Regisseur Jürg Ebe: «Storytelling heißt, eine Geschichte gut zu erzählen!»

Jürg Ebe Regisseur Interview
Marco Rima und Esther Schweins im Spielfilm «Handyman» von Jürg Ebe

FILMPULS hat den erfahrenen Kinofilm-Regisseur Jürg Ebe, bekannt für seine Komödien wie »Handyman« und »Liebling, lass uns scheiden …« mit Marco Rima, in diesem Interview zu Gemeinsamkeiten und Unterschieden von Spielfilm, Kino und TV zum Imagefilm befragt.

Jürg Ebe, der auch Film unterrichtet und selbst Drehbücher schreibt, teilt in diesem Interview bereitwillig seine langjährigen Erfahrungen auf dem Filmset. Er erklärt, warum Kinofilme seiner Meinung nach nicht wie eine Pizza sein dürfen.

Interview mit Regisseur Jürg Ebe

Filmpuls:Jürg Ebe, wer bist du?

Interview mit Jürg Ebe, Regisseur
Jürg Ebe, Regisseur

Jürg Ebe:Ich bin seit 35 Jahren im Film- und Kino-Business in verschiedenen Funktionen tätig. Ich startete als Aufnahmeleiter und verdiente zusätzlich mit Tonbildschauen meine Sporen ab. Dies war eine hervorragende Basis, um später Spielfilme zu machen. Danach ging ich nach Amerika ans Columbia College und machte dort meinen BA in Filmproduktion. Nach der Rückkehr in die Schweiz realisierte ich Auftragsfilme und Videos für Weiterbildungszwecke sowie Produktionen für das TV. Eines führte zum anderen und eines Tages hatte ich das Glück, beim Spielfilm für das Kino zu landen.

Filmpuls:Was unterscheidet eigentlich Spielfilme von Corporate Videos?

Jürg Ebe:(Lacht) Eigentlich ist es relativ simpel. Auftragsfilme und Kinofilme unterscheiden sich in der Regel in der Länge und durch das Budget und damit durch die Anzahl der möglichen Drehtage. Beim Spielfilm wie bei der Kommunikation mit Film und Video im Kundenauftrag diktieren die verfügbaren Mittel letzten Endes das Projekt. Darum sehe ich keine großen Unterschiede. Auch, weil ich beide Genre gleich gerne bediene. Meine Funktion bleibt als Regisseur gleich.

Filmpuls:Wie unterscheidet sich die Dramaturgie?

Jürg Ebe:Jeder Experte sagt dir sofort: Es ist schwieriger, eine Geschichte in kurzer Zeit zu erzählen! Charaktere zu zeichnen und zu formen braucht Zeit, genauso wie der Zuschauer Zeit benötigt, um eine emotionale Beziehung zu den Figuren aufzubauen. In der verfügbaren Zeit liegt aus meiner Sicht der Hauptunterschied. Weil es in der Werbung um Sekunden geht, muss der Werbefilm plakativer arbeiten und kann weniger in die Tiefe gehen. Darin liegt die größte dramaturgische Herausforderung.

Filmposter «Liebling, lass uns scheiden
«Liebling, lass uns scheiden …» | © Turnus Film AG

Filmpuls:Du bist ein erfahrener Erzähler: Magst du uns einige Tipps zum Storytelling geben?

Jürg Ebe:Ich muss sagen, ich weiß nicht mal genau, wofür dieser Begriff stehen soll, dieses Wort. Was heißt Storytelling? Für mich ist das nichts anderes als eine Geschichte gut zu erzählen. Dazu muss man natürlich wissen, was eine gute Geschichte ist. Das gilt für jedes Medium; ob auf YouTube, Facebook oder sogar Wikipedia zwischen den Zeilen, ohne Message keine Story. Und ohne Story kein Storytelling.

Filmpuls:Und was, bitte, ist eine gute Geschichte?

Jürg Ebe:Gute Geschichten, das ist bei Comics und im Storytelling nicht anders, bieten dem Zuschauer Figuren, an deren Entwicklung der Zuschauer Anteil nehmen kann. Dann will der Zuschauer wissen, was mit den Figuren als Nächstes passiert. Die Entwicklung der Figuren muss anzeigen, was als Nächstes mit ihnen passieren könnte. Das ist für mich der beste Maßstab für eine starke Geschichte. Charaktere sind nicht nur im Kino das A und O für einen Filmemacher! Und sie sind das Schwierigste überhaupt. Egal, ob du als Regisseur ein kurzes oder ein langes Werk realisierst. Das Publikum so auf deine Seite zu ziehen, dass es ein tiefes emotionales Interesse für die Figuren entwickelt, das ist anspruchsvoll. Bis du weißt, wie das geht, benötigst du viel Erfahrung und machst auch Fehler. Und klar, alle Figuren sind auch in größere Ereignisse und Vorkommnisse in ihrem Umfeld eingebettet, die ebenso sorgfältig etabliert und liebevoll erzählt werden müssen.

Filmpuls:Ein Rat von Jürg Ebe für alle, die ein Imagefilm oder ein Produkt-Video produzieren?

Jürg Ebe:(Überlegt einen Moment) Vertraue deinem Regisseur. Kunde oder Produzent haben den Regisseur ja wohl mit gutem Grund für ein Projekt ausgewählt! Wenn du als Regisseur für ein Projekt zusagst, dann weißt du, was du tun musst, damit der Film funktioniert. Und du weißt, was du nicht tun darfst. Denn das ist dein Beruf! Es hört sich auch für mich selbst seltsam an, wenn ich das hier sage, aber meine Spielfilme sind immer dann am besten beim Publikum angekommen, wenn mein Gegenüber mir gesagt hat: »Ich glaube an dich – und jetzt mach es!«.

Wenn bei jedem kreativen Entscheid jedermann seinen Senf dazugeben darf, dann entsteht am Ende kein Film, sondern eine Pizza!
Jürg Ebe

Wenn bei jedem kreativen Entscheid jedermann seinen Senf als Feedback dazugeben darf, dann ist das Resultat am Ende im schlimmsten Fall wie eine Pizza bei einem Kindergeburtstag, auf die alle anwesenden Kinder im Kollektiv ihre liebsten Zutaten geschmissen haben. Die individuelle Wahl für jede Zutat ist nachvollziehbar und erklärbar, aber am Ende ergibt es ein verwirrendes Durcheinander. Stell dir eine Pizza Hawaii vor. Aber eine, auf der Ananas, Pommes Frites, Sushi, Schokolade und Apfelmus mit Käsefondue überbacken sind! Wer will schon eine solche Pizza?

LIEBLING, LASS' UNS SCHEIDEN Haupttrailer

Filmpuls:In welchem Genre arbeitest du lieber?

Jürg Ebe:Viele Imagerfilme haben mir bei der Konzeption und Umsetzung viel Spaß gemacht. Das sagen zu können, ist allein schon ein Glück. Ein interessantes Thema, ein großartiges Team, ein fairer Auftraggeber, das sind für mich die relevanten Faktoren für Spaß. Ich würde nie sagen, Videos können keinen Spaß machen. Ginge darin um eine Thematik, die ich aus irgendwelchen Gründen ablehnen würde, dann allerdings stünde ich gar nicht erst für den Film zur Verfügung. Beim Spielfilm empfinde es als riesiges Privileg, dass ich als Regisseur so viele Talente zur Verfügung habe, die mir dabei helfen eine Geschichte zu erzählen. Aber umgekehrt ist diese Vielzahl dann auch eine gewaltige Herausforderung. Wenn du während Wochen in aller Herrgottsfrühe an den Drehort kommst und da wartet deine Crew mit 50 Leuten zusammen mit einem halben Dutzend Schauspieler und mit noch mehr Nebendarstellern und Statisten auf dich und du weißt, heute musst du sieben Drehbuchseiten in Entertainment verwandeln, das ist dann schon eine Herausforderung. Dazu musst du dir selbst ab und sagen: auch Druck ist eine Art von Privileg. Denn es ist überhaupt nicht selbstverständlich, dass man dir als Regisseur so große Projekte anvertraut.

Filmpuls:Deine größte Herausforderung bei einem Imagefilm?

Jürg Ebe:Der interessanteste Auftrag, den ich bisher in meinem Leben umsetzen durfte, das war ein Video für die Armee. Die Filmlänge war strikte vorgegeben. Aber sonst war ich erstaunlich frei. Die Ausgangslage war spannend: Du hast ein Universum zu porträtieren, aber nur wenige Minuten Filmzeit dafür. Die Reduktion auf das Wesentliche, das war dann mein Schlüssel zum Drehbuch. Es ging nicht darum, was gezeigt wurde, sondern darum, was nicht gezeigt wurde. Wie so oft. Geschickt erzählt, geschieht vieles im Kopf des Zuschauers. Trotzdem war mir dann schon etwas bange, als ich das Script persönlich dem Chef der Armee präsentieren musste. Und die Logistik bei den Dreharbeiten hatte es in sich. Fünf reale Kampfflugzeuge spielten mit. Zwei FA-18, ein Tiger und Begleitflugzeuge, alle gleichzeitig mit uns und der Kamera in der Luft. Luft ist ein dreidimensionaler Raum: Das ist für ein Movie und die Inszenierung noch schwieriger, als ein Dreh auf dem Wasser, und vor Drehs auf dem Wasser raten dir alle ab. Wenn ich es mir jetzt überlege, dieser Job hat definitiv an der Grenze zum Spielfilm geschrammt (lacht). Es war gnadenlos interessant!

Filmposter «Handyman» von Jürg Ebe
«Handyman» | © Turnus Film AG

Filmpuls:Dein größtes Abenteuer beim Dreh eines Kinofilms?

Jürg Ebe:Ein fertiges Drehbuch ist ein gepackter Koffer für eine Reise. Nur: Die Reise geht an einen Ort, an dem du noch nie warst. Du weißt: Es kommen zehn Millionen Dinge auf mich zu, die ich gar nicht wissen kann und die ich darum situativ lösen muss. In einen Spielfilm investiert man als Regisseur mindestens eineinhalb Jahre seiner Lebenszeit. Egal, wie das Projekt dann herauskommt. Du startest mit einer Handvoll Leute, also fast allein, dann kommen immer mehr Personen hinzu und eines Tages ist es eine ganze Armee und du musst als General den Takt vorgeben. Ist der Film abgedreht, wird das Team wieder kleiner. Und später bist du wie am Anfang nahezu allein. Alle anderen Beteiligten sind seit Monaten ausgeschlafen und längst auf neuen Projekten. Und du hast während dieser ganzen Zeit nur eine einzige Story ein- und ausgeatmet, jeden Tag, jede Stunde, jede Minute und jede Sekunde. Das ist emotional wahnsinnig intensiv.

Die Herausforderung beim Kino ist schlicht und einfach der Umfang und die Dimensionen der Projekte. Da ist Druck von allen Seiten. Geldgeber, Produzent, Fördermittel, Kreativität, alles lastet auf dir. Bei Corporate Movies kommt der Druck dagegen in fast schon homöopathischer Dosierung. Einmal durfte ich mit 10’000 Statisten im Hallenstadion drehen. In der Drehbuchphase waren wir überzeugt, eine solche Szene ist in der Schweiz gar nicht umsetzbar. Aber es war möglich, real und ohne digitale Technik und Trickserei in der Bildbearbeitung. Ich wusste, unsere Drehlogistik war clever. Die Nacht vor dem Dreh habe ich trotzdem nicht viel geschlafen. Wie die 42 Nächte bis zum Drehende auch nicht.

Filmpuls:Gibt es News zum nächsten Movie von Jürg Ebe? Darfst du uns erzählen, was aktuell bei dir als nächstes Filmprojekt ansteht?

Jürg Ebe:Man spricht nie gerne über ungelegte Eier. Aber so viel darf ich zu den News sagen: Mein nächster Film ist wahrscheinlich ein großer Schweizer Spielfilm mit bekannten Komikern. Die Finanzierung und das Set-up für so ein Vorhaben benötigt seine Zeit. Wegen der Komplexität von Spielfilmprojekten bleiben unliebe Überraschungen und Verzögerungen selten aus, ungeachtet davon, wie aktuell die Story ist. Diese Wartezeit überbrückt man als Regisseur sehr gerne mit Aufträgen. Film ist Film und macht Spaß!

Filmpuls:Wir danken dir herzlich für dieses Interview! Und wir drücken dir und deinen nächsten Spielfilmprojekten alle Daumen!

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 08.12.2015

Pascal Kohler 2 Artikel
Pascal Kohler ist Production Coordinator bei Condor Films und FaroTV für Film- und TV-Produktionen in der Schweiz und in Europa.

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