Markus Welter arbeitet mit Erfolg nicht nur als Regisseur, sondern auch als Cutter. Diese Kombination an Talenten teilt er mit einer ganzen Reihe berühmter Vorbilder. Die mit vielen Awards ausgezeichneten Regisseure James Cameron und David Lynch beispielsweise sind ebenso Cutter wie Jean-Luc Godard und Lars von Trier.
Ein Sprichwort besagt, man solle sich an den Sternen orientieren, aber nicht nach den Sternen greifen. Markus Welter, der nicht im großen Hollywood, sondern in der kleinen Schweiz arbeitet, erklärt im Gespräch mit Marianne van der Kooi, was Film und Fernsehen für ihn und für seine Familie bedeutet.
Das Interview mit Markus Welter zum Anhören
Dass er für gute Filme und TV-Serien brennt und er nicht erst seit kurzer Zeit mit viel Leidenschaft im Filmbusiness tätig ist, wird im Interview mit Filmpuls schon nach den ersten Fragen ersichtlich. Film und Storytelling ist für ihn vorwiegend eines: Beruf und Berufung.
Interview mit Markus Welter, Regisseur & Cutter
Filmpuls:Markus, wie würdest du einem grünen Männchen vom Mars erklären, was du beruflich machst?
Markus Welter:Ich bin dafür zuständig, dass hoch qualifizierte Menschen für einen Film mit Spaß in dieselbe Richtung arbeiten.
Filmpuls:Wie wird man Regisseur?
Markus Welter:Es braucht wahnsinnig viel Übermut, es gelingt mit unheimlich viel Selbstüberschätzung und gleichzeitig nur mit einem unglaublichen Selbstbewusstsein, dieses aber gekoppelt mit dem Wissen, dass man selbst nicht immer weiß, was man tut! Regisseur zu sein heißt, extrem viel Übermut und extrem viel Demut zu vereinen.
Wenn du diesen unglaublichen Zirkus auf dem Filmset im Griff behalten willst, benötigst du eine wahnsinnige Ruhe.
Markus Welter
Filmpuls:Was ist dein bevorzugtes Genre?
Markus Welter:(Überlegt lange) schwierig. Ich habe als Cutter oder als Regisseur nahezu alle Genre schon bedient. Vom Horrorfilm mit Melanie Winiger in 3D über Kino-Komödien mit Marco Rima bis zum Liebesfilm mit Bettina Stucky. Für das Fernsehen „Der Bestatter“ mit Mike Müller oder den Tatort. Die Leidenschaft für Geschichten muss für mich der Treiber sein, nicht das Genre. Ich finde es immer schmerzhaft und schwierig, wenn jemand sagt, das ist der Horror-Welter oder das ist der Krimi-Welter. Was ich gerne mehr machen möchte, sind Komödien. Ich bin ein Storyteller. Ob als Regisseur oder ob als Cutter. Nicht jeder kann Geschichten erzählen. Wusstest du, dass das interessanterweise auch für Witze gilt? Nicht jeder kann Witze erzählen!
Filmpuls:Jetzt kann ich nicht anders als fragen: Dein Lieblingswitz?
Markus Welter:Treffen sich zwei Jäger im Wald. Beide tot.
Filmpuls:Deine Frau Cécile ist Cutterin. Ihr arbeitet oft gemeinsam an einem Film oder einer Serie. Schneidet man sich als Cutterin mit der Vermischung von Beruf und Familie nicht ins eigene Fleisch?
Markus Welter:Nein, tut man nicht. Im Gegenteil. Nur wenn wir beide für das gleiche Projekt engagiert sind, habe ich die Gelegenheit, meine Frau regelmäßig über einen längeren Zeitraum zu sehen. Das genieße ich sehr. Schau, das ist ein wahnsinniges Glück, wenn in einer Beziehung beide Partner ihre Leidenschaft zum Beruf gemacht haben.
Je mehr man die Crew motiviert und der Crew das Gefühl gibt, dass man sie wertschätzt, desto mehr gibt dir die Crew auch zurück. Das ist im Beruf so, aber auch im Privaten, mit der Familie.
Markus Welter
Zeitweise gibt es natürlich Diskussionen. Klar unterscheiden sich unsere Meinungen gelegentlich. Oder man ist als Regisseur sauer, weil etwas im Schnitt länger dauert oder als Cutterin, weil sich eine Szene nur schwer montieren lässt. Aber das sind nie beziehungsbedrohende Probleme, sondern Dinge, die zu jeder Zusammenarbeit auf einem Filmprojekt gehören und die den Film am Ende besser machen. Ich versuche meine Crew wie meine Familie immer einzubeziehen und zu motivieren.
Filmpuls:Du hast zwei Kinder. Wie ist das als Kind, wenn die Eltern beide beim Film sind?
Markus Welter:(Ohne zu überlegen) es ist schrecklich! Für meine Kinder ist es wahnsinnig schrecklich, dass ihre Eltern beim Film arbeiten. Weil sie halt in jeder Situation und immer Künstler als Eltern haben. Man denkt immer: Filmregisseure und Cutterin, die müssen reich sein. Du drehst bekannte Formate wie „Tatort“ oder „Der Bestatter“ und die Kinder denken, man hat viel Geld und muss wahnsinnig reich sein. Das ist aber leider überhaupt nicht so. Diese Projekte sind nicht hundertfach in der Schweiz zu bekommen. (Schweigt einen Moment) da gibt es Zeiten, in denen wir beide ein Jahr oder zwei Jahre keinen Job bekommen, weil kein Job da ist. Und du lebst in der Schweiz, in der weltweit teuersten Stadt und lebst in dem teuersten Land Europas. Trotzdem musst du die Ansprüche moderner Kinder in Zürich erfüllen. Das geht von Uggs-Schuhen bis zu Jacken von Woolrich. Deine Kinder sagen dir dann (imitiert nervende Kinderstimmen): „Die Eltern meiner Freundin sind beide Ärzte, die können sich das aber leisten – warum wir nicht?“ Indes denke ich mir schon, dass die Kinder eine gewisse Freiheit und Offenheit wegen meines Berufes mitbekommen. Sie sind open-minded. Oftmals realisieren die Kinder erst nachträglich, wen sie gerade bei uns im Haus kennengelernt haben. Oder was das zu bedeuten hat, wer da bei uns zum Abendessen war. Das sind wertvolle Kontakte. Ihre Freunde fragen dann meine Kinder, ob sie mich bitten könnten, von einem Künstler ein Autogramm zu bekommen. Die Kinder sagen dann: „Wieso wollt ihr eine Autogrammkarte? Der war doch gestern bei uns zu Hause und ist ein ganz normaler Mensch!“ Meine Kinder wollen beide nicht zum Film! Meine kleine Tochter möchte Fotografin werden und die größere Tochter hat gesagt, sie will nicht zum Film, da verdient man kein Geld.
Making-of «One Way Trip 3D» (2011)
Filmpuls:Adrian Teijido, Director of Photography, der für Netflix aktuell „Narcos“ dreht, hat in seinem Interview mit Filmpuls gesagt, der beste Tipp, den er einem Nachwuchstalent geben könne, sei sich von der Technikgläubigkeit zu lösen. Wie wichtig ist Technik für dich?
Markus Welter:Ich habe das unglaubliche Glück gehabt, dass ich als Filmschaffender in einer Zeit meine Karriere als Cutter und Regisseur beginnen konnte, in der viele neue technische Entwicklungen ganz frisch ihren Anfang nahmen. In der Zeit, in welcher der Schnitt digitalisiert wurde, habe ich noch begonnen, analog auf U-Matic zu schneiden. Wenn du im vorderen Filmteil eine einzige Änderung gemacht hast, musstest du alles, was nachher kam, nochmals neu schneiden. Dann kam der Avid. Da war ich als Software-Entwickler bei Avid und durfte mithelfen, aus diesem Ding die Maschine zu machen, die sie heute ist. Eine ähnliche Entwicklung habe ich beim Film mit der Kamera erlebt. Ich habe noch Filme auf 16MM und 35MM gedreht. Mit Labor, Télecine und Farbkorrektur und dann die Kopie mit 2 Punkte mehr schwarze Farbe und zwei Punkte mehr blau. Heute kann das jedes iPhone. Aus Perspektive der Kreativität finde ich, spielt die Technik keine Rolle. Du kannst einen Witz erzählen. Oder nicht. Du kannst Leute bannen mit einer Erzählung. Ungeachtet ob du das mit einem iPhone drehst oder mit einer 4K-Kamera. Als Dompteur im Flohzirkus der liebevollen Fachidioten ist es immer gut, alles mindestens beeinflussen zu können. Je höher du dein Wissen stellen kannst, umso mehr forderst du deine Heads of Departments heraus und deine Crew. Die können dir keinen Bullshit erzählen und du musst dich im Gegenzug auch nicht um Bullshit kümmern. Je qualifizierter du deine Mitarbeiter auszusuchen in der Lage bist, desto höher ist der Level des Wissens. Das ergibt dann einen Ketteneffekt. Ich glaube sehr fest an dieses System. Einem jungen Filmemacher würde ich darum zwei Dinge sagen: Lass dich nicht von der Technik versklaven, aber kenne dich damit aus! Das ist das Eine. Das Zweite ist: Suche dir Partner, denen du vertrauen kannst! Du kannst als Anfänger nicht alles entscheiden und zur Perfektion bringen.
Filmpuls:Bei unserer letzten Besprechung, bei dem es projektbedingt um Katzen ging, hat sich herausgestellt, dass du jeweils früh morgens mit deinem Hund spazieren gehst. Was können Regisseure von Hunden lernen?
Markus Welter:Ich bin stolzer Besitzer eines sehr intelligenten Pudels! Das ist sehr hilfreich, weil ich dem Hund nichts beibringen muss. Der Hund versteht von selbst, was ich will. Das macht es einfach. Von meinem Hund habe ich tatsächlich gelernt, die Ruhe zu bewahren. Beim Film gehen Dinge ja oft fürchterlich schief.
Mir sind schon Helikopter abgestürzt. Leute wurden dumm verletzt, Schauspieler sind durchgedreht. Wenn du diesen unglaublichen Zirkus auf dem Filmset im Griff behalten willst, benötigst du eine wahnsinnige Ruhe. Mein Hund kann mühelos warten und dir Zeit geben, ohne dir ein schlechtes Gewissen zu machen. Aber wenn es losgeht, geht es los, dann ist er bereit und hellwach. Diese Fähigkeit ist auch als Regisseur auf dem Filmset enorm wichtig.
Filmpuls:Was können Produzenten von Hunden lernen?
Markus Welter:Schwierig. Für Produzenten scheint oft zu gelten, was Winston Churchill über Hunde gesagt haben soll: Wenn du einen Freund haben willst, kaufe dir einen Hund. Nicht jeder Produzent scheint Regisseure als ihre Freunde zu wollen. Und leider Gottes sind nicht alle meine bisherigen Produzenten meine Freunde geworden. Aber diejenigen Produzenten, die ich schätze und diejenigen, die ich mag, die, mit deren Zusammenarbeit ich sehr glücklich bin, da kann man die Beziehung Mensch-Hund schon als Vergleich herbeiziehen. Denn da bestimmt großes Vertrauen auf die gegenseitigen Fähigkeiten das gemeinsame, langjährige Verhältnis.
Filmpuls:Was sehen wir als Nächstes von dir?
Markus Welter:Ein Projekt, über das man nicht sprechen darf! Reicht dir diese Antwort?
Filmpuls:Markus, herzlichen Dank für das Interview!
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 07.02.2017
Schön, wie ehrlich Markus Welter über das Thema Familie/Geld/Beruf spricht. Motiviert mich, als jemand, der „eine Reise in (fast) demselben Boot“ beginnt.