Warum »Zack Snyder’s Justice League« ein Indiz dafür ist, dass die Zukunft des Kinos in China liegt

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Wird »Justice League« bald schon mit chinesischen Darstellern in China produziert? | © Symbolbild: Pavel Sokolov

Die mit der Pandemie einhergehende Flaute des Kinos droht unsere Sicht auf die wirklich wichtigen Fragen zur Zukunft des Spielfilms zu vernebeln, schreibt Filmpuls-Experte und Autor Zachery Z.

Games und Streaming sind für Kinofilme ernsthafte Konkurrenten. Doch die Zukunft des Kinos wird anderswo entschieden. Ein Großteil der Kinoindustrie, Hollywood inbegriffen, scheint dies noch nicht wirklich bemerkt zu haben. Dabei lässt sich allein aus der Produktionsgeschichte von »Zack Snyder’s Justice League« viel über das Hollywood dieser Tage lernen.

Filmstudio China
© Foto: wikipedia.org
The Oscar goes to

China: in rasantem Tempo unterwegs zur weltgrößten Filmindustrie

Die chinesischen Kinokassen haben inzwischen Nordamerika als größten Filmmarkt der Welt abgelöst. Bereits vor dem Ausbruch der Pandemie lieferte sich China mit einem Einspielergebnis von über neun Milliarden US-Dollar ein Kopf-an-Kopf-Rennen mit Hollywood. Bei der Anzahl produzierter Spielfilme hat die chinesische Filmindustrie die westlichen Länder längst abgehängt. China produziert dabei auch ganz gezielt Blockbuster-Hits. Fachleute sagen voraus, dass China nach der Pandemie eine noch größere Bedeutung für das weltweite Kino bekommt.

  • Im Jahr 2019 produzierten die chinesischen Filmstudios 1.037 Filme innerhalb von zwölf Monaten. Das sind im Durchschnitt 2.85 Spielfilme pro Tag (!).
  • Die führenden staatlichen Filmproduktionsgesellschaften China Film Group, Huaxia Film Distribution und Shanghai Film Group generierten 2020 einen Box-Office-Umsatz von 1’9 Milliarden Euro.
  • US-Studios dürfen gemeinsam pro Jahr maximal 34 ausländische Filme nach China exportieren und müssen dabei 75 % (!) der Ticketeinnahmen an die Volksrepublik China abtreten. Ausländische Independent-Movies erhalten gar keinen Anteil am chinesischen Box Office. Sämtliche Filme müssen von den staatlichen Behörden lizenziert werden.
  • Im Heimmarkt verkauft die chinesische Filmindustrie pro Jahr 1.7 Milliarden Kinotickets. Dem stehen 75.000 Kinosäle gegenüber.

Quelle: statista.com

Warum das Spielfilmgeschäft zukünftig wohl China gehört

Um abzuschätzen, wie sich der globale Kinomarkt zukünftig ausbilden wird, reicht der nüchterne Blick auf Fakten und Daten.

Spielfilme können das Potenzial einer Kunst haben. Zugleich hat jeder Kinofilm eine kommunikative Komponente und ist immer auch ein Wirtschaftsgut. Und: Kinofilme sind teuer. Wer in die Herstellung eines Kinofilms investiert, geht enorme Risiken ein. Das muss man sich leisten können.

Stark vereinfacht kann man festhalten, dass es zwei grundsätzliche Typen der Filmfinanzierung gibt. Erstens diejenige durch die Privatwirtschaft (US-Studios, Investitionsgesellschaften, vermögende Privatpersonen). Zweitens werden Filme durch staatliche Förderung ermöglicht. Gerechtfertigt wird die Finanzierung durch Steuergelder durch die Qualifikation von Filmen als Kulturgut.

Auch wenn in der Praxis die beiden Finanzierungsform (öffentliche Hand oder Privatwirtschaft) sich in der Regel überschneiden oder ergänzen, man braucht nicht Astrophysik studiert zu haben, um zu entscheiden, ob der Westen oder ob China mehr Finanzierungspower besitzt.

Hungrige Kinolandschaft und steile Lernkurve

Erfolg im globalen Unterhaltungsbusiness hat dabei immer auch, wer hungrig ist und bereit dazu, Risiken einzugehen und zu tragen.

Hollywood schießt sich diesbezüglich seit einem Jahrzehnt erfolgreich ins Off. Formelhafte High-Konzept-Storys und der immer größer werdende Reigen der Superhelden, deren steife Emotionalität an ein Nudelholz erinnert, haben das Publikum in die Arme der Streaming-Anbieter getrieben.

China umgekehrt hat auch im Kinogeschäft eine unglaublich steile, beängstigende Lernkurve hingelegt. Quentin Tarantino hat vor rund 18 Jahren Teile seines Spielfilm-Zweiteilers „Kill Bill“ in einem Studio in Hongkong gedreht. Weil die chinesische Crew kein Wort Englisch verstand, hielt der Kameramann bei Kamerafahrten unterschiedliche Schilder in chinesischer Sprache in die Höhe, damit die Techniker am Dolly wussten, in welchem Tempo die Kamera auf den Schienen bewegt werden musste.

Heute produziert das Reich der Mitte ohne Hilfe von Hollywood technisch hervorragende Filme, die auch die Kinokasse klingeln lassen. Vorderhand noch in erster Linie im gigantisch großen Heimatmarkt. Aber es dürfte nicht lange dauern, bis wir die ersten Blockbuster, die ganz und sonders in China produziert wurden, und nicht nur mit chinesischen Mitteln in Hollywood kofinanziert, hierzulande auf der großen Leinwand sehen.

Deutschland galt vor 100 Jahren als führende Kinonation. Genau wie in China heute wurden in den USA damals Filme in erster Linie für den Heimmarkt produziert. Erst einhergehend mit der wirtschaftlichen Kraft der Vereinigten Staaten nach dem Weltkrieg wurden Spielfilme zum weltweiten Exportschlager und zum Botschafter amerikanischer Lebenskultur und des damit einhergehenden Werte-Kanons.

THE 800:  Trailer Deutsch (2021)  | © Beijing Diqi Yinxiang Entertainment, Huayi Brothers Media / YouTube

THE 800 Trailer German Deutsch (2021)

Warum sollte die Volksrepublik China ihre Wirtschaftspower nicht ebenso dazu einsetzen, mit Spielfilmen den Weltmarkt zu prägen und zugleich – nicht zu unterschätzen – die eigene Kultur und Weltanschauung global zu propagieren?

Das Wachstum von Chinas Filmindustrie – dessen technische Kapazität und die zunehmende Fähigkeit, Kinospektakel zu liefern – verschiebt das Gleichgewicht zwischen Hollywood-Filmemachern und Peking.
PEN America

Der Autorenverband PEN America stellt dazu fest:

„Pekinger Bürokraten und chinesische Kinos benötigen Hollywood immer weniger. Früher hatten die Vereinigten Staaten eine viel stärkere Position an den chinesischen Kinokassen inne, wobei ihre glitzernden, aufwendig produzierten Blockbuster die einheimischen Filme in den Schatten stellten. Aber in den vergangenen Jahren hat sich die technische Qualität chinesischer Filme kontinuierlich verbessert, sodass diese Filme zunehmend mit ausländischen Blockbustern konkurrieren können.“

»Zack Snyder’s Justice League« als Fieberthermometer

Wo ein Akteur rasant an Stärke gewinnt, gibt es immer auch Gegenspieler mit eklatanten strategischen Schwächen.

Wie sehr Hollywood im Moment krankt, zeigt exemplarisch der Film »Justice League«, der diese Tage nochmals als Director’s Cut von Regisseur Zack Snyder erschienen ist:

Zuerst wurde bei den Dreharbeiten zu »Zack Snyder’s Justice League« die Regie ausgewechselt, anschließend mehr als die Hälfte des Films nochmals und neu gedreht. Soweit so gut und nicht unüblich. Doch der Film stolperte an den Kinokassen. Lautstark unterstützt von seiner Fangemeinde, erklärte sich darauf Regisseur Zack Schneider dazu bereit, die ursprünglich von ihm geplante Fassung seines Werks zu veröffentlichen. Wieder wurde neu gedreht und nochmals Dutzende Millionen investiert.

Hinter den Kulissen stritt man sich derweilen über die Frage, ob sich aus dem Spielfilm nicht besser eine vierteilige Serie für HBOmax fabrizieren ließe. Schließlich wurde die Idee einer Serie vorderhand verworfen.

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Für 6.3 Mia € ein chinesisches Filmstudio aus dem Boden stampfen: Qingdao Oriental Movie Metropolis (万达东方影都) | © Foto: qingdaonews

Doch mit über 4 Stunden Laufzeit lag nur ein Film vor, dessen Länge für die Kinobetreiber reines Gift ist: Ganz einfach darum, weil Kinos überlange Filme nicht im üblichen Rhythmus und damit weniger oft pro Tag spielen können, als ein Film mit der üblichen Spieldauer von 90 bis 120 Minuten. Weniger Ticketverkäufe sind die Folge. Würden aber die Ticketpreise angehoben, um diese Ertragsausfälle zu kompensieren, treiben die hohen Preise das Publikum in die Arme der Streaming-Plattformen.

Die Lösung für dieses Dilemma war so genial wie seltsam. Die Film-Manager ließen sich vom Plan überzeugen, »Zack Snyder’s Justice League« hauptsächlich in IMAX-Kinos auszuwerten, denn deren Ticketpreise bewegen sich in einem höheren Segment. Allerdings ist diese Art Kino weit weniger verbreitet – und die dort gezeigten Filme dauern meist zwischen 40 Minuten und einer Stunde. Traumhochzeiten sehen anders aus.

Die Kreativen hinter »Zack Snyder’s Justice League« beharrten folgerichtig wegen des IMAX-Formats darauf, „Justice League“ zwar großformatig, aber im Format 4:3 zu drehen. Dieses nahezu quadratische Bildformat kennt man von alten Fernsehgeräten. Aber damit nicht genug. Die Macher weigerten sich erfolgreich, den Film für die normale Auswertung auf das übliche Bildverhältnis von 16:9 zu adaptieren.

Als Resultat dieser ganzen Reihe unglückseliger Entscheidungen ist eine Heldensaga entstanden, die großes Kino sein will, von Kinoketten aber kaum vorgeführt wird. Dafür erzählt »Zack Snyder’s Justice League« auf sämtlichen TV-Screens dieser Welt mit fetten schwarzen Balken links und rechts vom Bild (!) von seiner missglückten Geburt. Es ist eine Ironie des Schicksals: Ohne störende Seitenstreifen lässt sich das vierstündige Kino-Epos absurderweise einzig auf dem Mobiltelefon ansehen.

Die chinesische Filmindustrie meldete dafür zeitnah zum Start von »Zack Snyder’s Justice League« frohen Mutes, dass erstmals zwei chinesischen Spielfilme, »Detective Chinatown 3« und »Hi, Mom«, pro Spielfilm je 600 Millionen € Box Office vermelden können. Die letzte zuverlässige Geheimwaffe des westlichen Kinos an der Kinokasse, James Bond 007, bewegte sich mit »Spectre« im Dienste ihrer Majestät noch in ähnlicher Flughöhe.

Der weltweit erfolgreichste Film 2020? Ein Kriegsfilm mit makellosen Digitaleffekten und dem knackigen Titel «The Eight Hundred» … – natürlich ebenso aus China.

Quelle Zitat: PEN.org (Artikel in englischer Sprache)

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 29.06.2021

Zachery Z. 51 Artikel
Zachery Zelluloid war in der Unterhaltungsindustrie tätig. Er schreibt unter Pseudonym, weil er weder vertraglichen Schweigepflichten verletzen, noch das wirtschaftliche Fortkommen der Berufsgattung Anwalt fördern oder Freunde brüskieren will. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.

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