Sie tauchen nicht in jeder Filmkalkulation und in jedem Videobudget auf. Manchmal erkennt man sie auf den ersten Blick, oftmals sind sie auch versteckt. Die Rede ist von Reserven. Und mancher Filmemacher mag sich die Frage stellen: warum Reserven? Sind diese Mittel nicht besser verwendet, wenn man sie frühzeitig produziert und damit den Production Value gezielt steigert? Hier kommt die Antwort.
Das Missverständnis beginnt schon mit dem Begriff. Es gibt nicht eine Art von Reserven. So wie es auch nicht nur eine Art gibt, ein Video zu produzieren. Ob sinnvoll oder falsch, fair und missbräuchlich, hängt immer von der konkreten Vorhaben ab.
Was bedeuten Reserven für ein Videobudget?
Jeder Videoproducer und jeder Filmemacher entscheidet selbst, wie er mit Reserven umgeht. Klar ist auch, bei Auftragsproduktionen werden sie vom Kunden nicht gerne gesehen. Dieser Artikel erklärt, warum das ein Fehler ist und wie Reserven, richtig angewendet, zur Sicherung und Erhöhung der Qualität beitragen können.
Grundsätzlich sind Reserven in einem Budget ein finanzieller Betrag, der zum Zeitpunkt der Budgeterstellung nicht zwingend für das Erreichen eines Ziels erforderlich ist. Dieses Ziel kann etwa eine Projektphase mit dem Charakter eines Milestones sein. Oder ein einzelner Arbeitsschritt innerhalb dieser Phase.
Budgetreserven haben also mindestens drei grundlegende Eigenschaften:
- erstens geht es um Geld
- zweitens ist dieses Geld nicht zwingend zur Durchführung einer Tätigkeit erforderlich
- drittens entspricht die Beurteilung, dass diese Mittel für die Zielerreichung nicht zwingend sind, dem Wissen zu einem gewissen Zeitpunkt
Der Moment der Beurteilung, was zur Zielerreichung erforderlich ist, ist entscheidend. Ohne den Zeitfaktor könnte man als Laie versucht sein, Reserven als Gradmesser für die Professionalität einer Videoproduktion zu interpretieren.
Je höher die Reserve, desto geringer die Erfahrung. Das Projektgeschäft lehrt das Gegenteil! Es verhält sich genau umgekehrt. Wer nicht mit Reserven arbeitet, ist ein Anfänger. Filme sind Projekte. Jedes Video ist ein Prototyp. Überraschungen sind nicht die Ausnahme. Sondern die Regel.
Budgetreserven dienen unterschiedlichen Zwecken. Darum gibt es auch unterschiedliche Arten und Typen.
A. Versteckte Reserve und offene Reserve
Bewusst verdeckte und offene Reserven unterscheiden sich in der Videoproduktion durch die Art ihrer Darstellung in der Kalkulation. Die erste Art ist als solche gekennzeichnet. Sie ist auch für den wenig geübten Leser eines Videobudgets klar erkennbar. Anders die versteckte Reserve. Diese aufzuspüren erfordert mehr als nur detaillierte Kenntnisse der Ablaufschritte und das Wissen um die Preise einer Filmproduktion.
Amateure und Anfänger mögen einem Arbeitsgang in einer Videoproduktion überdimensionierte Aufwände zuzuordnen. Dies jedoch ist einfach identifizierbar.
Schwieriger wird es, wenn der Urheber einer Filmkalkulation nicht an der Oberfläche kratzt.
Versteckte Optimierungen, die bereits auf der Stufe der Parametrisierung geplant wurden, sind nur mit extrem viel Fachwissen und Erfahrung aufzuspüren. Warum? Diese bilden korrekte Zahlen für die jeweiligen Arbeitsschritte ab. Aber dies auf Basis suboptimaler Prozesse! Zu einem späteren Zeitpunkt werden diese durch maximierte Abläufe ersetzt. So lässt sich ein netter, heimlicher Zusatzgewinn realisieren.
B. Kommunizierte Reserven und heimliche Reserven
Versteckte Reserven entsprechen in der Praxis meist geheimen Reserven. Sie werden bewusst nicht kommuniziert. Das muss nicht nur gegenüber einem Auftraggeber der Fall sein. Produzenten kommunizieren ihren eigenen Lieferanten zu tiefe Werte, um ein besseres Angebot zu erhalten. Oder sie versuchen damit, freischaffende Mitarbeiter zu besseren Bedingungen an Bord zu holen.
Trotzdem besteht ein Unterschied zwischen heimlichen und versteckten Reserven.
- Heimliche und angesagte Reserven unterscheidet die Art der Kommunikation
- Versteckte und offen gelegte Reserven trennt die Art der Darstellung im Videobudget
Ein Beispiel zur Erläuterung der Sinnhaftigkeit der Abgrenzung: Ein Producer entscheidet sich bei einer Videoproduktion, in seinem Videobudget die Reserve klar darzustellen (sichtbare Reserve), diese aber dem Regisseur nicht zu kommunizieren (nicht kommunizierte Reserve) weil dieser von Natur aus dazu neigt, kalkulatorische Vorgaben zu überziehen.
C. Spezifische und allgemeine Reserven
Der Detaillierungsgrad einer Filmkalkulation kann extrem unterschiedlich sein. Ein Testimonial-Video im tiefen vierstelligen Bereich erfordert meist weniger als hundert Positionen. Umgekehrt wird niemand ein Videobudget für einen TV-Spot oder einen Spielfilm nur auf einer Seite kalkulieren wollen. Die Darstellung von Reserven verhält sich ähnlich.
Sie ist aber noch von weiteren Faktoren abhängig.
Einerseits können sie bei kleinen Projekten als allgemeine Pauschale (überwiegend durch eine prozentuale Herleitung) festgelegt werden. Andererseits kann sich der Detailgrad der Zuordnung einer Reserve aber auch mit dem Projektstand verändern und entwickeln.
Beispiel: Videoproduktionen an exotischen Drehorten können wegen Unwägbarkeiten und Risiken schon bei der Parametrisierung mit einer Reserve bedacht werden. Liegen konkrete Offerten von ausländischen Produktionspartnern vor und haben diese das Projekt analysiert, kann die Zuordnung der Reserven verfeinert werden.
Wer über die gesamte Laufzeit eines Projekts auf generellen Reserven beharrt, setzt sich schnell einmal dem Verdacht aus, die Reserve als versteckter Gewinn über das Ende der Dreharbeiten hinaus retten zu wollen. Darum wird, seine Projekte nach kritischen Erfolgsfaktoren abklopft, wer Szenarien und Risiken einbezieht, nie nur mit allgemeinen Reserven arbeiten.
Rückstellungen für Bekanntes und unbekanntes
Ein guter Produzent arbeitet bei jeder Kalkulation mit drei verschiedenen Kategorien.
- Die erste Kategorie beinhaltet alle Dinge, von denen der Produzent weiß, er kennt sie.
- In der zweiten Kategorie wird alles eingeordnet, von dem man weiß, dass man es nicht kennt.
- Die dritte Kategorie ist entscheidend. Im Projektgeschäft mit dem Bewegtbild gibt es immer auch Vorgänge und Ereignisse, von denen man nicht weiß, dass man sie nicht weiß.
Für Unbekanntes eine Reserve zu haben, zeugt genauso von Professionalität wie die Einsicht, dass man schlichtweg nicht alles wissen kann.
Die Reserve für Unbekanntes sollte in einem gesunden Verhältnis zur Reserve für Bekanntes stehen. Wer die Reserve für Dinge, von denen er keine Ahnung hat, dass er keine Ahnung hat, höher legt als die Reserve für bekannte Vorgänge, sollte vielleicht besser auf die Durchführung des Projekts verzichten. Demut ist etwas anderes als mangelndes Wissen und fehlende Erfahrung.
Produktionsnahe und Produktions-fremde Rückstellungen
Unterscheiden kann man in der Videoproduktion Rückstellungen nicht nur nach der Art der Zuordnung im Videobudget, nach der Kommunikation und der Spezifikation, sondern logischerweise auch nach dem Inhalt. Sinnvoll ist das darum, weil sich so auf einen Blick die Reserven für projektspezifische Besonderheiten erkennen lassen.
Bereits hat ein Auslanddreh als Beispiel gedient. Ein typisches Beispiel wäre in diesem Zusammenhang die Frage, wie Dreharbeiten im Ausland (mit oder ohne Production Service) währungstechnisch abgebildet sind. Solange der Dreh im Euro-Raum stattfindet, erübrigt sich diese Frage natürlich.
Was aber, wenn ein Drehort oder eine Szene in den Vereinigten Staaten aufgenommen werden muss? Welcher Wechselkurs ist die Basis für die Kalkulation? Der aktuelle Tageskurs? Ein Mittelwert? Und wichtiger, was passiert, wenn sich der € zum USD verändert?
Für ein internationales Spielfilmprojekt, das eineinhalb Jahre dauerte und auf dem der Autor dieses Artikels als Line Producer tätig sein durfte, standen nebst Dreharbeiten in Europa auch fünf Drehwochen in Übersee auf dem Drehplan. Im ersten Videobudget arbeiteten wir mit dem aktuellen Wechselkurs. Die Deals wurden in der Auslandswährung fixiert.
Als der Dreh mehr als ein Jahr später anstand, hatten wir wegen Kursänderungen 7 % weniger Mittel verfügbar als geplant. Bei unserem Dreh war das konkret ein sechsstelliger Betrag. Weil ich in Absprache mit dem Executive Producer produktionsfremde Reserven genau für diesen Fall zurückgestellt hatte, kostete mich die Kursschwankungen nicht die Karriere, sondern nur ein Deal Memo, mit dem ich der Produktionsgesellschaft die Auflösung dieser Reserven rückbestätigte.
Nicht verwendete Mittel zur Steigerung der Qualität nutzen
Richtig angewendet, schützen Reserven bei Videoproduktionen nicht nur vor unliebsamen Überraschungen, sondern sind auch qualitätsfördernd. Wo Rückstellungen nicht benötigt werden, bietet es sich an, diese Mittel zusätzlich in die Qualität des Filmes zu investieren.
Frei gewordene Mittel für die Dreharbeiten können beispielsweise für eine bessere Musik-Komposition oder für digitale Effekte eingesetzt werden. Der Film oder das Video werden damit nicht teurer, aber besser.
Möglich ist dies nur, wenn schon bei Projektbeginn die Spielregeln im Umgang mit Reserven vereinbart sind. Vereinbaren kann man nur, was man weiß. Das bedeutet, anders gewendet: in der Kalkulation sollten Reserven immer ausgewiesen werden. Wer sie als heimlicher Gewinn betrachtet, hat nicht verstanden um, was es geht.
Wo setzt man Reserven in der Videokalkulation ein?
Eine Videokalkulation besteht wie im Film auch normalerweise aus einer Kostenübersicht oder Budget-Zusammenfassung, gefolgt von der Detailkalkulation. Auf beiden Ebenen muss die Reserve ersichtlich sein.
Dabei verhält es sich bei der Produktion von Videos wie mit jeder Kalkulation. Je detaillierter die Information im Videobudget, desto klarer und unmissverständlicher kann die Diskussion über die Höhe einer Rückstellung erfolgen.
Wer überzeugt ist, dass man Reserven besser nicht klar ausweist, weil sie einem sonst gestrichen werden, sollte sich nach meinem Dafürhalten gleich zwei Dinge fragen.
- Habe ich selbst die Kompetenz für dieses Projekt (wenn ja, warum macht es mir dann Mühe, meine Reserven zu kommunizieren und argumentativ zu vertreten)?
- Und wenn ja, habe ich den richtigen Partner (Videoproduktionsfirma, Auftraggeber etc.) und die richtige Plattform, um meine Aufgabe erfolgreich abzuwickeln.
Reserven soll man klar benennen. Vertrauen bleibt bei der Videoproduktion trotzdem der Schlüssel.
Wie bestimmt man die Höhe einer Reserve richtig?
Ganz einfach, indem man die Risiken korrekt erkennt und mit Szenario-Technik in die Projektplanung einbezieht. Weil jedes Projekt im Filmbusiness und Videogeschäft eigenen Regeln gehorchen muss, sind grundsätzliche Empfehlungen immer gefährlich. Zwei Orientierungsgrößen darf man aber mit gutem Gewissen benennen.
- Seriöse Architekten raten, bei einem Bauvorhaben eine minimale Reserve von mindestens 15 % zurückzustellen. Wissend, dass die Arbeit mit Bewegtbild nicht nur Kommunikation und Wirtschaftlichkeit beinhaltet, sondern auch das Potenzial einer Kunst besitzt (mit allen dazugehörigen emotionalen Komponenten), scheint mir dieser Wert auch für unsere Branche nicht unsinnig zu sein.
- Im professionellen Filmgeschäft in den USA wird immer wieder gesagt, dass ein Filmprojekt ohne vorhandene Reserven in der Höhe von 10 % bis 20 % als unprofessionell zu gelten hat.
Das Projektrisiko ist die Mutter der Reserve. Der Vater der Reserve bist du als Projektleiter.
Spezialfälle der Reserven: Cost-Plus und Pauschalbudget
Wer seine Projekte im sogenannten Cost-plus Modus abwickelt, benötigt keine Budgetreserven. In diesem Fall werden die Aufwände in Form der Lieferantenrechnungen oder Saläre 1:1 an den Financier oder Auftraggeber mit einem Markup (prozentualen Aufschlag) weitergegeben. Dieser trägt das Risiko einer Kostenüberschreitung.
Die Professionalität gebietet es aber auch in diesem Fall, sich mit Risiken und Rückstellungen auseinanderzusetzen. Nur schon darum, weil diese Abrechnungsvariante oftmals von ausländischen Auftraggebern für Production Services gewünscht wird. Wer zusieht, wie sein Partner an die Wand fährt, braucht sich nicht zu wundern, wenn der eigene Markup als Folge davon flöten geht.
Ganz anders beim Pauschalbudget. In diesem Fall ist die kluge und korrekte Arbeit mit Reserven erfolgsentscheidend und für die Videoproduktion überlebenswichtig. Trotzdem gilt auch hier: Offen kommunizierte Rückstellungen und Pauschalen sind keine Widersprüche, die einander ausschließen.
Kein halbwegs vernünftiger Auftraggeber wird davon ausgehen, dass sich ein Lieferant ohne Absicherung in das Risiko eines Pauschaldeals begibt.
Wo das Risiko eines Downsides (Verlust) droht, muss auch das Potenzial eines Upsides (höherer Gewinn) als Risikoprämie bestehen. Einfach und klar kommunizieren hilft auch hier, die jeweiligen Positionen und Reserven zu definieren.
Die Herstellung eines Filmes oder Videos ist immer auch eine gemeinsame Reise. Eine Reise, bei der es sich empfiehlt, nicht nur etwas Taschengeld, sondern immer auch eine vernünftige Reserve für Unvorhergesehenes im Videobudget bereitzuhalten.
Fazit
Das musst du wissen
- Die Bildung von Reserven ergibt im Projektbusiness darum Sinn, weil sie bei der Einhaltung von Budgetzielen und als Mittel zur Qualitätssicherung helfen.
- In einer Kalkulation für eine Videokalkulation können Budgetreserven in unterschiedlichen Formen auftauchen. So in Form offener oder versteckter Reserven, die dem Auftraggeber einer Videoproduktion kommuniziert, oder allenfalls verschwiegen werden.
- Je nach Absicht, mit der solche Posten gebildet werden, können diese eine allgemeine Natur haben oder für spezifische Zwecke vorgesehen werden.
- Der Aufbau Reserven, die später nicht zurück in die Produktion geführt werden, ist unsauber.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 26.09.2017
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