Beim Marketing mit Videos und in der Kommunikation mit Bewegtbild war bisher das Querformat das Maß aller Dinge. Durch den Siegeszug der Smartphones bewegt sich der Trend nun aber klar in Richtung Hochformat.
Das Entertainment ist für die professionelle Kommunikation mit Film und Video immer schon ein Trendsetter gewesen. Ganz einfach darum, weil der Bereich der Unterhaltung die Sehgewohnheiten des Publikums weltweit prägt. Dabei haben auch immer schon technische Spezifikationen mitgewirkt. Früher eher im Hintergrund auf Stufe der Aufnahmetechnik, heute ganz im Vordergrund durch die Geräte, mit denen wir Videos konsumieren.
70 % der Bildschirmzeit
YouTube hat in einer Studie eruiert, vor welcher Art Screen (und Bildschirm) der moderne Mensch heute am meisten Zeit verbringt. Das Resultat: über 70 % der Bildschirmzeit verbringt der User auf mobilen Geräten. Weil diese überwiegend im Hochformat in der Hand gehalten werden, ändern sich auch die Sehgewohnheiten.
Statt Cinemascope und Breitbild finden vertikale Bildformate immer mehr Akzeptanz und darum Verbreitung. Darum bietet YouTube neu auch Werbevideos im originären Hochformat an.
Adaptive Auslieferung von Serien
Auch Netflix hat schon seit einiger Zeit erkannt, wie wichtig die Auslieferung seiner Serien im richtigen Bildformat ist. Zwar hat man den Schritt vom Quer- zum Hochformat noch nicht gemacht. Der Streaming-Gigant experimentiert aber immerhin damit, für das Ansehen auf dem Smartphone andere Einstellungsgrößen anzubieten, als auf dem großen Bildschirm.
Erstmals wurde dies für die Erfolgsserie «The Crown» öffentlich angekündigt. Wo am Fernseher die Totale einer Landschaftsaufnahme zu sehen ist, erscheint auf dem Mobiltelefon für den Betrachter stattdessen eine halbnahe Einstellung. Ganz einfach, weil auf einer Pixelbreite von beispielsweise 736 Pixel (diesen Wert besitzt das iPhone 6/7plus, wenn es im Querformat in der Hand gehalten wird) ein Panorama nicht dieselbe Wirkung erzeugen kann, wie auf einem Bildschirm mit Cinema 4K und 4096 Pixel.
Filmpuls hat diesen Trend bereits vor 3 Jahren in einem Artikel vom 5. Januar 2016 hier vorausgesagt.
Firework und Quibi setzen auf Hochformat
Die Social-Media-Plattform Firework und der Start-up Quibi machen deutlich, was in Zukunft im Hinblick auf Bildformat zu erwarten ist. Nicht nur im Bereich Unterhaltung. Auch für das Marketing und Unternehmenskommunikation mit Videos wird der Trend zum Hochformat früher oder später Folgen haben.
Quibi setzt auf Hochformat
Quibi hat in der ersten Finanzierungsrunde über eine Milliarde (!) US-Dollar einsammeln können. Die Firma eine klare Vision. Dabei ist der Firmenname Programm. Er ist eine Kombination der beiden englischen Wörter Quick Bites, was in der deutschen Sprache sowohl als «Schnelle Häppchen» als auch flinke Daten bedeutet.
Sie möchte serielle Inhalte an die Gewohnheiten der User von Smart Devices anzupassen und maßgeschneidert für alle Plattformen bereitzustellen.
Konkret heißt das: Serien mit Folgen, deren Länge nicht mehr als 8 Minuten dauert. Marktstudien belegen, dass viele User von Smart Devices mehrfach am Tag diese Zeitspanne für guten Bewegtbildcontent aufbringen können. Sei es in der Mittagspause, auf dem Arbeitsweg oder im Fitnesscenter.
Quibi wird eine Infrastruktur bereitstellen, die möglichst viele Formate erlaubt und möglichst wenige Grenzen setzt.
Jeffrey Katzenberg, Quibi
Dabei profitiert Quibi von einem Paradox: Die Verweildauer auf mobilen Geräten für das Betrachten von Videos steigt im Total pro Tag zwar weiterhin jedes Jahr an, setzt sich aber aus immer kleiner werdenden Zeitspannen zusammen. 2013 wurden pro User auf dem Smartphone noch sechs Minuten Video pro Tag abgerufen, heute sind es über 70 Minuten.
Am 20. September 2020 wurde bekannt, dass Quibi entweder mehr Geld, oder einen Käufer sucht. Allenfalls sei auch ein Gang an die Börse (IPO) zur Aufstockung der Finanzierung denkbar. Gerüchte zufolge liefen die Geschäfte des Unternehmens in den vergangenen sechs Monaten markant schlechter als erwartet. Zum Start konnten Investoren mit Mitteln in der Höhe von sagenhaften 1,75 Milliarden USD vom Geschäftskonzept mit Unterhaltung im Hochformat überzeugt werden.
Hochformat als Programm: Firework
Die Social-Media-Plattform Firework geht noch einen Schritt weiter. Die maximale Länge für Videocontent ist hier (vorderhand noch) auf 30 Sekunden begrenzt.
Installiert der User die App auf seinem Smartphone, kann er seine Videos gleichzeitig im Hochformat wie auch im Querformat drehen. Beide Bildausschnitte werden durch eine Maske auf dem Bildschirm angezeigt.
Zeit ist kostbar, die Leute sind dauernd unterwegs – 30 Sekunden sind die ideale Zeitspanne für eine packende Geschichte.
Cory Grenier, Firework
Der Clou dabei: Dreht der Zuschauer das Smartphone von der Vertikalen in die Horizontale, erweitert sich der Bildausschnitt nahtlos und zeigt, was vorher links und rechts im Bild verborgen blieb. Oder, umgekehrt, erlaubt es dem User, bei einem Interview, das im Querformat zu sehende Umfeld durch das Halten des Smartphones im Hochformat weitestgehend auszublenden.
Mehr als eine Million User finden dies bereits heute grandios und verwenden die App.
Zugleich eröffnet die nur vordergründige Spielerei für die Werbewirtschaft neue Perspektiven: Sie fordert den Zuschauer auf, mit den Videos zu interagieren. Bemerkenswert ist das auch darum, weil damit der Erinnerungswert des Betrachters im Vergleich zu einer nur passiven Konsumation nochmals ansteigt.
Denn nach 60 Minuten kann sich der Mensch noch an 17 % von dem erinnern, was er gelesen hat. Ganz anders, wenn der Mensch selbst etwas erlebt oder sieht: In diesem Fall bleiben stolze 80 % haften. Verbindet sich ein visuelles Erlebnis mit einer Interaktion, steigert sich der Erinnerungswert bis auf sagenhafte 90 %.
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Erfolgreich verlernen
Gib dem Affen Zucker! Das ist nicht nur der Titel einer italienischen Komödie mit Adriano Celentano, sondern auch das Prinzip, mit dem das Internet uns alle vor sich hertreibt. Was die Mehrheit der User will, das wird sie bekommen. Das gilt auch für das Hochformat für Videos auf dem Smartphone.
Daran ändert nichts, dass mit dem Hochformat liebgewonnene Erfahrungswerte verloren gehen. Dem Web ist es gleichgültig, ob Einstellungsgrößen neu definiert und erfunden werden müssen. Altes abzulegen war immer schon schwieriger, als Neues zu lernen.
Im digitalen Zeitalter aber gewinnt nur, wer auch erfolgreich verlernen kann – nicht nur, aber auch beim Hochformat für Videos.
Räumlichkeit geht beim Hochformat verloren
Den Preis, den man für Videos im Hochformat bezahlt, ist die Reduktion der Räumlichkeit. Ein dreidimensionaler Eindruck eines Raumes bekommt der Mensch nur darum, weil die Augen des Menschen horizontal in einem gewissen Abstand voneinander stehen. Das ist eine einfache, mathematische und physiognomische Gleichung.
Was die Evolution als Vorteil erkannte, hat auch der Film imitiert. Das Breitwandformat, so die Argumentation, erleichtert dem Zuschauer durch die Simulation eines Raumeindrucks die Immersion, also das Eintauchen in die Story. Leichte Kamerabewegungen verstärken den Raumeindruck zusätzlich. Ebendarum gibt es nahezu keinen Hollywoodfilm, in dem sich die Filmkamera, und sei es auch nur minimal, bewegt.
Die schlechte gute Nachricht
Beim Hochformat wirkt dieser Raumeffekt nicht mehr in gleichem Umfang. Das Gute daran: Visuelle Mogelpackungen verführen hier weitaus weniger als im Querformat. Nur bunt und schön reicht nicht mehr. Die schlechte Nachricht: Der Inhalt muss, um eine vergleichbare Wirkung zu entfalten, mit einem wirklich starken Videokonzept unterlegt sein. Was vielleicht auch eine gute Botschaft ist.
Fazit
Das musst du wissen
- Weil die Nutzung von Smartphones konstant zunimmt, ändern sich auch die Sehgewohnheiten.
- Dabei gewinnt das Hochformat (engl. = Porträt) gegenüber dem Querformat (Landscape) an Wichtigkeit.
- Netflix, aber auch neue digitale Plattformen und Apps, springen auf diesen Trend auf.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 30.04.2019
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