Wer heutzutage als Kunde bei einer Produktionsfirma beauftragt und einkauft, hat auf lange Frist immer nur zwei Optionen: Er bekommt ein Magengeschwür. Oder er stellt sicher, dass jemand das Magengeschwür bekommt! Schuld daran sind Schmalspurfilmer, die ohne Verantwortung und losgelöst von jeder wirtschaftlichen Vernunft unbedingt Filme machen und Produzent spielen wollen.
Der große Filmproduzent Bernd Eichinger („Name der Rose“, „Das Parfüm“ u. a.) hat von sich gesagt, er arbeite prinzipiell nur mit Regisseuren, die verstünden, was Demut ist. Diese Maxime scheinen im Auftragsfilm auch viele Produzenten für sich zu beanspruchen. Ganz besonders, wenn es um die Preisgestaltung geht. Dumm nur: Schmalspurfilmer verwechseln Demut mit Dummheit. Für solches Geschäftsverhalten und Dumpingpreise bezahlen immer auch die Auftraggeber mit.
Warum?
Machen wir eine kleine, hypothetische Rechnung, hautnah an der Realität der Schmalspurfilmer im europäischen Produktionsgeschäft:
1Die Ausgangslage
Nehmen wir als Beispiel an, eine Videoproduktion ist im Markt etabliert. Sie wird, anders als ein Schmalspurfilmer, von Kunden immer wieder eingeladen, sich in Konkurrenz mit anderen Wettbewerbern um einen Auftrag für Video-Content zu bewerben.
Dazu bekommt die Firma ein Briefing und wird gebeten, ein Konzept mit Budget, Terminplan und Storyboard oder Moodboards vorab schriftlich abzugeben und anschließend persönlich vor einem Expertengremium zu präsentieren. Eine Entschädigung für die Teilnahme an der Ausschreibung ist nicht vorgesehen.
Geht die Videofirma in unserem Beispiel erfolgreich aus jedem fünften Pitch hervor, das sind 20 % der Wettbewerbe. Damit kann sie in der Film- und Videobranche bereits als überdurchschnittlich erfolgreich gelten.
Abhängig von Art der Produkte und Positionierung des Anbieters ist die Hälfte, also ein Erfolgsquotient von 10 %, nicht unüblich. Weil wir für die nachfolgende Kalkulation mit Absicht die Kosten gezielt tief (so wie beim Schmalspurfilmer) und die Erträge hochhalten wollen, bleiben wir trotzdem bei 20 %.
Eine kleine, aber folgenschwere Beispielrechnung
Gehen wir davon aus, dass für eine Filmproduktion für die Teilnahme an der Auftragsvergabe und für eine Pitch-Erfolgsquote von 20 % folgende Personen notwendig sind:
- Autor (Filmautor, Creative Director, Art Director, zuständig für die kreativen Aspekte)
- Produktionsleiter (zuständig für die logistischen Aspekte der Ausschreibung, also Budget und Termine)
- Produzent (Ansprechpartner des Kunden, firmenintern zuständig für Parametrisierung, Qualitätskontrolle und Projektsteuerung als vorgesetzte Koordinations- und Verbindungsstelle für Kreation und Produktion)
- Assistenz (Backoffice, Dokumentation, Recherche)
Autoren sind selten in der Lage, ein Storyboard zu zeichnen. Sie sind auch keine Regisseure. Für unsere Rechenspielerei ignorieren wir das großzügig. Wir gehen davon aus, dass diese Leistungen in der Phase eines Wettbewerbs beim Schmalspurfilmer vom Himmel fallen (oder von Talenten auf der verzweifelten Suche nach Beschäftigten gratis erbracht werden). Darum sind sie von der Produktion ebenso wie Justiziare oder Filmgeschäftsführer nicht zu entgelten. Für die Leser aus der Schweiz: Der deutsche Filmgeschäftsführer entspricht bei Produktionsfirmen aus der Schweiz dem Leiter Accounting oder „Buchhalter“.
Gehen wir weiter davon aus, dass es für den Kunden irrelevant ist, wie ein Schmalspurfilmer seine Fachpersonen und Filmexperten bezahlt, und setzen wir deren Tagessätze mit Mindestlöhnen in der Gastronomie gleich. Warnung: wer ein klein an Ausbildung und Talent vorzuweisen hat, wird NICHT dazu bereit sein, für diese Ansätze auf einer Film- oder Videoproduktion zu arbeiten. Gleichzeitig nehmen wir für die Kalkulation des Aufwands an, es seien weder Abgaben für Telefonie noch Miete, Büromaterial, Steuern usw. zu entrichten, was sich normalerweise in zusätzlichen Handlungskosten niederschlägt.
Daraus ergibt sich für die Videofilmproduktion für die Teilnahme an einem durchschnittlichen Pitch folgender Aufwand für die Kundengewinnung:
Funktion | Ansatz inkl. Sozialleistung/Versicherung | Total |
---|---|---|
Konzepter/Autor | 3 Tage à 200.- | 600.- |
Produktionsleiter | 2 Tage à 175.- | 350.- |
Produzent | 1 Tag à 250.- | 250.- |
Sekretariat/Assistent | 2 Tage à 120.- | 240.- |
Storyboard-Zeichner | – | .- |
Regisseur | – | .- |
Buchalter | – | .- |
Justiziar | – | .- |
TOTAL | Investition pro Pitch (in Realität markant höher!) | 1.440.– |
Quelle: Vergleichswerte filmpuls.info (Saläre zum Zweck der Argumentation unrealistisch tief angesetzt!)
Für einen relevanten Teil der Rollen gehen wir davon aus, dass die Beteiligten beim Pitch von Luft und Liebe leben und damit, anders als Schmalspurfilmer, ihren Lebensunterhalt bestreiten können. Trotzdem kostet die Teilnahme am Wettbewerb die Firma, die vorgenannten unrealistisch tiefen Fantasie-Löhne vorausgesetzt (!), pro Wettbewerb jeweils 1‘440.- In Realität ist nicht nur bei größeren Pitches möglich, dass die vom Kunden geforderten Vorinvestitionen fünfstellige Summen erreichen. In den USA und England gilt als Faustregel, dass mindestens 10 % des Projektvolumens für einen erfolgreichen Pitchgewinn kalkuliert werden müssen.
Das durchschnittliche Auftragsvolumen quer über alle Genre setzen wir im Fall eines Gewinns, entgegen der Statistik für Auftragsproduktionen, statt auf 30‘000.- ein Stück höher auf 50‘000.- (klar muss sein: Die Arbeit mit Kameratypen, wie Hollywood sie einsetzt – solche Kameras kosten sechsstellig – ist mit solchen Budgets unmöglich. Darum der Begriff Schmalspurfilmer).
Für mittelständische Betriebe (anders als beim Schmalspurfilmer) gilt, wie verschiedener Studien belegen, ein Deckungsbeitrag (DB) von 20 % als Voraussetzung dafür, dass eine Firma die Bedürfnisse ihrer Kunden zufriedenstellend erfüllen und sich weiterentwickeln und damit nachhaltig am Markt halten kann.
Der Deckungsbeitrag setzt sich zusammen aus Handlungskosten und Gewinn. Wir unterstellen der Produktionsfirma, dass diese bereits mit einem DB 10 % über die Runde kommt und kaum Mieten, Rechtskosten, Versicherungs- oder Buchhaltungskosten zu stemmen hat. Akquisitionskosten werden in der nachfolgenden Zusammenstellung in den gewonnenen Filmpitch eingerechnet. Unproduktive Aufwände während der Produktion (Arbeitszeit, die vom Schmalspurfilmer nicht dem Auftraggeber weiterverrechnet werden kann, gibt es in unserem Beispiel, anders als in der realen Welt der Film- und Videoproduktion, nicht.
Trotzdem sind 10 % am Markt keine Seltenheit, auch beim Imagefilm erstellen. Einerseits, weil viele Schmalspurfilmer gute Filmemacher sein mögen, sich aber nicht dafür interessieren, was morgen ist. Vielleicht befindet sich der Schneideplatz, das ist nicht unüblich, in der eigenen Mietwohnung und wird, wie die Infrastruktur zur Bild- und Tonbearbeitung, nicht nach kaufmännischen Prinzipien budgetiert und bilanziert. 10 % andererseits auch darum, weil die Kunden und der Markt immer weniger bereit sind, einen Deckungsbeitrag von mehr als 10 % bis 15 % zu tolerieren. Oder weil Kühnheit und Unwissenheit ganz einfach ein Privileg der Schmalspurfilmer oder der Ignoranz, ist.
Keine Randbemerkung: Konzern-Einkäufer (die immer schon vor dem Frühstück mit Eiswürfeln ihren Mund spülen) deutscher Automobilkonzerne tolerierten bis vor 10 Jahren anstandslos die über Jahrzehnte branchenübliche Marge von 27,5 %. In Worten: Siebenundzwanzig Komma fünf Prozent! Soviel zum Schmalspurfilmer als Zeichen der Zeit.
10 % Deckungsbeitrag bedeutet: von 50‘000.- bleiben 5‘000.- in der Kasse. Vorausgesetzt, die Produktion kann plangemäß abgewickelt werden. Diese 5‘000.- müssen Akquisitionskosten, Handlungskosten, Gewinn und das unternehmerische Risiko der Videoproduktion decken.
Damit zeigt sich beim Schmalspurfilmer folgendes Bild:
Position | Anmerkung | Total |
---|---|---|
Vorleistung | pro Pitch 1.440.-, 5 Pitches | – 7’200.- |
Auftrag | 20 % Pitchgewinn mit Volumen 50.000.- und DB 10 % | + 5.000.- |
Resultat | Fehlbetrag, der für 50.000.- Umsatz investiert wurde | -2.200.– |
Quelle: filmpuls.info
In Worten:
Um 50‘000.- Auftragsvolumen zu akquirieren, generiert die Firma insgesamt Kosten von 7‘200.-. Gleichzeitig resultiert mit einem Deckungsbeitrag von 10 % von 50‘000.- ein Projekt-Ertrag von 5‘000.- Es bleibt für den Schmalspurfilmer, trotz überdurchschnittlich guter Pitching-Quote von 20 %, utopisch tiefen Salären, die unrealistisch sind, ein stolzes Minus von 2.200.-.
2Folgenschwere Konsequenzen für Schmalspurfilmer und ihre Kunden
Daraus folgen zwei düstere, aber nicht praxisferne (leider nicht erfundene) Optionen, die den Patienten Auftragsfilm, Schmalspurfilmer sei Dank, direkt auf die Intensivstation führen:
- Die Begeisterung des Auftragnehmers, ein richtiger „Filmproduzent“ zu sein, weicht dem Fallbeil der Liquidität. Oder die Beteiligten und Mitarbeitenden schuften wie die Esel zu Tieflöhnen, bis die Selbstausbeutung entweder einem Burn-out weicht oder aber der Erkenntnis, dass es für Schmalspurfilmer aus diesem Teufelskreis kein Entrinnen gibt. Die Videoproduktion verschwindet vom Markt. Kontrolliert oder unkontrolliert. Was das bedeutet, merkt der Vertragsgeber meist erst in zwei Fällen: wenn der Zugriff auf das gedrehte Material nicht mehr möglich ist. Oder wenn wegen Fragen zu Nutzungsrechten Streitigkeiten mit Dritten entstehen und der eigene Vertragspartner nicht mehr existent ist. Ein Buy-out ist in diesem Fall, anders als der Begriff andeuten möchte, kein Allheilmittel. Wer dem Auftraggeber Rechte überträgt, die er selbst nicht erworben hat, überträgt dieses Rechte nicht. Der Besteller muss sie, obwohl bezahlt, nochmals neu erwerben/abgelten).
- Um überleben zu können, ist die Firma gezwungen, die Leistungen für das gewonnene Projekt nicht vertrags- und budgetkonform zu erbringen. Sie setzt als Schmalspurfilmer weniger Ressourcen auf dem Projekt ein als geplant. Und arbeitet mit wenig qualifiziertem Personal. Oder sie kauft externe Leistungen zu tieferen Preisen ein, als im Budget offeriert, und baut darauf, dass der Kunde die daraus resultierende Minderung der Qualität in Auftragsproduktionen nicht feststellen kann.
Damit führt das Geschäftsgebaren aller Beteiligten dazu, dass sich Kunde und Schmalspurfilmer beide selbst in die eigenen Füße schießen.
Die Hauptschuld für diese düstere Perspektive im Auftragsfilm, man muss es leider so deutlich formulieren, liegt in der geschäftlichen Dummheit der Film- und Videoproduzenten. Die Mehrheit der Schmalspurfilmer hat es nicht geschafft, ihrem Vertragspartner zu verdeutlichen, dass ein guter Film nur und allein aus der Kombination von drei Komponenten entstehen kann: Fachwissen, Erfahrung und Talent. Diese drei Schlüssel zum Erfolg haben einen Preis.
Wer als Schüler die Schulbank gedrückt hat, qualifiziert sich damit nicht als Pädagoge und Lehrer. Wer TV oder Filme konsumiert oder sich eine Kamera kaufen kann, ist darum noch lange kein Filmemacher. Er ist und bleibt ein Schmalspurfilmer!
Es gibt nur etwas in der Kommunikation mit Film und Video, was Auftraggeber teurer zu stehen kommt als Kompetenz: Inkompetenz.
Wer den Markt aufmerksam beobachtet, kann heute im Produktionsgeschäft drei Stufen ausmachen:
- In Phase 1 produzieren kluge Produzenten für kluge Auftragskunden. Eines Tages erkennen die klugen Auftraggeber, dass es mehr dumme Produzenten und damit Schmalspurfilmer als kluge Produzenten gibt.
- In Phase 2 beauftragen darum kluge Besteller dumme Produzenten. Sie öffnen sich und damit den Markt für Schmalspurfilmer. Nach einiger Zeit finden es die klugen Auftraggeber nur noch beschränkt inspirierend, mit intellektuellen Tieffliegern zu arbeiten.
- Darum endet die Abwärtsspirale in Phase 3 damit, dass ignorante Besteller in der Folge ignorante Produzenten, und damit nur noch Schmalspurfilmer, beauftragen.
Learning: If you pay peanuts, you get monkeys.
Damit ist die Bahn frei für das, was vor über 200 Jahren sinngemäß Georg Christoph Lichtenberg auf überraschend visuelle Weise beschrieben hat: wo ein Affe in einen Spiegel hineinsieht, kann kein Apostel zurückschauen.
3Warum Schmalspurfilmer keine Zukunft haben dürfen
Filmemacher und Videomacher müssen sich verstärkt darauf besinnen, dass Film nicht nur ein Kommunikationsmittel mit dem Potenzial einer Kunst ist, sondern auch eine wirtschaftliche Komponente hat, ohne deren Berücksichtigung es kein Überleben gibt und der Auftragsfilm keine Zukunft hat.
Auftraggeber sollten in dieser Marktlage gut und richtig verhandeln. Sie müssen sich dabei entscheiden, ob sie weiterhin auf kostenlose Ausschreibungen und Schmalspurfilmer setzen wollen, und damit ihren Auftragnehmern in vielen Fällen keine andere Wahl lassen, als Transparenz in der Auftragsabwicklung mit einer flexiblen Moral zu definieren.
An Auftraggeber mit Tarzan-Syndrom, die sich gerne von einer Produktionsgesellschaft zur Nächsten hangeln und Schmalspurfilmer fördern, dürfte der in diesem Artikel aufgezeigte, gefährliche Trend am Allerwertesten vorbeigehen. Wer umgekehrt eine Geschäftsbeziehung auch als Beziehung auf Augenhöhe versteht, das ist eines der Geheimnisse hinter erfolgreichen Filmen und Videos, den darf diese Entwicklung nicht kaltlassen.
Eine letzte Frage: Glauben Sie daran, dass Firmen oder Personen, die im Rahmen eines Wettbewerbs für Sie gratis Vorleistungen erbringen, wirklich zu den erfolgreichen Vertretern ihrer Branche gehören? Ich nicht.
In eigener Sache
Meinungsfreiheit, Rückgrat und Diskussionskultur wird bei FILMPULS hochgehalten. In der Rubrik „Meinungen“ von Gast-Autoren geäußerte Aussagen wie hier zum Thema Schmalspurfilmer werden vor der Publikation nicht mit der Redaktion abgeglichen. Mehr zum Berufsbild Produzent gibt es im Artikel „Was heißt Filmproduzent?“
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 30.05.2017