Casino Royale gilt als einer der besten James-Bond-Filme. Inszeniert von Martin Campbell und erstmals mit Daniel Craig als Agent, legt der Film die Basis für die Neuerfindung von 007. Mit einer Szenenanalyse zeigen wir dir in diesem Artikel, was solides Filmhandwerk auf Hollywood-Niveau bedeutet.
Üblicherweise gilt beim Blockbuster: erst wenn der Held zur Selbsterkenntnis gelangt und sein eigenes, inneres Problem gelöst hat, ist der Weg frei, um auch die äußeren Herausforderungen zu einem Happy End zu bringen. 007 war diesbezüglich seit jeher die Ausnahme. Bond rettete die Welt, ohne sich selbst auch nur ein klitzekleines bisschen zu ändern.
Regisseur Martin Campbell hat bei Casino Royale mit diesem Schema gebrochen. Am Beispiel von drei Szenenanalysen zeigen wir dir, wie ihm die Neuerfindung der James Bond-Franchise gelungen ist. Ergänzend findest du dazu im zweiten Teil dieses Beitrags eine Checkliste für deine eigenen Analysen von Filmszenen.
Analyse Szene 1: »Freerunning«https://youtu.be/v0TVPhzPmqQ | |
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Gesamtkontext | Madagaskar. Schon kurz nach Beginn der Filmhandlung muss Bond (Daniel Craig) den Terroristen Mollaka zur Strecke bringen. Dieser plant im Auftrag von Mr. White, dem Repräsentanten eines globalen Terrornetzwerks, ein Attentat. Weitere Details dazu kennen zu diesem Zeitpunkt weder die Hauptfigur noch die Zuschauer. Zu diesem Zeitpunkt ist der zukünftige Agent mit Codenamen 007 noch Angehöriger der Special Air Service (SAS), einer Spezialeinheit der British Army. Sein Wechsel zum britischen Auslandsgeheimdienst MI6 steht erst bevor. |
Funktion der Szene | Die Regie bedient mit der wilden Verfolgungsjagd die Erwartung, welche bisher von jedem 007-Streifen erfüllt wurde: Action pur! James zeigt sich erstmals auch als schlechter Verlierer, statt als Gentleman. Am Ende erschießt er – gegen den ausdrücklichen Befehl seiner Vorgesetzten – den Terroristen. |
Einstieg / Ausstieg | Die Verfolgungsjagd beginnt mit einem gewaltigen Sprung und endet auf einem Kran. Beide zeigen durch die Risikobereitschaft der Beteiligten: Es geht um Sein oder Nichtsein. |
Szenenlänge 1 | 8 Minuten, 9 Sekunden (Gesamtlänge des Films: 140 Minuten, zwanzig Minuten länger als jeder der bisherigen Filme der Reihe). |
Schauspielführung 2 | Das Rollenbild der beiden Männer spiegelt die physischen Anstrengungen. Die Kernaussage als Resultat der Analyse: diese Kerle sind hart im Nehmen. Sie kämpfen bis zum Ende. |
Dialoge | Die Dialoge beschränken sich auf wenige Wortfetzen und Befehle. Auch sie unterstreichen die Körperlichkeit. Mit Sicht auf den Informationsgehalt können die Wortäußerungen auch als Teil des Sounddesigns betrachtet werden. |
Bildkomposition | Die Protagonisten sind im Lauf in der Bildmitte positioniert, bei (später vorkommenden) kurzen Pausen am Bildrand. Die Komposition von Kameramann Phil Meheux setzt Symmetrie und Asymmetrie bewusst dazu ein, die Balance und das Verlieren des Gleichgewichts visuell zu veranschaulichen. |
Licht | Die Lichtsetzung folgt dem Handlungsort. Die Wetterstatistik für Madagaskar weist durchschnittlich über 7 Sonnenstunden pro Tag aus. Das warme Licht verleiht der Sequenz – obwohl auf den Bahamas und nicht in Afrika gedreht – eine tropisch-feuchte Atmosphäre. |
Farbe | Es dominieren erdige Farbtöne im Spektrum von Grün, Gelb, Rot und Braun. |
Bewegungen der Kamera | Die Aufnahmeeinheit ist konstant in Bewegung, fährt mit, wechselt immer wieder auch die Perspektive und Einstellungsgrößen, um die Dynamik der Verfolgung zu verstärken. |
Location | Dorf, Dschungel und Baustelle in den Tropen bieten viel Raum für Überraschungen, damit der Filmbesucher über den Ausgang der Szene möglichst lange im Unklaren bleibt. |
Bildmontage | Die Qualität der Stunt und das hochwertige Filmset erlauben es dem Schnitt, der Handlung zu folgen. Anders als bei weniger wertigen Actionszenen bleiben die Einstellungen genügend lange stehen, damit ihr Inhalt wahrgenommen wird. Die Szenenanalyse verrät: Cutter Stuart Baird verzichtet darauf, durch die Montage „falsches“ Tempo zu erzeugen und vertraut dem Szeneninhalt. Ein Dialog-Schnitt im Wortsinne ist nicht erforderlich. |
Sound Design | Geräusche untermalen Tempo und Bewegungen. Sie vermitteln das Gefühl, beim Sprint des Helden unmittelbar dabei zu sein. |
Musik | Die Orchestrierung verstärkt den emotionalen Stress der beiden Männer und untermauert die Wichtigkeit und Größe der Handlung. Zugleich – auch das ein Zeichen für das Vertrauen der Macher in den Bildinhalt – respektiert die Musiksequenz das Sounddesign. Es ist diesem nicht übergeordnet, sondern ergänzt die Tonebene komplementär. |
Weiteres | Filmemacher wissen: Was im Kino mühelos aussieht, ist beim Dreh oftmals höchst anspruchsvoll. Das gilt besonders bei Actionszenen. Darum dauern diese meist nur eine, maximal zwei Minuten. Die Meisterschaft von Martin Campbell zeigt sich auch darin, dass dieser die Spannung über die gesamte Länge der Szene von acht Minuten mühelos aufrechterhalten kann. |
Quelle: Filmpuls, Anmerkungen: 1 aus rechtlichen Gründen zeigt das Video nur einen Ausschnitt der analysierten Gesamtszene; 2 bei der Szenenanalyse verstanden als Frage nach der Art der Interpretation der Rolle.
Analyse Szene 2: »Casino Royale«https://youtu.be/IoJ7lX2MY10 | |
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Gesamtkontext | Nachdem er Mollaka zur Strecke gebracht hat, kann Bond dank eines Hinweises auf die Hinterleute in letzter Minute einen Terrorakt verhindern. Damit ruiniert er Le Chiffre, den Financier des Terrornetzwerks von Mr. White. Dieser hat mit einem Aktienvermögen auf den Erfolg des Anschlags spekuliert. Als der Geheimdienst erfährt, dass der undurchsichtige Investor im Casino Royale in Montenegro mit hohen Einsätzen wieder zu Geld kommen will, erhält James einen neuen Auftrag: Er soll im Casino ebenfalls spielen, gewinnen und damit ein Wiedererstarken der Terroristen zu verunmöglichen. 007 und Le Chiffre (gespielt von Mads Mikkelson) stehen sich im Casino erstmals live gegenüber. |
Funktion der Szene | Wie in dem vorher analysierten Filmstück müssen auch hier beide Männer gewinnen, um ihren Auftrag erfüllen zu können. Doch nun findet der Kampf nicht mehr physisch statt. Sondern in einem noblen Umfeld und trotz Mordversuchen in erster Linie auf der psychischen Ebene. 007 gewinnt und verliert am Ende der Sequenz zugleich, was ihn für weitere Handlung – und den Rest seines Agentenlebens – prägen wird. |
Einstieg / Ausstieg | Die Visite einer Spielbank (sofern sie nicht unkompliziert in einer Live Casino Atmosphäre online stattfindet) ist immer auch durch soziale Konventionen geprägt. Das Eintreffen der Spieler gleicht einem Theaterauftritt. Diesem Schema folgen auch Beginn und Ende in diesem Filmausschnitt. Die Protagonisten werden erst eingeführt, bevor es mit zunehmender Härte am Spieltisch zur Sache geht. Wenn am Ende der Gewinner feststeht, schließt sich die Ellipse genauso konsequent: Die Spannung wird wieder Stück für Stück abgebaut. |
Szenenlänge 1 | Die Story im titelgebenden Casino erstreckt sich über eine stolze Lauflänge von 31 Minuten und 8 Sekunden. Dies unterbrochen von zwei Szenen, die nicht am Spieltisch stattfinden. |
Schauspielführung 2 | Geheimagent und Le Chiffre erweisen sich am Spieltisch als Brüder im Geiste. Im Bestreben, die Absichten des Gegenübers zu lesen, gleicht sich ihre Mimik bis an die Grenze zur Absurdität an. Zum Ausgleich platziert die Regie im Zentrum des Spannungsfelds zwischen den Kontrahenten einen Spielleiter, der nur vordergründig neutral ist. Der Schweizer Carlos Leal schafft in dieser Rolle das Kunststück, gleichgültig zu wirken, ohne auch nur eine Sekunde jeden Zweifel daran zu lassen, dass er sich seine Sache über die Beteiligten und Vorgänge am Tisch denkt. |
Dialoge | Die Dialoge sind kurz, formelhaft und mehr Formsache denn Inhalt. Sie klingen, so der Eindruck der Szenenanalyse, wie Funkgespräche von Piloten. Die Ausnahmen, welche die Regel bestätigen, sind die Kommentare und Gespräche der Beteiligten am Rande des Geschehens in der Bar des Casinos. |
Bildkomposition | Bildausschnitt und Blickwinkel sind in der Analyse der Szene überaus konventionell. Die Linse dokumentiert das Geschehen am Spieltisch des Casinos. |
Licht | Drei Leuchtkörper über dem Spieltisch lenken das Auge. Die Umgebung ist gleichförmig ausgeleuchtet und erlaubt, auch die Reaktionen der Umstehenden jederzeit gut erkennen zu können. |
Farbe | Die Bilder nehmen die Braun- und Grüntöne aus Madagaskar wieder auf, wenn auch in komplett anderer Umgebung. |
Bewegungen der Kamera | Viele Nahaufnahmen sind ab Schulter gedreht. Im Fachjargon „atmet“ die Kamera. Damit erweckt sie beim Zuseher den Eindruck, selbst im Casino am Spieltisch zu sehen. In der letzten Einstellung (siehe Videoclip) deutet ein Sprung über die Blickachse bereits visuell an, dass der weitere Handlungsverlauf unkalkulierbar wird. Was sich dann bestätigt. |
Location | Die Casino-Sequenzen wurden im Grandhotel Pupp im tschechischen Karlsbad gedreht. Bereits Beethoven war hier zu Gast und das Dekor des Casinos scheint – genauso wie die Lust der Menschen am Glücksspiel – zeitlos zu sein. |
Bildmontage | Die Handlung ist nahezu klassisch montiert und orientiert sich am klassischen Hollywood-Film. Die Ausnahme, welche diese Analyse bestätigt, sind Close-ups, eine Reminiszenz an Sergio Leone und dessen italienische Einstellungen aus „Spiel mir das Lied vom Tod“. |
Sound Design | Geräusche werden minimalistisch eingesetzt – es dominieren die archetypischen Spielgeräusche |
Musik | Die Musik wallt wie Wellen vor einem Sturm: Sie ist Versprechen und Drohung zugleich. |
Weiteres | Die Szenenanalyse dieser Sequenz sollte nicht losgelöst von den Ereignissen erfolgen, die im Umfeld zu den Ereignissen am Spieltisch im Casino stattfinden. Erst damit offenbaren sich die unterschiedlichen Spannungsböden und Wechsel im Rhythmus gänzlich. |
Quelle: Filmpuls, Anmerkungen: 1 aus rechtlichen Gründen zeigt das Video nur einen Ausschnitt der analysierten Gesamtszene; 2 bei der Szenenanalyse verstanden als Frage nach der Art der Interpretation der Rolle.
Analyse Szene 3: »Bond, James Bond«https://youtu.be/K7J9FXg3hPY | |
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Gesamtkontext | Le Chiffre ist tot. Der Agent mit der Doppelnull hat seinen Auftrag erfüllt. Und nun sogar Mr. White, den aalglatten Strippenzieher, ausfindig machen können. Mit ihm hat er noch eine Rechnung offen. |
Funktion der Szene | Der neue 007 ist nicht mehr nur Garant für ein Happy End. Er ist auch Rächer. Ein Mann, der nicht mehr zwischen Job und Privatleben unterscheidet. Und erstmals in der Agenten-Reihe mit unheilbaren seelischen Wunden allein übrigbleibt. Er scheint nicht mehr nur dem Dienst ihrer Majestät verpflichtet. Sondern auch dem biblischen Motto Auge um Auge, Zahn um Zahn. In dieser Szene – mit ihr endet der Film – verabschiedet sich 007 in den Abspann mit den ikonischen Worten: „Bond, James Bond“. |
Einstieg / Ausstieg | Das Ende ist als Film im Film angelegt. Eigentlich ist der Job erledigt, sind die Toten begraben. Bis auf Mr. White. Der Einstieg als Anflug auf ein grandioses Anwesen am Comer See könnte ebenso gut auch der Auftakt zum nächsten Film der Reihe sein. Und das Ende, es ist kein Ende. Der erste Schuss geht ins Knie. Ob später die eigentliche Hinrichtung aus Rache erfolgt, bleibt offen. Entsprechend ist der Ausstieg und das Filmende absichtlich abrupt. Der Film soll im Kopf des Kinozuschauers weitergehen. |
Szenenlänge | 1 Minute, 24 Sekunden |
Schauspielführung 2 | Am Ende, als er sich mit den berühmten Worten bei dem angeschossen am Boden liegenden Mr. White vorstellt, kräuselt da ein süßsaures Lächeln über die Lippen von 007? Dies im Wissen um das, was nun gleich folgt? Man weiß es nicht. Nach 140 Minuten kennt das Publikum den Filmhelden so wenig wie noch nie seit dem Start der Filmreihe im Jahr 1962. |
Dialoge | Kein Dialog, sondern Monolog – aus einem einzigen Satz. |
Bildkomposition | Großartige Bilder begleiten in dieser Szene ein niederträchtiges Ansinnen? Die Einstellungen gleichen einem Wandgemälde, in dessen Bilderrahmen sich das Zittern der Mauern bereits leise ankündigt. |
Licht | So stellt man sich eine Welt vor, in der es nicht böses gibt. |
Farbe | Die Erdtöne haben sich wie die große Liebe in Luft aufgelöst. Es dominiert ein blauer Himmel und ebenso blaues Wasser an einem lichtdurchfluteten Sommertag in Italien. |
Bewegungen der Kamera | Einmal ein Schwenk, ansonsten wird das Geschehen weit statischer verfolgt als im Rest dieses Spielfilms. |
Location | So sieht Geld aus. Es stinkt nicht, besitzt dicke Mauern und einen Privatdurchgang an den See. |
Bildmontage | Der Schnitt erlaubt uns zwischendurch – noch vor wir sehen, wer geschossen hat – einen Blick aus der Perspektive des Schützen zwischen den Säulen. |
Sound Design | Das Sounddesign kommt nochmals zu vollen Ehren: nicht der Schnitt überrascht. Das Peitschen des Schusses erfolgt ohne Vorankündigung aus dem Nichts. Nicht weniger wichtig: das Klingeln des Smartphones, kurz vorab. |
Musik | In der letzten, wirklich letzten Filmminute katapultiert uns das Thema Monty Norman mit seiner gewaltigen Sogwirkung … – in den Abspann. Und der Zuschauer zweifelt keine Sekunde: James Bond will return. |
Weiteres | Seit Dr. No. begleiten Produktplatzierungen die Agenten-Reihe. So auch hier. Das gezeigte Produkt wird allerdings primär von Spezialeinheiten der US-Polizei gekauft. Es ist eine UMP (Universelle Maschinenpistole) des deutschen Herstellers Heckler & Koch. Ob sich der Auftritt im Film positiv auf Image und Umsatz ausgewirkt haben, war nicht in Erfahrung zu bringen. |
Quelle: Filmpuls, Anmerkungen: 1 aus rechtlichen Gründen zeigt das Video nur einen Ausschnitt der analysierten Gesamtszene; 2 bei der Szenenanalyse verstanden als Frage nach der Art der Interpretation der Rolle.
Anleitung zur Analyse von Szenen
Prüfliste für eigene Szenenanalysen | |
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Gegenstand der Analyse | Anmerkung, Tipps für Anwendung in der Praxis |
Gesamtkontext | So wie jeder Film aus Sequenzen und Einstellungen besteht, ist jedes einzelne Stück immer auch Teil eines größeren Ganzen. Beide, kleinste und größte Erzähleinheit, stehen in einer Wechselwirkung. Für eine Szenenanalyse gilt es darum, die zu analysierende Filmsequenz in Bezug zur gesamten Handlung zu setzen. |
Funktion der Szene | Drehbuchautoren wissen: Szenen ohne eine Aufgabe (eine „Funktion“) haben in einem Film nichts verloren. Der Beitrag zur Erzählung kann sofort klar erkennbar sein (direkt) oder auf mittelbare Weise (indirekt) auf einer Metaebene erfolgen. Dies mit allen Mitteln, die einer Filmerzählung zur Verfügung stehen. In der Analyse einer Szene erkannt man die Funktion am einfachsten, wenn man sich überlegt, wie sich Emotionalität und Wissensstand des Publikums am Anfang und Ende unterscheiden. |
Dramaturgie | Dramaturgie ist die Kunst, eine Geschichte gut – und damit publikumswirksam – zu erzählen. Typische dramaturgische Elemente sind: Überraschungseffekte, Verzögerung eines Handlungsablaufs (Retardierung), das Betonen von Gegensätzen in Form von Kontrasten und Konflikten oder der Klassiker schlechthin, ein unterschiedlicher Wissensstand von Zuschauer und Protagonist zur Erzeugung von Spannung. |
Einstieg / Ausstieg | In vielen Szenenanalysen werden irrtümlicherweise Anfang und Schluss mit dem Einstieg und Ausstieg verwechselt. Gemeint ist damit der Unterschied zwischen dem realen Ablauf einer Geschichte und der Frage, wie dieser erzählt wird. Der Profi nennt das den Unterschied zwischen Storyforming und Storytelling. Beispiel: Bond öffnet eine Türe, betritt den Raum und setzt sich an den Casino-Tisch. Im Film lässt sich das auch so erzählen, dass Bond beim Einstieg in die Szene bereits am Tisch sitzt. Dem Zuseher ist dennoch klar, dass er den Raum durch die Türe betreten und den Weg zum Spieltisch zurückgelegt haben muss. Den perfekten Punkt in der Szenenanalyse zu finden, an dem in die Story hineingeschnitten wird, ist auch für bestandene Filmmacher immer wieder eine Herausforderung. |
Szenenlänge | Die Angabe Länge gehört in der Analyse von Szenen dazu. Aus der Zeiteinheit lässt sich unter anderem ableiten, wie klug mit Dramaturgie und Einstiegs- / Ausstiegspunkten umgegangen wird. |
Schauspielführung | Nein, die Frage lautet hier nicht, ob Schauspieler:innen im fraglichen Film eine gute oder weniger gute Leistung erbringt. Die Antwort darauf wäre ein persönliches Urteil, das in einer Filmanalyse höchstens als Schlussbemerkung zulässig ist. Es geht vielmehr darum, was die Darsteller zum Gesamteindruck beitragen und in welcher Form sie dies tun. Für die Untersuchung der Schauspielführung gilt es, wie Hitchcock 1 einst provokativ formulierte, diese nur als einer von vielen Bestandteilen zu sehen, die zur Filmerzählung beitragen. |
Dialoge | Man kann nicht nichts kommunizieren. Auch Schweigen und Pausen erzählen eine Geschichte. Dasselbe gilt für Sprechtempo, Dialekte, Auslassungen und Wortwahl. |
Bildkomposition | Die Wahl von Bildausschnitt ist niemals ein Zufall. Was der Zuschauer in einer Einstellung aus welchem Blickwinkel, in welcher Nähe, zu sehen bekommt, legen Regisseur und Kameramann gemeinsam fest. Die Bestimmung des erzählerischen Vokabulars legt die Absicht dahinter offen, weil jedes Werkzeug seine ganz spezifischen Eigenschaften vorweist. |
Licht | Kunstmaler schaffen ihre Bilder mit Pinsel und Farbe. Kameraleute mit Licht. Auch der Umgang mit Lichtquellen – ob natürliche oder ob ganz Lichtbatterien im Studiohimmel – und die damit erzeugten Effekte erzählen Bände. Licht vermag das Auge des Kinozuschauers ebenso zu führen wie Bewegungen der Kamera. |
Farbe | Der Umgang mit der Farbgebung lässt in der Filmanalyse gezielte Rückschlüsse auf die Vision und Absichten des Filmemachers zu. Dabei ist – wie immer – auch bei der Farbe zwischen der übergeordneten großen Linie und der Kolorierung der jeweiligen Einzelszene zu unterscheiden. |
Bewegungen der Kamera | Die Kamera ist das Auge des Zuschauers. Dort, wo sich die Kameralinse befindet, steht der Kinobesucher. Bewegt dieser sich – oder eben die Kameralinse – verändert sich der Bildausschnitt und kommen neue Bildinformationen hinzu, während andere aus dem Blickfeld geraten. Ruht die Kamera oder bewegt sich kaum merklich (sog. atmende Kamera), will uns der Regisseur damit etwas sagen. Ebenso, wenn die Aufnahmeeinheit stellvertretend für den Zuseher in schneller Fahrt durch eine Straße hetzt oder unerwartet schnell schwenkt (Reißschwenk). |
Location | Die Wahl des Spielortes folgt der Erzählstrategie. Auch wenn durch das Drehbuch beschrieben, lässt die konkrete Wahl des Drehorts vielfache Gestaltungsmöglichkeiten, in welche Botschaften verpackt werden. Die Szenenanalyse dekodiert, was in einer Location mitschwingt. Fühlt sich das Filmset bekannt an? Oder bewusst fremd? Exotisch? Heimisch? Wird damit eine Verstärkung oder ein Kontrast zu den Figuren gebildet, die sich darin bewegen? |
Bildmontage | Der Film-Editor kann – geplant oder weil erforderlich – einen Film entscheidend prägen. Zusammen mit dem Regisseur bestimmt er das Pacing, Timing und Rhythmus eines Films. Die Bildmontage ist Herzschlag und Richterin über den finalen Filminhalt. In der Analyse einer Szene ist es oftmals schwierig zu bestimmen, ob die Gestaltung der Schauspielführung, Bildkomposition und Kameraarbeit oder dem Bildschnitt geschuldet sind. |
Sound Design | Nicht nur Dialoge, auch Geräusche oder deren Absenz sind vielsagend. Zumal viele Filme sich – zu Unrecht – dafür entscheiden, der Musik den Vorgang zu geben. Dies in der falschen Annahme, dass Musik zur Erzeugung von Emotionalität das stärkere erzählerische Werkzeug sei. |
Musik | Die Musikkomposition ist für das Ohr, was die Kamera für das Auge ist. Die Szeneanalyse untersucht, ob die Musik gegen oder mit der Handlung arbeitet und sucht nach den Gründen dafür. Auch achtet sie darauf, zu welchem Zeitpunkt die Musik einsetzt. Nimmt sie zwecks Spannungserzeugung ein Ereignis musikalisch vorweg 2 ? Oder überrascht der Soundtrack das Publikum, erschreckt es sogar? |
Weiteres | Der Werkzeugkasten des Filmemachers umfasst eine Vielzahl von Mitteln, die sich endlos vielen Varianten kombinieren lassen und damit unterschiedliche Wirkung hervorrufen. Es ist darum in jeder Szenenanalyse ratsam, nicht nur brav die hier präsentierte Checkliste abzuarbeiten. Sondern der eigenen Wahrnehmung zu vertrauen. Ob Special Effects, digitale Animationen 3 oder Parallelhandlungen, es ist die schier unendliche Vielfalt, welche die Analyse von Filmszenen zu einer ebenso lehrreichen wie faszinierenden Disziplin macht. |
Quelle: Filmpuls; Erläuterung: 1 gemäß Hitchcock sind Filmdekor und Schauspieler:innen als gleichwertig zu betrachten; 2 so wie es Spielberg mit dem weltberühmte Soundtrack im „Weißen Hai“ vormacht); 3 Beispiel: „Alita: Battle Angel“
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 23.12.2021
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