Filmdramaturgie: Roter Hering, MacGuffin und Tschechows Gesetz zur Erhaltung von Details

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Harrt der Dinge, die da kommen: Drehbuchautor:in | © Cartoon: Pavel Sokolov

Rote Heringe, MacGuffins und Tschechows Gesetz zur Erhaltung der Details sind alles Begriffe, die verwendet werden, um erzählerische Elemente zu beschreiben, die in eine Story eingeführt werden, um das Publikum absichtlich in die Irre zu führen oder abzulenken. Häufige Beispiele für Ablenkungsmanöver sind scheinbar unbedeutende Figuren, die später eine wichtige Rolle in der Entwicklung der Handlung spielen, oder die Einführung von Details, die sich als Vorahnung von Ereignissen erweisen, die erst viel später in der Geschichte eintreten werden.

Täuschungen wie rote Heringe und MacGuffins dienen dazu, Spannung zu erzeugen und das Publikum im Ungewissen zu lassen. Anders Tschechows Gesetz der Erhaltung der Details. Es diktiert, dass jedes Element in einer Erzählung einen Zweck erfüllen und für die Handlung relevant sein muss. Das bedeutet, dass überflüssige Details, die in die Erzählung eingebaut werden, das Publikum nur verwirren und frustrieren. Deshalb ist es wichtig, dass die Autorinnen und Autoren darauf achten, wie und warum sie jedes Element in ihre Storys einbauen.

Roter Hering in der Dramaturgie

Der rote Hering ist in der Kunst des dramatischen Erzählens ein Ablenkungsmanöver. Rote Hering sind Element, das absichtlich in die Erzählung eingeführt wird, um die Zuschauer abzulenken oder in die Irre zu führen. In traditionellen Theaterstücken kann der rote Hering etwas so Einfaches wie ein Brief oder ein Umschlag sein, der sich am Ende als unwichtig herausstellt. Bei Drehbüchern für Filme und in Serien werden rote Heringe als Ablenkungsmanöver oft mit einer scheinbar für die Handlung unbedeutenden Figur verkörpert, die später, wenn es auf den Höhepunkt der Story zugeht, plötzlich eine wichtige Rolle spielt.

Dasselbe Prinzip in der umgekehrten Anwendung zur Irreführung des Publikums ist eine Nebenhandlung, die auf den ersten Blick bedeutsam erscheint, aber letztlich viel weniger Einfluss auf die Haupthandlung hat als erwartet. So gibt es in Shakespeares „Hamlet“ eine lange Nebenhandlung über Fortinbras, den Prinzen von Norwegen, der versucht, Ländereien zurückzuerobern, die früher seinem Vater gehörten und die vermutlich an ihn vererbt werden. Dieser rote Faden zieht sich durch das ganze Stück und scheint relevant für die Haupthandlung, aber am Ende hat das keinen Einfluss auf das Ergebnis.

Eine weitere, subtilere Anwendungsform des roten Herings ist die Einführung von Details, die sich als Vorahnung für Ereignisse erweisen, die im späteren Handlungsverlauf entscheidend sind.

Erfinder des McGuffin, Meister der Dramaturgie
© Foto: mediawiki
Hitch

Alfred Hitchcock - The Master of Suspense

Alfred Hitchcock, einer der bekanntesten Filmemacher aller Zeiten, wurde 1899 in England geboren. Sein unverwechselbarer Stil, der sich durch spannende Handlungsstränge und unerwartete Wendungen und MacGuffins auszeichnet, brachte ihm die Spitznamen „The Master of Suspense“ und „Hitch“ (Deutsch = Haken / Angelhaken) ein.

Hitchcocks Filme befassten sich oft mit dunklen Themen wie Mord, Besessenheit und Geisteskrankheit. Zu seinen bekanntesten Filmen gehören „Psycho“, „Rear Window“ und „Vertigo“.

Obwohl er nie einen Academy-Award für die beste Regie gewann, wurde Hitchcock 1979 mit dem renommierten AFI Life Achievement Award ausgezeichnet. Er starb vier Jahre später im Alter von 80 Jahren. Hitchcocks Vermächtnis beeinflusst auch heute noch Filmemacher und macht ihn zu einem der einflussreichsten Regisseure der Filmgeschichte.

Der Begriff „Roter Hering“ (englisch: Red Hering) stammt von der Praxis, einen mit Salz geräucherten oder gepökelten Fisch zur Ausbildung von Jagdhunden zu verwenden. Der starke Geruch des Fisches sollte die Jagdhunde davon ablenken, der Fährte ihrer Beute zu folgen. Auf ähnliche Weise der Einsatz eines Ablenkungsmanövers in einem Drama soll das Publikum vom eigentlichen Geschehen ablenken und seine Aufmerksamkeit auf etwas anderes lenken.

Wie funktioniert ein MacGuffin?

MacGuffins sind ein häufiges Element in Filmen und anderen fiktionalen Werken. Sie sind Objekte oder Figuren, die als Auslöser und treibende Kraft hinter der Handlung dienen, dabei die Geschichte zusammenhalten und die Handlung unausweichlich vorantreiben. Genauso wie der rote Hering sind sie ein wesentlicher Bestandteil des dramaturgischen Werkzeugkastens jedes Erzählers.

MacGuffins können alles sein, von einer Konservenbüchse bis zu einer geheimen wissenschaftlichen Entdeckung. Nicht das Objekt an sich ist entscheidend, sondern dessen Funktion als dramaturgischer Dreh- und Angelpunkt für den Fortgang der Handlung.

MacGuffins regen unsere Fantasie an und helfen uns, unsere Ungläubigkeit zu überwinden, indem sie uns etwas Spannendes bieten, für das wir uns interessieren. Ungeachtet, ob wir dem Helden die Daumen drücken, dass er den MacGuffin vor dem Bösewicht findet, oder ob wir einfach nur mitfiebern, wie sich die Ereignisse entwickeln: MacGuffins lassen uns in die Welt eintauchen, die der Autor oder Regisseur geschaffen hat. MacGuffins sind darum eines der mächtigsten Werkzeuge, um das Publikum in neue Filmwelten voller Möglichkeiten zu ziehen.

Als der Erfinder des MacGuffin gilt der englische Regisseur Alfred Hitchcock. Er war der erste Filmemacher, der diese Technik in seinen Filmen einsetzte. Der Regisseur wollte einen Weg finden, seine Filme spannender zu machen. Er erkannte, dass eine dramaturgische Möglichkeit dazu darin bestand, ein Gefühl des Geheimnisvollen zu erzeugen. Dies, indem er ein Objekt oder ein Ereignis verwendete, das für die Handlung wichtig war, dessen wahre Natur aber nie vollständig erklärt wurde. Dieses Objekt oder Ereignis, das Hitchcock MacGuffin nannte, wurde zu einem seiner Markenzeichen. Hitchcock setzte den MacGuffin mit großem Erfolg in Filmen wie „Die 39 Stufen“ und „Der unsichtbare Dritte“ ein.

Tschechows Gesetz zur Erhaltung von Details

Tschechows Gewehr heißt ein weiteres, grundlegendes Konzept der Dramaturgie. Es besagt, dass eine Waffe, die zu Beginn einer Story eingeführt wird, am Ende der Geschichte auch benutzt werden sollte. Die Idee ist nach dem russischen Dramatiker Anton Tschechow benannt, der erkannte: „Wenn du im ersten Akt sagst, dass ein Gewehr an der Wand hängt, muss es im zweiten oder dritten Kapitel unbedingt losgehen. Wenn es nicht abgefeuert werden soll, sollte es nicht dort hängen.“

Tschechows Gewehr wird oft als Symbol für eine Vorahnung verwendet, da – um beim berühmten Zitat zu bleiben – die Anwesenheit des Gewehrs darauf hindeutet, dass etwas Gewalttätiges passieren wird, passieren muss! Tschechows Konzept kann aber auch allgemeiner auf jedes Objekt oder jeden Handlungspunkt angewendet werden, der früh eingeführt, jedoch nie wieder aufgegriffen wird. In jedem Fall dient Tschechows Gewehr als Erinnerung daran, dass jedes Element in einer Story einen Zweck erfüllen sollte.

Tschechows Gesetz ist beides: ein kluger Aufruf an Autor/innen zur Detailliebe und Stringenz, aber auch eine bedenkenswerte Mahnung zur Reduktion von Handlungssträngen auf das Wesentliche. Schön zu erleben in Emerald Fennells Gesellschaftsstudie »Saltburn« (2023) mit Barry Keoghan, Jacob Elordi, Rosamund Pike und Richard E. Grant.

Was sind deine Tricks?

Hast du Erfahrung mit Ablenkungsmanövern oder anderen Tricks, um deine Leser absichtlich in die Irre zu führen? Ist Tschechows Gesetz der Detailerhaltung nicht am Ende ein Widerspruch zu roten Heringen und MacGuffins? Lass uns deine Meinung in den Kommentaren wissen!

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 07.05.2022

Gabriela Weingartner 24 Artikel
Gabriela Weingartner ist überzeugt, dass der Autor Patrick Süskind recht hat, wenn er sagt: »Man muss gescheit sein, um in der dummen Sprache des Films eine Geschichte klug erzählen zu können.«

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