Hungertuch und Halleluja: Das Ein­kommen bei Spiel- und Doku­mentar­filmen

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Sagte das Skelett in der Disco: Es ist, als würden Cocktails wirkungslos durch mich hindurch fließen | © Symbolbild: Pavel Sokolov

Wenn das mal keine Schlagzeile ist: Schweizer Filmer nagen am Hungertuch. So titelt eine der größten Schweizer Tageszeitungen in einem Artikel zu einer neuen Studie zu den Einkommen von Filmschaffenden.

Eine soeben publizierte Untersuchung zeigt: Filmschaffende wie Regisseure und Autoren arbeiten auch in der reichen Schweiz oftmals zu absoluten Tieflöhnen. Zu diesem Schluss kommt der Filmsachverständige Jörg Langer. Der ehemalige Produzent und Herstellungsleiter arbeitet seit 2008 als Berater mit seiner Firma Langer MEDIA research and consulting.

Man spricht nicht über Geld

Spielfilme werden von Produzenten und Verleihern gerne mit dem Hinweis geschmückt, das teuerste Werk aller Zeiten im jeweiligen Herstellungsland zu sein. Schweizer Filme sind da keine Ausnahme. „Zwingli – der Reformator“ und „Bruno Manser – die Stimme des Urwalds“ wurden beide mit diesem Attribut beworben.

Auch Filmfestivals geben sich gewohnheitsmäßig gernegroß. Man stolziert über den roten Teppich, Smoking und Abendkleid sind eine Selbstverständlichkeit.

Hinter den Kulissen aber, das enthüllt die neue Untersuchung aus der Schweiz, wartet eine ganz andere Wirklichkeit:

Jörg Langer hat für den Verband Filmregie und Drehbuch Schweiz ARF/FDS eine neue Studie erstellt. Diese wurde an den Solothurner Filmtagen erstmals vorgestellt. Darin weist der Fachexperte nach, dass viele Regisseure und Autoren ihre Arbeit sogar durch andere Einkommensquellen finanzieren müssen. Anders kommen sie nicht über die Runden.

Schattenbeteiligungen

Es ist denn auch ein offenes Geheimnis der Filmbranche: viele Autoren und Regisseure beim Spielfilm und Dokumentarfilm überleben nur darum, weil sich als Kreative und Produzenten in Schlüsselfunktionen einen Teil der Löhne nur im Erfolgsfall auszahlen. In der Praxis also nicht.

Wer eine Familie haben will oder dieses Glück schon hat, kommt auf diese Weise nicht durch den Alltag.

Nicht selten werden  – selbst bescheidene – Honorare bei Verhandlungen für Low-Budget-Produktionen in Form von Erfolgsbeteiligung am Ertrag, den ein Film später erwirtschaften soll, versprochen und „zurückgestellt“. Was es bei dieser Besonderheit zu beachten gilt, findest du in unserem Artikel „Rückstellung des Arbeitslohns gegen Gewinnanteil“.

Ein Beispiel für das Einkommen

Die durchschnittlichen Dreharbeiten eines Spielfilms werden in der Schweiz mit einer Bandbreite von 20 bis 30 Drehtagen budgetiert. Der Basler Regisseur Vadim Jendreyko kalkulierte für seinen für eidgenössische Verhältnisse erfolgreichen Dokumentarfilm „Die Frau mit den fünf Elefanten“ eine Vorbereitungszeit von 18 Monaten und 35 Drehtage im In- und Ausland innerhalb von zweieinhalb Jahren. So erzählte er es der Wochenzeitung „Tageswoche“, der er seine Produktionsbücher und Planungsunterlagen im Detail offenlegte.

Den Aufwand für seinen Dokumentarfilm kalkulierte er mit 629.000 Fr. (588.113 €), von dem ihm beim Drehstart noch immer ein fünfstelliger Betrag fehlte. Auch das ist mehr die Regel als die Ausnahme. Denn Filmbudgets im fiktiven oder dokumentarischen Bereich sind die Summe einer Vielzahl von Förderzusagen. In Vadim Jendreykos Fall musste er über ein Dutzend Finanzierungsquellen (Absagen nicht eingerechnet) von seinem Vorhaben überzeugen.

Als Vergleichswert: Der durchschnittliche Spielfilm in der Schweiz kostet über 2,2 Millionen Fr. Ein Dokumentarfilm schlägt mit über einer halben Million Fränkli zu Buche.

Wenn ein Spielfilm von mir ein Kassenschlager wird, ist er Kommerz. Wenn er keine Zuschauer hat, dann ist er Kunst.
Carlo Ponti

Man könnte nun meinen, die Finanzierungsrisiken würden im Erfolgsfalls durch hohe Einkommen kompensiert. Das ist falsch. Natürlich kommt es darauf an, wie man „Erfolg“ definiert. Im Fall der „Elefanten“ sahen über eine Million Zuschauer den Film am TV und dieser konnte über 100.000 Eintritte im Kino verbucht werden. Auch im Ausland war der Film in den Kinos zu sehen.

Trotzdem: Am Ende standen rund 35.000 Fr. (32.727 €) als Ertrag, welche gerade einmal die Rückstellungen des Regisseurs deckten. Regie / Autor bekamen am Ende der Übung also exakt denjenigen Betrag, den sie sich für die Herstellung nicht ausbezahlt hatten, weil der Film bei Drehbeginn nicht ausfinanziert war.

Halsbrecherisch wird diese Beispielrechnung, wenn man die Arbeitszeit einbezieht. Jendreyko arbeitete zweieinhalb Jahre an seinem Dokumentarfilm. Für die Regie war ein Honorar von 50.000 Fr. (46.000 €) vorgesehen, ein Ziel, das nur dank der Erträge (Kino und TV) ausbezahlt werden konnte. Das ergibt pro Monat ein Einkommen von 1.665 Fr. pro Monat / 1.555 € pro Monat – die Wartezeiten (die zweieinhalb Jahre Arbeit erfolgten in einem Zeitraum von vier Jahren) nicht einkalkuliert!

Richtlöhne und Honorare

Ein Großteil des Filmbudgets von 629.000 Fr. floss in die Löhne. Dabei gilt es zu beachten, dass Filmtechnik, aber auch Spezialisten wie Tonmeister, Kameraleute und Maskenbildner professionell organisiert sind. Sie bekommen landesweit festgelegte Tages- oder Wochenhonorare, an die sich die Filmproduktionen zu halten versuchen.

So kostet ein erfahrener Editor beim Dokfilm in der Schweiz um die 2.200 Fr.

Ironischerweise ist es üblich, dass diejenigen mit dem größten Risiko, also Regisseure, Produzenten und Autoren, dafür Abstriche bei der eigenen Entwöhnung hinnehmen.

Und natürlich will auch die Technik bezahlt werden, müssen Unterkünfte am Drehort und Reisespesen beglichen werden.

Kinoeintritte, Festivals und Vermarktungskosten

Beachtet werden muss auch, dass jeder Kinofilm vermarktet werden muss.  Ebenso gilt das für alle Arten Dokumentarfilm. Das bedeutet zusätzliche Kosten. Auch diese müssen zuerst einmal eingespielt werden.

Darum ist es oftmals der Fall, dass ein Film im Kino kaum oder nur wenig Geld einspielt. Trotzdem nehmen viele Filmemacher dieses Risiko in Kauf. Denn ein Kinofilm steigert die Bekanntheit. Zumindest ist das die Hoffnung. Ein Kinofilm verspricht eine bessere Verhandlungsposition bei den Lizenzverkäufen für TV und online.

Ein ähnliches Muster zeigt sich auch bei Festivals. Auch sie dienen in erster Linie (nur) der Promotion und Bekanntmachung. Erlöse generieren sie nicht.

Einkünfte für die Ausstrahlung am TV gibt es aber nur, wenn der ausstrahlende Sender den Film nicht koproduziert hat. Ebendarum generieren viele Schweizer Filme am Fernsehen keine Gelder für die Produktionsfirmen, Regisseure und Drehbuchautoren. Anders sieht es bei den Musikkomponisten aus. Diese immerhin bekommen für jede Ausstrahlung nochmals Tantiemen.

Fazit

Nicht nur, aber ganz besonders als Autor und Regisseur beim Spielfilm Dokumentarfilm gilt: Augen auf bei der Berufswahl.

Das willst du wissen:

  • Eine neue Studie aus der Schweiz untersucht, wie viel Filmschaffende aktuell verdienen.
  • Autoren und Regisseure haben in der Schweiz ein durchschnittliches Einkommen zwischen 3.000.- und 4.200.- Fr. (2.800 € / 3.900 €)
  • Die Höhe des Einkommens unterscheidet sich nicht grundsätzlich bei der Arbeit für Spielfilme oder Dokumentarfilm.
  • Die Einkommensstudie wurde vom Verband Filmregie und Drehbuch erstellt und an den Filmtagen Solothurn der Öffentlichkeit vorgestellt.

Zugleich, das schadet nie und nimmer in unserer Branche, müssen sich die zwei berühmten „K“ verbinden. Gemeint sind damit die Kreation und die Kalkulation. Um Erfolg zu haben, müssen beide Elemente Hand in Hand gehen. Kreativ zu sein allein reicht nicht. Rechnen zu können, auch nicht. Denn mit einem Halleluja in Form von Auszeichnungen oder Festivalpreisen lässt sich keine Miete zahlen!

Mit Kunst allein, selbst mit Unterstützung der Filmförderung, überlebt man als Regisseur und/oder Autor nicht (lange).

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 04.02.2020

Carlo Olsson 99 Artikel
Carlo Olsson begleitet die Herstellung von Filmen, Videos und TV-Serien im Auftrag von Unternehmen, Agenturen und Produktionsfirmen. In seiner Freizeit spielt er Eishockey und beschäftigt sich mit barocker Klangdramatik.

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