Welche Anzahl Kameras ist für den Dreh eines guten Interviews tatsächlich erforderlich?

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Ist weniger mehr – oder weniger, wenn es um Dreharbeiten mit mehreren Kameras geht? | © Symbolbild: Pavel Sokolov

Bei Unternehmensvideos steht immer die Frage im Raum, wie viele Kameras bei Dreharbeiten eingesetzt werden müssen, damit ein Interview hochprofessionell wirkt. Dieser Artikel führt mit einer Frage-Checkliste und anhand von acht praxisorientierten Kriterien zur Bestimmung der Kameraanzahl zur richtigen Antwort.

Wie viele Kameras benötigt ein gutes Interview? Darf man eine Führungspersönlichkeit auf C-Level mit nur einer Videokamera interviewen? Oder muss als Zeichen der Wertschätzung und Qualitätssicherung prinzipiell eine zweite Aufnahmeeinheit zum Einsatz kommen, damit die Videoaufnahmen überzeugen? Was bedeuten diese Fragen für Planung und Projektbudget?

Wie viele Kameras beim Dreh einsetzen?

Das Kameraobjektiv ist das Auge des Zuschauers. Daraus – und aus den zu vermittelnden Botschaften – leiten sich alle Antworten zur Anzahl Kameras ab. Für die Wahrnehmung, psychologisch, inhaltlich und technisch. Set-up mit zwei Kameras? Dabei gilt es immer erst sieben grundlegende Voraussetzungen zu klären:

Dreh mit zwei Kameras?

  1. Zielsetzung:

    Was ist die beabsichtigte Wirkung? Wie lautet das Ziel des Interviews? Welches ist die Kernbotschaft?

  2. Erfahrung:

    Besitzt die Person im Interview Erfahrungen aus früheren Dreharbeiten? Oder kommt Bewegtbild das erste Mal zum Einsatz?

  3. Augenkontakt:

    Soll der Protagonist im Video dem Zuschauer direkt in die Augen blicken, vergleichbar mit einem persönlichen Gespräch?

  4. Interviewer:

    Gibt es einen Interviewer oder Moderator, der die Fragen stellt?

  5. Gespräch oder Monolog:

    Wenn eine Drittperson als Sparringspartner dient: Ist diese im Bild sichtbar? Oder unsichtbar? Kann sie auf unklare Antworten eigene Rückfragen stellen? Oder bleibt die Moderation außerhalb des Bildausschnitts und ist „nur Hilfsmittel“ bei der Aufzeichnung eines Monologs?

  6. Dynamisch oder statisch:

    Soll das Interview dynamisch-bewegt oder mit Blick auf die Botschaften oder die vermittelnde Person eher statisch-kontrolliert erscheinen?

  7. Proben:

    Erlaubt die Agenda eine Vorbesprechung mit einem wenig bedien-gewohnten CEO? Proben? Steht mehr als eine halbe Stunde Drehzeit zur Verfügung? Empfiehlt sich vorab ein Medientraining?

Die Beantwortung dieser Punkte kann nur dann zielführend zur Bestimmung der Anzahl Kameras erfolgen, wenn die Botschaft, welche vermittelt werden soll, definiert und von allen Beteiligten akzeptiert ist. Erst damit verdeutlicht sich, ob eine zweite Kamera einen Mehrwert ergibt.

Anleitung: Multicam-Dreh ohne zweite Kameraperson (englische Sprache) | © Crimson Engine / YouTube

Shooting Interviews SOLO with TWO cameras

Anzahl Kameras: 8 Entscheidungskriterien

Bei der Bestimmung der Kameraanzahl helfen dienen acht Kriterien aus der Praxis als Orientierungshilfe. Sie gelten für professionelle Videoproducer als empfohlene Vorgehensweise.

Kriterien zur Bestimmung der Anzahl Videokameras:

  1. Die Form folgt der Funktion:

    In einem Corporate Video geht es darum, Inhalte und Emotionen zu transportieren. Deren Übermittlung erfolgt in einem Interview ausschließlich über die auftretende Person. Allenfalls ergänzt durch grafische Elemente, Titel, Charts, B-Roll und Einspieler (Video-Clips). Die filmische Form hat sich darum dem Inhalt unterzuordnen. Im Vordergrund stehen Glaubwürdigkeit und Verständlichkeit. Nicht Inszenierung. Eine zweite oder dritte Kamera ergibt immer nur dann Sinn, wenn sie diese zwei Faktoren nicht verwässert, sondern – aus Sicht des Zielpublikums – verstärkt.

  2. Kameras sind Mittel zum Zweck:

    Technik ist bei einem Interview mit Video das Mittel zum Zweck. Nicht Selbstzweck. Auch bei der Frage, wie viele Kamerasets auf dem Set erforderlich sind. Content wird nicht attraktiver durch den Einsatz mehrerer Bildperspektiven. Wie gedreht wird, ist weniger wichtig als der Inhalt. Nur wenn die Botschaften sitzen und souverän in der Videoaufnahme vermittelt werden, lohnt sich das Nachdenken über die Erhöhung der Komplexität durch den Einsatz mehrerer Blickwinkel.

  3. Video kann nicht zaubern:

    Viele Leader sind aufgrund ihrer Persönlichkeit Medien-affin und als Folge spezialisierter Trainings hochgradig TV-tauglich. Ist dem nicht so, verbessert der Einsatz von zwei oder mehr Aufnahmeeinheiten nicht! Die oft kolportierte Meinung, ein Mehrkamera-Dreh ermögliche die Kaschierung einer schlechten Performance, ist Unfug: Ein schlechter Auftritt aus zwei Blickwinkeln gedreht, wird damit nie besser. Bildschnitte, die Fehler verbergen, werden als solche erkannt. Sie schaden der Glaubwürdigkeit. Unsicherheit lässt sich effizienter vermeiden, indem man zusätzlich mit einem Moderator arbeitet (siehe 5).

  4. Technik multipliziert Ängste:

    Das Auftreten in einem Video fällt den meisten Menschen leichter, wenn sie nicht einer imposanten Batterie aus Gerätschaften mit einem Set-up von zwei Kameras oder mehr gegenüberstehen, die erdrückend wirkt. Viele Videoproduktionen wollen ihre Professionalität und ihre Leistungsfähigkeit mit dem Einsatz von viel Technik unterstreichen. Bei Interviews ist das falsch. Und kein Kriterium zur Klärung, wie viele Kameras am Drehort erforderlich sind.

  5. Moderation:

    Der Mehrkamera-Einsatz erlaubt unterschiedliche Perspektiven. In einer Konstellation mit Moderation (Fragesteller) erlaubt nur dieses Set-up einen fließenden Schnittwechsel vom Fragesteller auf den Befragten. Umgekehrt hat diese Arbeitsweise Auswirkungen auf die Besetzung des Teams und führt zwingend zu höhere Kosten für die Mieten und – sofern kein Live-Schnitt erfolgt – die Bild-Nachbearbeitung.

  6. Teleprompter vermeiden:

    Die Digitaltechnik hat die Produktion von Interviews zu einer Commodity gemacht. Als Strafe dafür hat der Teufel den Teleprompter erfunden. Ein Teleprompter ist ein halbtransparenter Spiegel vor der Linse. Auf diesem wird – unsichtbar für den Zuschauer – ab Laptop der zu sprechende Text eingeblendet. Für Nachrichtensprecher im TV-Studio ist diese Technik ein nicht wegzudenkender Standard. Nur: TV-Moderatoren haben das Ablesen ab Teleprompter über Wochen gelernt und trainiert. Darum sieht ihr Ablesen mühelos aus. Versucht sich eine ungeübte Person an einem Teleprompter, flackert der Blick von rechts nach links und von oben nach unten den Textzeilen entlang! Jede Authentizität geht mit einer sprechenden Pappfigur flöten. Darum: Finger weg!

  7. B-Roll:

    Aufnahmen, die nach oder vor dem eigentlichen Interview (A-Roll-Aufnahmen) zusätzlich gedreht und im Videoschnitt in dieses eingefügt werden, bezeichnet man als B-Roll. Für den Laien erwecken diese Bilder bei einer professionellen Umsetzung den Eindruck eines Mehrkamera-Drehs. Der Inhalt von B-Roll-Aufnahmen beinhalten Gesten und Detailaufnahmen, die nicht synchron zum Sprachinhalt sind. Spätere Kürzungen und Tonschnitte sind auf diese Weise unauffällig möglich. Kein Zusammenhang mit B-Roll besitzt bei einem Multikamera-Dreh die Unterscheidung der unterschiedlichen Camcorder in A-Cam, B-Cam etc.

  8. Budget:

    Die Frage, wie viele Kameras ein Interview mit Video benötigt, hat erhebliche Folgen für die Herstellungskosten. Zwei Kameraeinheiten kosten mehr als nur eine Videokamera mit bloß einem Operator. Zu den Mietkosten für das Equipment kommen höhere Transportkosten und Versicherungskosten hinzu. Auch die Synchronisation von zwei Videostreams und der Schnitt mit zwei Bildquellen sind aufwendiger. Wo das verfügbare Produktionsbudget restriktiv ist, erübrigt sich darum die Diskussion, wie viele Filmkameras auf dem Set erforderlich sind.

Bei einer idealen Zusammenarbeit zwischen Filmagentur und Auftraggeber verbinden sich die konkreten Antworten und Ziele zusammen mit weichen und harten Faktoren zu einer „wasserdichten“ argumentativ nachvollziehbaren Grundlagen für das Videobriefing.

Fazit

Wie viele Kameras: Lessons learned

  • Die Anzahl Kameras lässt sich nur über die Frage nach der erwünschten Wirkung eines Videos und dessen Aussagewunsch professionell bestimmen.
  • Eine zweite Kamera ergibt nicht in jeder Konstellation einen Mehrwert.
  • Ebenso entscheidend, wenn nicht sogar wichtiger, ist die Frage nach Erfahrung und Entertainer-Qualität der interviewten Person.
  • Ein schlechter Auftritt wird auch mit einem Mehrkamera-Dreh und der Multiplikation der Aufnahmeeinheiten und Blickwinkel nicht besser.
  • Ein Übermaß an Technik schüchtert Menschen ein, welche das Rampenlicht nicht mögen. Weniger ist in diesen Fällen mehr.
  • Filmtechnische Kaschierungen von mangelhaften Antworten, Lücken und Sprünge im Video-Editing werden vom Zuschauer bemerkt. Sie mindern die Authentizität und Natürlichkeit.
  • Lieber perfekt mit B-Roll arbeiten, als mangelhaft einen Mehrkamera-Dreh realisieren.

Welche Arten von Interviews mit Video es gibt und was es zu beachten gilt, wenn Bewegtbild ohne professionellen Produktionspartner realisiert wird, erklärt der Filmpuls-Leitfaden zu Video-Testimonial. Ebenfalls lesenswert: Checkliste für das Casting und Kameratest der PXW-Z90 von Sony.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 15.10.2015

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