Gar nichts Tapferes | Die filmische Zangen­geburt von »Zwingli – der Refor­mator«

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«Tut um Gottes Willen etwas Tapferes!» - Ulrich Zwingli | © Ascot Elite

Vor wenigen Stunden war im schönen Zürich eine der offiziellen Weltpremieren von »Zwingli, der Reformator« – der Film wurde später vom Verleih in »Zwingli – der Film« umgetauft. Flmpuls-Filmkritiker Zachery Z. war an der Premiere mit dabei. Hier fasst er seine widersprüchlichen Eindrücke über den neuen Spielfilm zusammen.

Da kommt einer wie Zwingli, der im Jahre des Herrn 1519 den Papst und damit die ganze Welt herausfordert! Einer, der sich für Frauen ebenso wie für Macht interessiert, und beides will. Einer, der sich um das enge geistige Korsett der Mächtigen einen Deut schert und den Menschen das Denken beibringen will. Ein Kerl mit einer Mission also, der auch enge Verbündete und Mitstreiter direkt oder indirekt auf das Schafott bringt, wenn das seinen Zielen dient. Ein Mann, der getrieben ist und zu seinen Trieben steht. Kurzum: Ein Schweizer Che Guevara, der die Revolution will und bekommt!

Es geht hier um nichts weniger als um die Neuverfilmung des Lebens einer der bekanntesten historischen Figuren aus der Schweiz. Eine Persönlichkeit mit unbestritten internationaler Wirkung und Ausstrahlung. Was hätte man 2019 mit diesem Film über den Reformator Zwingli doch gewaltiges, großes und schönes anstellen können!

Und dann das:

Zwingli, der Reformator

Zwingli, die namensgebende Hauptfigur des Filmes, lässt sich in der ersten Szene mit einem Wagen ins Bild karren. Diese Passivität bleibt die nächsten zwei Stunden des Spielfilms tonangebend.

Kurz vor Ende des Spuks lässt sich Zwingli dann wenigstens nicht mehr ziehen, sondern in Kampfmontur auf dem Weg in die Schlacht von einem Gaul um die Ecke tragen. Dass dies in einer Zeitlupe erfolgt, die für einen sechs Millionen teuren Spielfilm technisch erstaunlich schlecht gemacht ist, verschafft dem Zuschauer so wenig Erleichterung wie die später nur noch behauptete Vierteilung des Helden zu einem Zeitpunkt, an dem den Machern die Mittel dann doch ausgegangen sind.

Den ganzen lieben langen Film über dominiert behauptete Aktivität. Leider aber spürt man diese so wenig im Herzen, wie die vom Verleih versprochene Liebesgeschichte, die eine Behauptung bleibt.

Das muss man erst einmal schaffen! In der filmischen Entwicklungsnation Schweiz im Jahr 2019 mit dermaßen viel Budget so gekonnt mit Zwingli zu langweilen.

61%

Zwingli

Historienfilm über das Wirken des Reformators Huldrych Zwingli

Filmtitel
Zwingli (2019)
Regie
Stefan Haupt
Filmdauer
2 Std. 9 Min.
Darsteller:in
Maximilian Simonischek, Sarah Sophia Meyer, Charlotte Schwab, Anatole Taubman, Stefan Kurt, Oscar Bingisser
Bewertung
★★★★☆☆
61 % von 12 Menschen lieben diesen Film
Genre
Historie

Im Zürich des Jahres 1519 wird der Reformator Huldrych (Ulrich) Zwingli zum neuen Prediger am Großmünster ernannt. Er bricht mit der traditionellen lateinischen Liturgie und beginnt, die Bibel in deutscher Sprache zu erläutern, was unter den Kirchgängern für Aufsehen sorgt. Seine Kritik an der katholischen Kirche entzündet intensive öffentliche Debatten und ruft auch den Großen Rat der Stadt auf den Plan. Dieser bescheinigt Zwingli zwar, in Übereinstimmung mit der Bibel zu handeln, doch die konservativen Kräfte der Kirche bleiben eine ständige Bedrohung.

 

Parallel zu seiner religiösen Arbeit entwickelt sich zwischen Zwingli und der jungen Witwe Anna Reinhart eine Liebesbeziehung. Diese Beziehung wird in der angespannten politischen und religiösen Lage auf eine harte Probe gestellt, besonders als katholische Mächte beginnen, sich international gegen Zwinglis reformatorische Bewegung zu stellen.

Ansehen
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★★★★★ = empfehlenswert | ★ = kaum sehenswert
Credits & Filmdaten von | Nutzung erfolgt eigenverantwortlich


»Zwingli, der Reformator« ist ein keimfreier Film, der seine Mühe, dramaturgische Brücken zwischen historisch verbürgten Tatsachen zu schlagen, leider nicht überwinden kann.

 

Immerhin, und das wenigstens ist ein kleines, aber auch arg trauriges Wunder: Der Schweizer Regisseur Stefan Haupt, der mit seinem letzten Spielfilm „Der Kreis“ ein Meisterwerk geschaffen hat, die Schauspieler, allen voran ein grandioser Anatole Taubman, die Kostüme und Sets – alle Voraussetzungen wären dagewesen.

 

Welcher finstere Teufel hat es geschafft, aus einem solchen Stoff wie Zwingli einen Film zu machen, der daherkommt wie ein perfekt verfilmtes Lehrmittel für die Mittelschule, gesponsert von einem Waschmittelhersteller, der weißer wäscht, als alle anderen?

 

Man spürt die Absicht … – und ist verstimmt

 

Die größte Institution hinter dem Film, die reformierte Kirche, welche das Werk auf unterschiedlichsten Ebenen unterstützt hat, scheint mit ihrem „Gründer“ Zwingli im Jubiläumsjahr 2019 fast so große Probleme zu haben wie mit den im Kinofilm vorkommenden Täufern, bei denen sie sich erst vor einem Jahrzehnt (!) für ihre Missetaten offiziell entschuldigt hat. Sie verpasst mit «Zwingli, der Reformator» die einzigartige Chance, das eigene arg angestaubte Profil zu schärfen und ihre 500 Jahre alten Werte für ein großes Publikum glaubhaft in die Gegenwart zu transportieren. Ob oder gerade, weil sich hinter dem im Abspann auftauchenden Namen Interfilm eine Interessengemeinschaft filmbegeisterter Geistlicher versteckt, bleibt das Geheimnis der Produzenten.

 

Auch eine Bank mit Staatsgarantie als Presenting Sponsor macht einen solchen Film naturgemäß selten frischer und frecher – beide, Kirche und Bank teilen sich hier ein Ziel: Sie wollen ihre betagten Schäfchen und Schalterkunden keinesfalls erschrecken. Alles soll bitte bleiben, wie es ist. Ist das Zwingli?

 

Mit «Zwingli, der Reformator» ist es ein wenig so, wie mit dem angeblichen Helm des Reformators, der sich in der Sammlung des schweizerischen Nationalmuseums befindet. Das klaffende Loch darin soll als Beleg dazu dienen, dass Zwingli diesen 1531 in der Schlacht getragen hat, in der ihm der Schädel eingeschlagen wurde. Man möchte die Geschichte und dem bösen Loch gerne glauben, kann es aber nicht. Nicht zuletzt, weil auf dem Helm in riesigen Lettern unübersehbar der Name seines Trägers eingraviert wurde. Damit auch der größte Dummkopf verstehen möge, was Sache ist.

 

Vom Winde verweht

 

Fast müsste man sich wünschen, dass der den Film ebenfalls unterstützende Fleischereibetrieb (gibt es bald schon „Zwingli – die Wurst“?) mehr Einfluss auf das Drehbuch bekommen hätte. Etwas mehr Blut, Dreck und Gewalt hätten «Zwingli, der Reformator» zwar kaum besser gemacht. Aber immerhin von den erzählerischen Schwächen ablenken können.

 

Auch der Soundtrack, welcher der voraussehbaren Handlung immer wieder verzweifelt Tritte in den Allerwertesten versetzt, kann unter solchen Bedingungen nur scheitern. Nicht an der Harmlosigkeit der Figur Zwingli, aber an derjenigen des Filmes. Da ist ganz einfach ganz und gar nichts Mutiges, in diesem harmlosen Film ohne Kanten.

 

Trösten darf man sich immerhin damit, dass Zwingli sich über diese missglückte filmische Verwurstung seines Lebens nicht im eigenen Grab umdrehen kann: Der Reformator wurde nach seinem Tod gevierteilt, verbrannt und seine Asche von seinen Feinden in alle Winde verstreut. Auf, dass er nie mehr wiederkehre. «Zwingli, der Reformator» respektiert diesem Wunsch.

 

Zwingli der Reformator: das teuerste Hörspiel der Schweizer Filmgeschichte?

 

Der Leiter Fiktion des deutschschweizerischen Farbfernsehens hat kürzlich in der Schweizer Presse festgestellt: „Nicht alles, was im Kino funktioniert, funktioniert auch im TV.“ Als mitverantwortlicher Co-Produzent des Filmes hätte er den Machern zurufen sollen: „Nicht alles, was im Fernsehen funktioniert, funktioniert auch im Kino“.

 

«Zwingli, der Reformator», man hofft es nur schon mit Blick auf die im Namen der Kultur gesprochenen Subventionen, sollte wenigstens beim öffentlich-rechtlichen Sender der Schweiz für Quote sorgen. Die fernsehfilmgerechte Altersstruktur des Publikums ist auf diesem Kanal schon mal gewährleistet.

 

Gelingt auch das nicht, geht «Zwingli, der Film» aufgrund seiner quälend erklärenden Dialoge als das wohl teuerste historische Hörspiel in die Schweizer Filmgeschichte ein. Immerhin.

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Zachery Z. 53 Artikel
Zachery Zelluloid war in der Unterhaltungsindustrie tätig. Er schreibt unter Pseudonym, weil er weder vertraglichen Schweigepflichten verletzen, noch das wirtschaftliche Fortkommen der Berufsgattung Anwalt fördern oder Freunde brüskieren will. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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