Wie YouTube funktioniert: die Geheimnisse der weltgrößten Videoplattform

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YouTube: Die Mechanik hinter der weltgrößten Videoplattform | © Illustration: Pavel Sokolov

Wie wichtig YouTube für Video Creators sein kann, wissen alle. Was wirklich hinter der weltgrößten Videoplattform steckt, nur wenige. Hier erkläre ich dir, worauf du dich in Zukunft bei der Online-Distribution von Videos über diesen Kanal gefasst machen musst.

Vor rund drei Jahren war ich böse. Ich habe nämlich hier bei Filmpuls erstmals geschrieben, was YouTube meiner Meinung nach wirklich ist: Und dabei behauptet, die Plattform sei ein gigantischer Friedhof für Bewegtbild. Diesen Artikel findest du hier.

Mittlerweile gibt es dazu eine neue Studie von PEX. Das Unternehmen erstellt Analysen für Rechteinhaber von Videos und Musik im Internet. Die Ergebnisse der Untersuchung sind erstaunlich.

Ebenso hat auch die New York Times für Aufsehen im Zusammenhang mit YouTube gesorgt. Sie hat berichtet, wie Forscher des Berkman Klein Center for Internet and Society an der Universität Harvard das Funktionieren des Algorithmus von YouTube näher untersucht haben – und damit ein kleines Erdbeben ausgelöst.

Algorithmus bei YouTube: immer extremere Videos

Es heißt Künstliche Intelligenz. Aber das Ziel der KI ist es, sich der menschlichen Intelligenz anzunähern. YouTube gelingt das schon ziemlich gut. Algorithmen analysieren hier nicht nur den User. Sondern sie geben ihm, wie Netflix und viele andere auch, was er will.

Zugleich berücksichtigen die lernfähigen Programme immer mehr menschliches Verhalten. Sie haben erkannt, dass (nahezu) alles im Leben einmal dröge und langweilig wird. Auch Videos. Weil dich YouTube nicht langweilen und damit verlieren will, hat die künstliche Intelligenz ihre eigene Antwort gefunden.

Die Lösung ist ganz einfach. Und sehr menschlich. Weil YouTube die Inhalte von Videos immer besser versteht und einordnet, schlägt dir die Plattform automatisch neue Videos vor. Diese passen weiterhin zu dem von dir bevorzugten Themenfeld. Inhaltlich aber sind sie extremer.

Ein Beispiel:

Du schaust dir gerne Katzenvideos an. Kleine, süße Katzenbabys berühren dein Herz. Du kannst das stundenlang anschauen. Immer wieder. Aha, sagt der Algorithmus von YouTube. Da mag jemand Katzen! Darauf bauen wir auf! Bald bekommst du nun Videos vorgeschlagen, in denen kleine, kranke Stubentiger zum Onkel Tierarzt müssen. Eine arme dreibeinige Katze hinkt wie zufällig durch ein vorgeschlagenes Video. Da kämpfen zwei Kater. Dort wird eine lebende Maus zerkaut.

Ein süßes Katzenvideo …

Eines Tages fragst du dich, warum du nur noch Videos über Katzen bekommst, die entweder überfahren oder beim Tierarzt operiert werden. Oder schlimmeres.

Weitere Anwendungsbeispiele kannst du dir sicher gut und selbst ausmalen! Denke an ein Video von spielenden Kindern in einem öffentlichen Schwimmbad. Oder an die berühmte Tour de France, die dich dank künstlicher Intelligenz in einer geraden Linie zu den zehn schlimmsten Massenkarambolagen mit tödlichem Ausgang führt. Genau dies sind die Beispiele, welche in der Zeitung New York Times aufgeführt wurden.

Zusätzliche Brisanz bekommt dieser Automatismus, weil junge Menschen schon lange nicht mehr TV, sondern YouTube anschauen. Mehr als 86 % der 12 bis 19-jährigen in Deutschland nutzen dieses Jahr den Videodienst. Er ist damit erstmals offiziell das Leitmedium dieser Altersgruppe, also die wichtigste mediale Informationsquelle.

Als Reaktion auf den Artikel in der New York Times hat YouTube händisch eine unbekannte Anzahl extremer Videos gelöscht. Der Grat zwischen einer offenen Plattform und Verantwortung ist ein schmales Seil in schwindelerregender Höhe.

Digitaler Katzenfriedhof bei YouTube mit Zahlen belegt

Zahlen lügen nicht.

Die erste wichtige Erkenntnis einer neuen Studie von PEX, die nicht alle freut:

Die meisten Views erzielt YouTube mit gestreamter Musik. Darunter fallen Musikvideos, aber auch Songs, die statt gezielt dafür erstelltem Video Content mit Bildcollagen oder sogar einem Standbild arbeiten.

YouTube Content nach Kategorie | © Grafik: Pex

YouTube Content nach Kategorie

Zugleich erzielen, wenig überraschend, ganz wenige Videos extrem viel Traffic, während der ganz große Rest an Videos weitestgehend unbemerkt und damit auch ungesehen bleibt.

In Zahlen: 97 % der Videos sind Zombies, die sich niemand ansieht. Nur die restlichen 3 % sorgen dafür, dass die Post (oder vielmehr: die Musik) abgeht! Wenn du unter Erfolg mehr als 100.000 Zuschauer verstehst, sind es sogar nur 0,64 % aller Videos.

YouTube besteht also in erster Linie aus irrelevanten Videos, die niemand sieht.

Wenn du nun denkst, dass dein Video zu den 3 % der Videos gehört, die performen, wünsche ich dir weiterhin schöne Träume. Du hast nur 5,2 Milliarden andere Videos als Konkurrenz. Eine Milliarde entspricht tausend Millionen. Du trittst gegen nur 5.200.000.000 Alternativen an.

Als kluges Köpfchen hast du dir natürlich eine Strategie zurechtgelegt, warum du trotzdem mit Videos Erfolg haben wirst … – du stellst was online, was noch niemand gesehen hat, weil es so richtig extrem ist. Und schon schließt sich der Kreis und fährt die Teufelsmaschine YouTube nochmals einen Zacken schneller im Kreis um das, was vom gesunden Menschenverstand aktuell im Web noch übrig geblieben ist.

Bevor wir einen Blick in die Zukunft wagen, eine letzte Anmerkung zu YouTube von heute. Eine weitere Studie belegt, dass sogenannte werbefreundliche Kanäle bei YouTube deutlich bevorzugt werden. Nur: Wofür steht diese „Werbefreundlichkeit“?

Werbefreundlich sind in den Augen der Plattform YouTube die Kanäle von bekannten Marken. Diese Videos schlägt YouTube zwanzigmal öfter (!) anderen Usern als Trend vor. Den Rest kannst du dir denken.

Als einfacher User bist du mit deinem Videokanal also enorm benachteiligt. Typisch USA, und wie üblich im disruptiven Raubtierkapitalismus, gilt ohne Scham: Wer hat, dem wird gegeben. Der Rest kann sehen, wo er bleibt.

So funktioniert YouTube in der Zukunft?

Wer nun 1 und 1 zusammenzählt, kann folgende Entwicklungen bei YouTube behaupten und auch kausal argumentieren:

Erstens: YouTube ist kommerziell orientiert. Wenn 3 % (oder sogar 0,64 %) aller Videos für den Umsatz sorgen, wird der Rest der Videos eines Tages gelöscht werden. Er trägt nichts zum Gewinn bei. Mit dem Löschen des Videomülls steigt der Gewinn sogar nochmals, weil Speicherplatz und Streaming beim Upload gespart werden. Alternativ könnte, so betrachtet, YouTube für Content, der nicht werbefreundlich ist, in Zukunft kostenpflichtig werden. So wie jede cloud-basierte Speicherlösung für private User.

Zweitens: Weil sich die digitale Welt zwar rasant ändert, nicht aber der Mensch mit seiner ewigen Neugierde und seinem unstillbaren Wunsch nach Unterhaltung, führt für den geschäftlichen Erfolg der Tochterfirma von Google kein Weg an immer „besseren“ (sprich: immer bombastischeren) Videos vorbei. Gib dem Affen, was er will! Da aber gleichzeitig der Druck auf YouTube steigt, als Marktführer seine moralische Verantwortung wahrzunehmen, müssen die Inhalte verstärkt kontrolliert werden. Möglich ist das nur, wenn nicht mehr länger jede einzelne Minute unkontrolliert 621 Stunden Videomaterial hochgeladen wird. Damit aber läuft die Zeit von YouTube als offene Videoplattform ab.

Drittens: Du kommst schon heute, geschweige denn morgen, als Videoproduzent oder Auftraggeber daran vorbei, deine Videos nach allen Regeln der Kunst zu vermarkten. Ohne professionelle Strategie und ohne Marketingkonzept sieht dein Content niemand.

Damit dein Video nicht gottvergessen verschimmelt, benötigst du Wissen in einer Disziplin, die wenig mit Filmemachen zu tun hat. Und in den meisten Fällen benötigst du auch ein Marketingbudget, also zusätzliches Geld.

Zusammenfassung

Das musst du wissen

  • YouTube entwickelt seine Algorithmen mit künstlicher Intelligenz weiter. Diese haben gelernt, dass sich die Menschen einerseits an Dinge gewöhnen, und andererseits – wenn sie sich an etwas gewöhnt haben – auch schnell langweilen.
  • Darum bekommst du von YouTube von der Art Videos, die du schaust, automatisch immer ausgefallenere Varianten vorgeschlagen. Brisant daran: YouTube ist erstmals in seiner Geschichte das Leitmedium für junge Zielgruppen in Deutschland.
  • Nach wie vor gilt YouTube als offene Plattform für Videos. Jeder darf seinen Video-Content gratis hochladen. Aktuell sind das 621 Stunden Videos in jeder Minute (!).
  • Trotz der vielen Inhalte erreichen gerade mal 0,64 % (!) aller Videoinhalte ein richtig großes Publikum.
  • YouTube bevorzugt werbefreundliche Videos bekannter Markenkanäle.
  • Ohne Marketing und Werbebudget findet dein Bewegtbildcontent kein Publikum mehr.

Quellen und weitere Informationen

Die Zahlen und Grundlagen zu diesem Beitrag stammen aus diesen Quellen:

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 18.06.2019

Carrie Duvan 19 Artikel
Carrie Duvan hat am Aufbau einer Social Media Plattform mitgearbeitet und war Chief Web Officer (CWO) für ein internationales Agenturnetzwerk. Carrie ist glücklich ❤️ verheiratet und Mutter.

1 Kommentar

  1. Uhh da hat aber jemand schlechte Erfahrung mit YouTube gemacht?! Die Engagement-Rate ist bei YouTube auch bei unbezahlten und werbelosen Videos um ein Vielfaches höher, als beispielsweise bei Facebook. Das hat mit dem Typ User zu tun, der bei YouTube typisch ist. Das ist der Grund, warum für Wirtschaft & Politik fast alle Online Medien ein Dorn im Auge sind. Weil dort unbemerkt über Jahrzehnte, virtuelle Räume entstanden sind, die sie nicht nur nicht verstehen, die sie vor allem aber nicht kontrollieren können! Online gibt es keine Räume wie Stammtische oder Schützenvereine, wo man jemanden herausschmeißen kann, nur weil einem sein Gesicht oder die Einstellung nicht passt! Und das finde ich KLASSE. Vor allem, weil sich die Community bei YouTube, ihre liebe zur Glaubwürdigkeit bewahrt hat. Denn es geht im Grunde um etwas völlig anderes. Es ist ein Paradigmenwechsel von seriös zu glaubwürdig. Es geht darum die Kontrolle (zurück) zu gewinnen. Zu allen anderen Punkten gäbe es auch noch jede Menge zu sagen… Aber an dem Punkt hängt eben alles. Seriös oder glaubwürdig?

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