Warum Horrorfilme ohne Spielregeln keiner einzigen Menschenseele Angst bereiten

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Die Braut, die sich traut … Lady Frankenstein | © 3D-Painting: Pavel Sokolov

Ob Frankenstein, Dracula, Pennywise, Zombies oder der nette Nachbar von nebenan, der plötzlich mit irrem Blick zur Kettensäge greift: Das Genre Horrorfilm kann ohne Grenzen nicht funktionieren. Dieser Artikel erklärt dir anhand von Beispielen Mechanik und Regeln des Horrors im Film und entführt dich damit in ein Filmgenre, das es in sich hat.

Spielfilme tragen die Bezeichnung Horror oft als eine Art Gütesiegel und Genrebezeichnung. Dies, weil sie ihr Publikum ängstigen wollen. Die Absicht dient dem Ziel. Dramaturgisch, inhaltlich und formal.

Dabei gibt es immer wieder Filme, die Grenzen – auch des guten Geschmacks – massiv überschreiten. Und trotzdem beim Publikum nur Langeweile auslösen. Auch, wenn filmische Rohrkrepierer nicht nur beim Horrorfilm zum Geschäft mit Unterhaltung gehören. Dieser Beitrag erklärt, warum Schrecken im Film ohne Grenzen nicht funktioniert und warum die Angst klare Regeln benötigt.

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Definition des Film-Genres Horror

Als Genre ist der Horrorfilm ein Schmarotzer. Es stülpt seine Gesetzesmäßigkeiten gewissermaßen über andere, bereits bestehende und im Bewusstsein des Zuschauers verankerte Genres.

Horror im Film: Die wichtigsten Bausteine

  • Opfersicht:

    Die Hauptperson im Horrorfilm ist normalerweise kein Held. Sondern ein Opfer. Dieses steht in der Regel einem Gegner gegenüber, der selbst eine Folge des Fortschritts oder einer fehlgeleiteten gesellschaftlichen Entwicklung verkörpert. Etwa einem Freddy Krueger oder Michael Myers. Oder einem Menschen, der von einem Dämon besessen ist.

  • Gewalt und Sex:

    Aggression und Sexualität sind in diesem Genre eine ebenso wichtig wie Zukunftsängste oder die Bewältigung der Vergangenheit. Wie im Film »Carrie«.

  • Religion:

    Vielfach bildet die Religion eine Brücke zwischen den kollidierenden Welten. Religion kann das Ergebnis des Konflikts im Film beeinflussen und verändern. Oder sogar das zentrale Scharnier zwischen Gut und Böse in der Filmhandlung sein.

  • Gut und Böse:

    Ähnlich wie sich die Aggression in einem Genre, welches es mit Absicht nicht auf Zwischentöne anlegt, selten sanft manifestiert, wird auch der Kampf zwischen Gut und Böse als Spielregel meist auf die Spitze getrieben. Gott gegen Satan („The Exorzist“), Gut gegen Böse, Leben oder Tod.

  • Gegensätze:

    Im Genre Horrorfilm geht es am Ende, wie immer in der Dramaturgie, sowohl in Bezug auf die Religion wie auf die Gewalt, um Gegensätze. Diese erzeugen am Ende für den Protagonisten eine maximale Fallhöhe.

  • Besondere Kräfte:

    Kinder spielen in dieser Art Film eine besondere Rolle. Mehrheitlich kommen ihnen besondere Kräfte zu, die sie in Opposition zur Erwachsenenwelt einsetzen. In der Welt der Erwachsenen gilt im Horror Movie: Beziehungen können dich nicht retten!

  • Familie:

    Viele Plots spielen damit, dass das Opfer aus dem Kreis der Familie stammt. Darin spiegelt sich die reale Welt: Gewaltdelikte und Straftaten gegenüber Frauen sind laut Statistik überall auf der Welt mehrheitlich Beziehungsdelikte.

  • Unbekanntes in einer bekannten Welt:

    Angst zieht die Kraft aus der Welt des Unterbewussten, Unbekannten oder Ungewissen. Ob Aggression, unterdrückte Sexualität oder Monster: Innere Welten kollidieren hier mit der Realität, wie die Ausnahme die Regel bestätigt.

Auch die Wahl des Drehorts, für jeden Kinofilm wichtig, besitzt in dieser Art Film noch mehr Gewicht. Oftmals beeinflusst der Schauplatz sogar entscheidend den Ausgang der Handlung.

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Keine Regel ohne Ausnahme im Horrorfilm

Regeln spielen im Genre Horror auch außerhalb des Genres eine wichtige Rolle.

Die wichtigste Spielregel im Umgang mit Angst und Schrecken ist einfach zu verstehen. Sie lautet:

Es gibt für alles eine Ausnahme und diese bestätigt die Regel. Sucht der Zuschauer im Horrorfilm die Sicherheit in etwas, das er kennt, sei es eine Verhaltensregel im gesellschaftlichen Umgang oder ein Naturgesetz, wird dieses mit dem Gegenteil kontrastiert.

Geisterwelten

Die Bedrohung entsteht durch die Ungewissheit, auf was sich die Charaktere in der Filmhandlung verlassen können. Das allein reicht aber noch nicht aus. Grundsätzlich entsteht die Bedrohung aus einem Umstand, der sich wissenschaftlich nicht nachvollziehen lässt. Gespenster, Geister und Zombies sind beim Horror die Ausnahme der Regel, dass nur existiert, was sich beweisen lässt.

Das Verhalten einer Person erfolgt gegensätzlich zur Erwartung des Filmpublikums. Das Naturgesetz (etwa die Schwerkraft), auf das der Held vertraut, erweist sich nicht als rettende Tatsache. Sondern als Illusion, die noch mehr Schrecken in sich birgt.

Frankensteins Monster heißt Dr. Victor Frankenstein. Auch wenn es heute in vielen Filmen mit dem Namen seines Erfinders gleichgesetzt wird, das ist falsch: Frankenstein ist der Name des jungen Schweizer Arztes, der das Monster im Roman von Mary Shelley an der Universität in Ingolstadt aus Leichenteilen baut. Das Monster selbst – es ist namenlos und zeitlos.

Wie der Horror, den es seit der anonymen Publikation des Romans im Jahr 1818 verbreitet, bestätigt das Monster als Ausnahme die Regel, dass, was tot ist, tot bleibt. Heute, wo in absehbarer Zeit von der medizinischen Wissenschaft tatsächlich Ersatzorgane gezüchtet und transplantiert werden können, steht Frankenstein nur noch bedingt für die Antithese. Möglich, dass das Ur-Monster der Filmgeschichte in naher Zukunft von der Realität eingeholt wird.

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Horror findet im Alltag seine Ausgangslage

Es gelten die Gesetze aus dem Alltag. Zumindest so lange, bis sie gebrochen werden. Die Realität ist die Basis, auf welcher die Ausnahme aufsetzt. Das unterscheidet diese Art Film beispielsweise vom Märchen- und Fantasy-Film.

In den Gesetzmäßigkeiten eines Märchens sind Dämonen ebenso wie Hexen oder Werwölfe ein Teil der Realität. Allein die Tatsache ihrer Existenz ist Normalität im jeweiligen Universum. Darum ist die Harry Potter-Reihe dem Fantasy-Genre zuzuordnen.

Angst und Schrecken sind wie die Bedrohung ein wesentlicher Bestandteil der Regeln. Horrorbilder können konkret und sichtbar sein. Oder aber diffus und unsichtbar.

Es gibt Filme, die es schaffen, die Bedrohung die ganze Filmzeit über nicht zu offenbaren. Beispielhaft dafür ist der legendäre Spielfilm der Regisseure und Autoren Daniel Myrick und Eduardo Sánchez, The Blair Witch Project, der meisterhaft mit der Projektion der Hauptdarsteller und der Zuschauer arbeitet.

Ungesehenes ängstigt häufig mehr als Gesehenes. Damit spielt auch Stephen King in seinen Bestsellern oder der Filmhorror in „28 Days Later“ von Danny Boyle mit Cillian Murphy, der Horror Thriller „Rosemaries Baby“ oder das Horror-Drama „So finster die Nacht“ von Tomas Alfredson. Die Ausnahmen, welche die Regeln bestätigen, sind die Drehbücher von James Wan (Saw) oder die Filmreihe „Final Destination“.

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Ohne Identifikation keine Gänsehaut

Wie jede Art Film bedarf auch dieses Genre einer starken Identifikation des Publikums mit den Hauptfiguren. Wer mit (s)einem Film Angst verbreiten will, hat nur Erfolg, wenn das Publikum sich vom Inhalt des Horrorfilms betroffen fühlt.

Betroffenheit kann nur durch Identifikation entstehen.

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Shauna Macdonald in «The Decent» (2005) | © Foto: Monopole-Pathé

Sieht sich das Publikum nicht selbst in den Hauptfiguren, kann er seine eigene Welt nicht im Film erkennen, wird er die Geschehnisse möglicherweise amüsiert oder gespannt verfolgen. Sie werden aber nie sein Innerstes berühren und Ängste in ihm auslösen.

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Du steckst in der Haut des Opfers

Schreckvorstellungen und Ängste sind stark darauf angewiesen, dass der Kinozuschauer den Vorgängen aus den Augen der Figuren im Horrorfilm sieht. Nicht nur, aber auch darum spielt der subjektive Blickwinkel (POV, Point-of-view) im Genre und als Regel eine dominante Rolle.

Mehr noch als andere Genres versucht der Filmhorror, die Betrachter das Geschehen aus den Augen der Darsteller als Darsteller sehen zu lassen. Die Netflix-Serie Squid Game demonstriert das wunderschön: Der Zuschauer erlebt die Angst der Hauptfiguren, ohne mehr zu wissen, als es diese tun.

Die besten Horrorfilme der letzten 10 Jahre | © YouTube / KinoCheck

Die besten HORROR Filme der letzten 10 Jahre (Trailer German Deutsch)

Der Spielfilm »The Blair Witch Project« erzählt seine Geschichte ausschließlich aus der Sicht der Darsteller.

Ähnlich radikal und noch viel schlimmer ist Son of Saul. Seine schrecklichen Bilder beziehen ihre Kraft nicht nur aus dem, was die Kamera sieht. Sondern auch aus dem, was die Kamera nicht sieht. Dieser meisterhafte Spielfilm berührt zusätzlich die viel diskutierte Frage, ob, wenn Unvorstellbares tatsächlich Realität geworden ist, das Unvorstellbare überhaupt noch Raum haben kann?

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Der Horrorfilm kennt regelmäßige Zyklen

Bemerkenswert ist der Trend, dass immer wieder für einige Jahre die Tendenz auftritt, das Monster als Opfer der Gesellschaft erscheinen zu lassen. Bekanntester historischer Vertreter für diese Spielregel ist der Film „Frankenstein“ (1931) von James Whale mit dem nicht nur in diesem Film unsterblichen Boris Karloff.

Die letzte große Welle von Horror Movies, nachdem Filme aus dem Genre wie „The Shining“, „Der Weiße Hai“, „Tanz der Teufel“ oder „Armee der Finsternis“ in den 70er und 80er-Jahren immer härter geworden sind, war in den 90er-Jahren erkennbar. Ein anschauliches Beispiel dafür sind die Filme „Paranormal Activity“, „Resident Evil“ und „The Hand That Rocks The Craddle“ von Curtis Hanson.

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Horrorfilme – Eine Auswahl

Regisseure, die mit dem Genre Maßstäbe setzten:
  • George A Romero
  • Ridley Scott
  • Stanley Kubrick
  • Night Shyamalan
  • John Carpenter
  • Dario Argento
  • Alfred Hitchcock
Filme, die das Filmgenre Horror neu definierten:
  • 28 Days Later
  • Nacht der lebenden Toten
  • Evil Dead
  • Nightmare on Elm Street
  • Blutgericht in Texas
  • The Conjuring
  • Dr. Caligari
  • Dawn of the Dead
  • Texas Chainsaw Massacre
  • Freitag der 13

Fazit zu den Regeln des Horrorfilms

  • Das Genre Horrorfilm ist ein Spiel mit den Erwartungen des Publikums. Es bezieht seine Kraft darauf, dass sich die Figuren in einem Film nicht auf Konventionen und Übereinkünfte verlassen können. Möglich ist das nur, wenn es erstens Regeln gibt und zweitens diese dem Kinopublikum bewusst sind. Was kein Geleise hat, kann nicht entgleisen.
  • Die Mechanik ist erschreckend banal: ohne Bedrohung keine Furcht. Je stärker der Terror, desto größer die Angstvorstellungen.
  • Der Zuseher erlebt die Handlung immer aus den Augen der bedrohten Hauptfigur. Diese ist meist ein Anti-Held und schwächer als ihr Gegner.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 04.07.2017

Gabriela Weingartner 24 Artikel
Gabriela Weingartner ist überzeugt, dass der Autor Patrick Süskind recht hat, wenn er sagt: »Man muss gescheit sein, um in der dummen Sprache des Films eine Geschichte klug erzählen zu können.«

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