt (Tonschnitte, fehlende Textstellen) oder nicht, ist für den Zuschauer nicht erkennbar.
Anmerkung: die Bearbeitungen des hier zitierten Beispielvideos wurden einzig zur Veranschaulichung der unterschiedlichen Arten von Übergängen und zur Demonstration der Anwendung von B-Roll vorgenommen. Bild- und Tonebenen wurden hierzu nicht in finaler Qualität bearbeitet. (Ausgangsmaterial: YouTube Video)
Fazit
Das musst du wissen
- Als B-Roll Footage bezeichnet man Aufnahmen, die ergänzend angefertigt werden. Heute sind damit meist Einstellungen gemeint, die bei Interviews oder Botschaften zwischengeschnitten werden können.
- Der Einsatz einer zweiten Kamera bei einem Interview unterscheidet sich von B-Roll, weil diese nicht zeitversetzt (losgelöst von den Hauptaufnahmen) erstellt werden.
- B-Roll-Aufnahmen sind meist Details: Hände, wippende Füße, Finger mit einem Kugelschreiben, alternativ auch das Rauschen des Windes in den Blättern eines Baumes vor dem Bürofenster.
- Aufnahmen von B-Roll Material müssen ebenso in die Drehplanung aufgenommen werden, wie der Hauptdreh. Mal eben ein paar Details drehen, ist selten zielführend.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 12.12.2017
Teile jetzt deine Erfahrungen