Kommissar Pascha und ballastfreies Erzählen | Interview mit Su Turhan

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Autor und Regisseur Su Turhan | © Foto: Regina Recht

Wenn es möglich wäre, dass alle Leser dieser Welt die Autoren ihrer Lieblingsbücher persönlich und nicht nur dem Namen nach kennen würden, wäre die unvoreingenommene Art von Su Turhan wohl die beste Erklärung für den Erfolg seiner Roman-Serie „Kommissar Pascha“.

Es gibt Menschen, die muss man einfach mögen. Der Autor und Regisseur Su Turhan ist einer dieser Menschen. Ihm würde man sofort seinen Wagenschlüssel anvertrauen oder einen Kaffee ausgeben. Einfach, weil er so sympathisch ist.

FILMPULS wollte vom Erfolgsautor wissen, wie ein Regisseur plötzlich dazu kommt, Krimis zu schreiben, die ihn berühmter als seine eigenen Kino-Filme machen und die so begeistert vom Publikum aufgenommen werden, dass sie schließlich von anderen Regisseuren verfilmt werden.

Interview mit Su Turhan

Filmpuls:In Deiner Roman-Reihe Kommissar Pascha gibt es die niederbayerische Kriminalmeisterin Isabel Vierkant. Wenn sie eine Akte über Dich in die Hände bekäme, was würde sie zu Deiner Person und über deinem Werdegang sagen?

Su Turhan:«Was? Turhan ist auch in Niederbayern aufgewachsen?

Komisch! Münchner mit Istanbuler Wurzeln. Schnellstudium Germanistik. Filmischer Ausprobierer und Selbstlerner. War beim letzten Schimanski-Tatort als Komparse ein Achtelsekündchen im Bild!

Drei Kurzfilme hat er als Drehbuchautor, Produzent und Regisseur gemacht. Bravo! Immerhin! Und dann kam AYLA, ein hochdramatischer Spielfilm, auf den er stolz ist. Gewidmet den Töchtern dieser Welt.

Drunter macht er es nicht.»

Filmpuls:Und wie würde der Boss von Isabel, Kommissar Zeki Demirbilek (Kommissar Pascha genannt), über Su Turhan denken?

Su Turhan:«Mein Autor grübelt mir zu viel. Liest sich alles leicht und locker. Aber einfach schreiben ist schwer.»

Filmpuls:Mit welcher Frage würde Dich Kommissar Pascha in einem Verhör aus der Fassung bringen?

Su Turhan:«Warum so nervös, Herr Turhan? Wie viele Zigaretten haben Sie heute nicht geraucht?»

Filmpuls:Auf welche Frage gäbest Du Isabel Vierkant ganz sicher keine Antwort? Warum?

Su Turhan:Ach, Isa ist die gute Seele im Migra-Team. Ich freue mich immer, wenn ich sie „bedienen“ kann, was Handlung und Dialog angeht. Aus Autorensicht empfinde ich sie als Schwester. Sie kann fragen, was sie will.

Filmpuls:Als filmischer Autodidakt hast Du Dir um die Jahrtausendwende schnell einen Ruf als aufstrebendes Regie-Talent und Wunderkind verschafft. Bettina Zimmermann und Anja Kling standen für Dich vor der Kamera. Michael Ballhaus hat unter Deiner Regie gearbeitet. Plötzlich mehr als fünf Jahre ein schwarzes Loch bis zum ersten großen Spielfilm, dann erneut eine mehrjährige Pause.

Drei Jahre später wird aus dem talentierten Filmemacher Su Turhan der noch talentiertere Kriminalroman-Autor Su Turhan, der mit der Reihe über den Münchner Kommissar Pascha, Zeki Demirbilek, auf ein gewaltiges Echo trifft. Was ist da passiert?

Su Turhan:5 Jahre für einen Erstlingsfilm (und das als Autodidakt) ist fast nichts! Nicht in Deutschland jedenfalls. Ich hatte tatsächlich nach meinem ersten Kinofilm AYLA, ein zweites Filmprojekt. Beim Titel allein juckt’s mich, ihn nochmal anzugehen: FLOATING RITA.

Damals hatte ich 2/3 der Finanzierung gestemmt, aber niemanden gefunden, der den läppischen Rest von 500.000 Euro mitträgt. Dafür habe ich zwei Jahre gekämpft, Drehbuch geschrieben, nebenbei gearbeitet, um Familie zu ernähren.

Unter anderem für Samir ein Drehbuch geschrieben, den kennt ihr Schweizer doch ganz gut! So der ganze Wahnsinn eines freien Filmemachers eben, der irgendwann in Frust geendet wäre, hätte ich nicht das Angebot bekommen, einen Roman zu schreiben.

Die Romane der Kommissar Pascha-Reihe von Su Turnhan ((Auswahl)

Filmpuls:Die Reihe Kommissar Pascha wird mittlerweile auch verfilmt, was einem Ritterschlag gleichkommt. Daher wäre es für Dich als Regisseur doch naheliegend gewesen, bei der Verfilmung des eigenen Romans gleich auch selbst Regie zu führen?

Su Turhan:Oh ja. Selbstverständlich. Es war aber von vornherein abgesprochen, dass ich weder für Regie noch Drehbuch verantwortlich zeichne. Ich war als Darsteller bei beiden Verfilmungen beteiligt.

Als ich ans Set kam, kannte mich das halbe Team, weil sie mit mir bei diversen Drehs gearbeitet hatten. Das war schön und etwas traurig zugleich.

Filmpuls:Fühlt es sich nicht seltsam an, Charaktere, die man selbst erfunden hat und als Autor in sich trägt, plötzlich in Fleisch und Blut gegenüberzustehen? Will man als Autor Zeki Demirbilek oder Isabel Vierkant die Hand schütteln?

Su Turhan:Das auf Papier geschriebene Figuren auf Mattscheibe oder Leinwand landen, kenne ich ja von meiner Drehbucharbeit. Doch von Roman zum Film ist es ein komplett anderer Prozess der Transformation. Alle aufhören zu lesen, die die Filme realisiert haben: Ich empfand es zunächst als „Diebstahl“, als aus meinen Romanfiguren echte Filmfiguren wurden. Zeki, Pius, Jale und Isabel sind über die Jahre ein Teil von mir geworden, weil sie ja meine Geschöpfe sind.

Zu sehen, wie aus Kommissar Pascha – und den anderen Figuren – „lebende“ Figuren werden, hat mich erschrocken. Wie Leser auch, habe ich als Autor eine Vorstellung von Aussehen und vor allem Charakter. Ich kann mich nicht beschweren allerdings.

Die Filmemacher haben vor allen Dingen die vier Hauptfiguren passend besetzt und angelegt. Das war mir aber auch wichtig. Deshalb bin ich in der Drehbuchentwicklung auch eingeschritten, als sich die Filmfiguren von den Romanfiguren zu weit entfernt hatten.

Filmpuls:Wie stark visualisierst Du beim Schreiben?

Su Turhan:Für mich war es anfangs schwierig, die Denke, die ich vom Drehbuchschreiben her kannte, aus dem Kopf zu kriegen. Schwierigkeiten hatte ich nicht, was ich erzählen wollte, sondern wie ich meine komplexen Storys aufbereiten sollte.

Mit dem wie kommt die Regie ins Spiel. Als Regisseur bin ich es gewohnt, zu entscheiden, was wie wo ins Bild gesetzt wird. Stichwort Kamerastandpunkt, Schnitt und Kadrierung des Bildes und das affektsteuernde Allheilmittel genannt Filmmusik – da kam ich her, vom filmischen Erzählen. Im Roman habe ich andere, ähnliche Mittel, die doch ganz anders sind.

Wechselnde Perspektiven irritieren z. B. den Leser, weil er eine andere Art erzählerischer Orientierung gewohnt ist.

Ich schreibe recht visuell, dennoch findet man nicht viel Beschreibung in meinen Romanen. Ich hole lieber den Leser als Partner ab, lade ihn ein, sich selbst auszumalen, quasi lesend zu inszenieren wie z. B. ein Schlafzimmer aussieht oder wie das Blut die Wange eines Opfers entlang gleitet.

Ballastfreies Erzählen, nenne ich das.

Filmpuls:Eine große Herausforderung beim filmischen Erzählen ist das Finden der richtigen Balance zwischen Form und Inhalt. Wie ist das beim Schreiben?

Su Turhan:Puuh. Diese Frage stelle ich mir immer. Immer und immer wieder. Bei der Pascha-Reihe habe ich dafür eine Antwort gefunden, die zu einem ganz bestimmten Schreibstil geführt hat.

Diesen pflege und optimiere ich seitdem. Wenn ich Kurzgeschichten schreibe – was ich gerne und ausgiebig tue – ist neben dem Plot, die Form für mich das Spannende. Was bei meinen Romanen am Ende herauskommt, ist ein 100-prozentiger Turhan.

Den passenden Ton zu finden, die Sprache der Schreibe, das erzeugt eine gute Geschichte. Wenn ich Teile lesend vortrage, ändere ich Passagen des Originaltextes übrigens. Auch bei den Lesungen muss Form und Inhalt zueinander passen.

Filmpuls:Filme werden editiert und entstehen oftmals erst in der Montage. Editierst Du auch, einfach mit Kapiteln, Sätzen und Worten, statt mit Einstellungen und Szenen?

Su Turhan:Ja. Ständig! Ich bin Überarbeiter. Kein Hinschreiber und das war’s. Kann und will ich nicht.

Es kann schon mal bis zu zehn Überarbeitungszyklen geben. Dauert leider etwas bei rund 400 Seiten.

Filmpuls:Filmemachen ist immer auch eine furchtbare Technik-Orgie. Zugleich ist es aber auch ein extrem kollaborativer Prozess. Wie ist das, wenn man einen Film „nur“ in seinem Kopf dreht und als Roman zu Papier bringt: Vermisst Du die Zusammenarbeit mit anderen kreativen Köpfen? Ist es befreiend, nicht alles ständig aus hundert Perspektiven und mit Blick darauf, was eine Szene später filmisch umgesetzt kosten wird, diskutieren zu müssen?

Su Turhan:Da bringt FILMPULS etwas durcheinander. Meine Romane sind keine verkrüppelten Filmwerke. Ganz und gar nicht.

Ich habe viele Handlungsstränge, viel zu viele Figuren und Schauplätze, um „nur“ als Film durchzugehen. Die Zusammenarbeit mit anderen Kreativen vermisse ich nicht allzu sehr, nein.

Ich liebe mittlerweile die kreative Freiheit beim Romanschreiben; sie wird mir immer wichtiger. Was bei meinen Romanen am Ende herauskommt, ist ein 100-prozentiger Turhan. Bei meinen Filmen ist das nicht so. Jeder, der etwas anderes behauptet – „ein Film von“ einem Einzelnen gibt es nicht – hat keine Ahnung, wie Entscheidungsprozesse in der Filmherstellung laufen – egal, ob Auftrag oder Indie.

Filmpuls:Wie muss man sich den Entstehungsprozess Deiner Romane vorstellen?

Su Turhan:Ein Gedanke steht am Anfang, nicht unähnlich der Vorfreude auf das Lieblingsgericht. Ich weiß, was auf mich zukommt, weiß, wie es schmeckt, kenne das Gefühl, satt und zufrieden zu sein. Trotzdem will ich es, genau so, aber ganz anders.

Filmpuls:Es gibt Autoren, die behaupten, nur beim Schreiben denken zu können. Andere planen ihre Handlungsstränge generalstabsmäßig über Wochen bis ins kleinste Detail und kleben dabei ihr Schlafzimmer mit Post-it Zettelchen zu, die sie immer wieder neu arrangieren.

Su Turhan:Beim ersten Roman habe ich ALLES! vorgeplant und dann „runtergeschrieben“. Davon bin ich immer mehr abgerückt. Ich kann tatsächlich nur mit Tastatur denken.

Klar, gebe ich mir was vor, überlege mir Figuren, Handlungsstränge. Doch halte ich mich oft nicht an meine Vorgaben.

Beim letzten Pascharoman „Getürkt“ hatte ich unversehens drei Showdowns, die alle drei Sinn machten. Was war ich überrascht! In einem Drehbuch hast du keine Chance, eine derartige Dramaturgie zu bauen, im Roman bin ich niemandem Rechenschaft schuldig bin – bis auf meine Leser.

Filmpuls:„Die Welt“ schrieb im Zusammenhang mit der Verfilmung: „Kommissar Pascha fliegt über alle natürlich vorhandenen Klischeetöpfe hinweg. Die Offenheit der Gefühlswelt und die natürliche Authentizität in den Romanen von Su Turhan ist unbedingt bezwingend.“

Die renommierte Frankfurter Allgemeine Zeitung FAZ urteilte ebenso lobend: „glaubhaft trotz aller Karikierung“. Wie schafft man sowas? Andere Autoren arbeiten ein Leben lang, um im Feuilleton mit solchen Worten besprochen zu werden!

Su Turhan:Keine Ahnung, ehrlich.

Filmpuls:Bekommst Du von Organisationen, die in Deinen Büchern eine Rolle spielen, Rückmeldungen auf Deine Plots und Kommissar Pascha? Vielleicht sogar aus zweifelhaften und kriminellen Kreisen?

Su Turhan:Ja schon. Immer wieder mal. Ich bin ja aktiv im Netz, soziale Medien und sonstige Zeitfresser, die so viel Spaß machen! Mehr wird nicht verraten.

Oder doch: ein Hauptkommissar a.D. ist ein großer Fan und unterstützt mich, wenn ich Fragen zu Fakten der Polizeiarbeit habe.

Filmpuls:Schreibt man einen Roman, weil die Geschichte erzählt werden will und hofft dann anschließend, das Publikum findet einem? Anders gefragt: ist da ein Verlag, der einem im Voraus gewisse Leitplanken gibt? So, wie die Produzenten in Hollywood bei Blockbustern?

Su Turhan:Hmm. In beiden Branchen geht es natürlich nicht ohne Publikum, wenn du mit dem, was du kreativ machst, irgendwie auch Zugänge auf das Bankkonto generieren willst. Gerade beim Romanschreiben – wo der Verdienst im Normalbereich eher gering ist – sollte das nicht die erste Motivation sein.

Das sage ich einfach mal so. Gibt genug, die von Erfolgreichen abschreiben und glauben, den neuen Bestseller generiert zu haben. Wenn ich für einen Produzenten pitche, so überlege ich mir natürlich vorab, was hat er bislang für Stoffe gemacht.

Filmpuls:Kommissar Pascha wird vom renommierten Piper Verlag herausgegeben. Worin liegen die Unterschiede und Gemeinsamkeiten zwischen einem Buchverlag und einem Filmverleih?

Su Turhan:Äpfel und Birnen zu vergleichen ist sinnvoller. Mit einem Verlag wie Piper habe ich eine Heimstatt, wo ich als Autor wertgeschätzt werde. Drehbuchautoren werden – leider! – oftmals vergessen, sobald ein Regisseur übernimmt.

Filmplakat zur Verfilmung Kommissar Pascha von Su Turhan

Filmpuls:Filmemacher zu sein ist ein hartes Brot, auch wenn die Filmindustrie sehr geübt darin ist, sich selbst auf roten Teppichen glamourös zu machen. Wie zahlt man einfacher seine Miete? Als Regisseur oder Krimi-Autor?

Su Turhan:Ersters. Definitiv.

Filmpuls:Wenn Du einem jungen Talent in der Filmbranche, das sich im Schnittfeld von Regie und Drehbuchautor bewegt, einen Rat geben könntest, wie würde er lauten?

Su Turhan:Gehe ins stille Kämmerlein. Schließe aus, dass du etwas anderes machen willst. Wenn das klar ist, nimm jeden Job an, der dir über den Weg läuft. Egal was.

Etabliere dich, mache, tue, realisiere und vergiss dabei deine eigenen Projekte nicht. Die Zeit dafür kommt!

Filmpuls:Was wird man von Dir und über Dich als Nächstes sehen, hören und lesen können?

Su Turhan:Über mich hört man irgendwie ständig was. Das ist ganz schön, finde ich. Gerade ist bei Knaur „Kerzen, Killer, Krippenspiel“, ein mörderischer Adventskalender in Buchform mit 24 weihnachtlichen Kurz-Krimis, erschienen. Darin gibt es eine völlig irre Kurzgeschichte von mir.

Sie heißt „Mutlu Noeller“. Ich überlege, daraus einen Kinostoff zu machen.

Zudem kann man ab März 2018 lesen, wie Kommissar Pascha ein echt perfides Arschloch in „Mordslust pur“ jagt. Gerade schreibe ich – sorry, Zeki! – an einen anderen Roman. Wann dieser erscheint, weiß ich nicht. Mal sehen.

Filmpuls:Filmpuls: Lieber Su, ein ganz herzliches, großes Dankeschön für Deine erhellenden Antworten und Einsichten und für die Zeit, die Du für unsere Leser in dieses ausführliche Interview investiert hast!

Kommissar Pascha

Die Kommissar-Pascha-Reihe erscheint bei Piper Verlag. Die ersten zwei Romane der Serie wurden 2017 vom TV-Sender ARD in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Rundfunk verfilmt.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 07.11.2017

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