Tabu Produktionsabbruch: Wann und wie soll man bei Videoproduktionen ins fallende Messer greifen?

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Brandstifter oder Fackelträger, der Licht ins Dunkle bringt? | © Symbolbild: Pavel Sokolov

Kein Unternehmen mag gerne über den Unterbruch, geschweige denn über den Produktionsabbruch von Filmproduktionen und Videoproduktionen sprechen! Offiziell wird beim Abbruch einer Videoproduktion geschwiegen. Weil es im eigenen Haus so was noch nie gegeben hat. Unglücklicherweise kann man darum nicht mit Informationen dienen. Der Abbruch einer laufenden Produktion ist ein Tabu.

Ein Produktionsabbruch wird verschwiegen, weil allein schon im Begriff Versagen und Inkompetenz mitschwingen. Das ist falsch. Die Herstellung eines Imagefilms oder Produktfilms ist naturgemäß nicht nur eine Marketing- oder Kommunikationsmaßnahme mit Film und Video, sondern immer auch Projekt mit einem gewissen Risiko. Projekte können in die Hosen gehen. Aber was dann? Soll man in das fallende Messer greifen?

Ausgangslage

Video-Projekte sind – im Gegensatz zu seriellen Herstellungsprozessen – auch Prototypen und bergen darum, statistisch und theoretisch, eine erhöhte Gefahr des Scheiterns naturgemäß in sich. (siehe dazu den Artikel zu Filmproduktionen als Projekt, der auf die daraus erwachsenden Notwendigkeiten aufmerksam macht).

Rahmenbedingungen

Ein Produktionsabbruch betrifft im Auftragsfilm mindestens zwei beteiligte Gruppen. Nämlich Auftraggeber (Kunde) und Auftragnehmer (Filmproduktion). Grundsätzlich kann ein Abbruch immer und von jeder Partei veranlasst werden, aber nicht ohne Folgen. Davon ausgehend, dass die Zusammenarbeit vertraglich sauber aufgesetzt und geregelt wurde, bestimmt das Vertragswerk die Folgen eines Abbruchs.

Wenn nicht anders geregelt, kommen beim Abbruch einer Filmproduktion meist die Bestimmungen des Werkvertrags zur Anwendung.

(Mausklick auf Grafik öffnet Gegenargumente)
Vorteile Produktionsstop

Produktionsstopp: Vorteile

Klare Verhältnisse
Budgetkontrolle
Risiken eingegrenzt
Raum für Neuplanung
Zeit für Analyse

Nachteile Produktionsstope

Produktionsstopp: Nachteile

Vertragliche Pflichten
Wirkung nach Außen
Kosten, aber kein Film
Mögliche rechtliche Folgen

Fortführung Dreharbeiten

Fortführung Dreh: Vorteile

Film / Video wird fertig
Probleme bleiben intern
Keine Reputationsschäden
Evtl. Lernkurve
Coaching while doing

Dreharbeiten weiterführen

Fortführung Dreh: Nachteile

Fass ohne Boden (Kosten)
Totaler Kontrollverlust
Qualität des Films leidet
Crew nicht motiviert
Schleichende Prozesse

Ausfallversicherungen und Completion Bonds sind in den USA im Spielfilm alltäglich, bei TV-Spots oder in der Unternehmenskommunikation mit Bewegtbild bleiben diese Absicherungstools aufgrund der im Vergleich zu einem Spielfilm tieferen Budget-Volumen mehrheitlich die Ausnahme.

Produktionsabbruch ist Ultima Ratio

Filme sind Projekte. Und Projekte können abgebrochen werden. Im Klartext kommunizieren schließt Misserfolge nicht aus. Trotzdem sollte der Produktionsabbruch das wirklich letzte Mittel (lateinisch = Ultima Ratio) zur Klärung von Differenzen zwischen Kunde und Produktionsfirma sein.

Losgelöst von vertraglich bereits geregelten Konsequenzen wie Schuldfragen, Haftung, oder Schadenersatzforderungen ist ein Produktionsabbruch mit Blick auf das Ganze mehrheitlich nur in wenigen Ausnahmefällen wirklich sinnvoll. Vorwiegend ist dies eine dieser vier Situationen:

1Wegfallen wesentlicher Grundlagen

Aussagewünsche oder für die Produktion wesentliche Bestandteile des Filmwerks ändern sich unvorhersehbar auf Seite des Auftraggebers während der laufenden Produktion. Auslöser dazu können bei börsennotierten Unternehmen etwa Übernahmen von Mitbewerbern oder der Verkauf von Unternehmenseinheiten sein.

2Ausfall

Der ersatzlose Ausfall erfolgsrelevanter Schlüsselpersonen wie ein prominenter Markenbotschafter oder ein Hollywood-Regisseur, der als Oscar-Gewinner einen Imagefilm allein aufgrund der begleitenden Berichterstattung in den Massenmedien in das Bewusstsein der Öffentlichkeit rückt. In diesem Fall müssen sich beim Produktionsabbruch die Verantwortlichen auf allen Seiten allerdings die Frage nach der üblichen, aber offenbar vorab (nicht) abgeschlossenen Ausfallversicherung gefallen lassen.

3 Produktionsunterbruch

Ein bereits eingeleiteter Produktionsunterbruch (sei es aufgrund der vorgehend unter Punkt 1 oder 2. aufgeführten Faktoren oder aus weiteren Gründen) führt, anders als zum Zeitpunkt des Unterbruchs erwartet, nicht zur Klärung offener Fragen oder Differenzen zwischen den Beteiligten.

4Höhere Gewalt

Höhere Gewalt, insbesondere Naturkatastrophen oder Krieg, verunmöglichen die Realisation. Der Film kann aus inhaltlichen Gründen nicht an einen alternativen Drehort dislozieren. Die Dreharbeiten müssen abgebrochen werden.

Konsequenz bei Produktionsabbruch

Jeder Abbruch einer Videoproduktion zieht unschöne finanzielle Folgen mit sich. Vorab zum Entscheid und parallel zum Durchlaufen der Eskalationsstufen sind darum alle denkbaren Szenarios sorgfältig zu kalkulieren. In diese Kostenschätzungen gehört auch die Evaluation möglicher Anwaltskosten. Ungeachtet, welches Szenario später umgesetzt wird, hinterher sind alle Beteiligten klüger.

Ein Stopp einer Film- oder Videoproduktion sollte nicht wie die Mode Trends unterliegen, sondern als Entscheidung wohlüberlegt sein. Er ist sorgfältig abzuwägen. Ein Produktionsabbruch passiert nicht einfach so. Oftmals gehen die Ursachen dafür schon zurück bis zur Projektanalyse in der Frühphase eines Films oder Videos.

In 90 % aller Fälle bleibt mit adäquatem Risikomanagement, mit der sorgfältigen Evaluation des Produktionspartners, mit genügend Erfahrung und ausreichen Professionalität ein Produktionsabbruch das, was er sein sollte: ein Papiertiger, der im Rahmen der Vertragsverhandlungen gemeinsam mit vielen anderen Themen diskutiert, aber nicht aus dem Käfig gelassen werden muss.

Fazit

Das musst du wissen

  • Jedes Filmprojekt ist – der Name sagt es – ein Projekt. Und Projekte sind nichts anderes, als Prototypen. Es liegt in der Natur der Sache, dass ein Prototyp im Vergleich zu einem seriellen, standardisierten Vorhaben, weit überdurchschnittlich oft scheitert.
  • Ein Produktionsabbruch kann kontrolliert oder unkontrolliert erfolgen.
  • Die Folgen eines Abbruchs der Produktion richten sich nach den getroffenen vertraglichen Regelungen. Sind keine solchen vereinbart worden, gelten die für einen solchen Fall vorgesehenen, gesetzlichen Regeln.
  • Ein Produktionsabbruch zieht in jedem Fall enorme Kosten nach sich. Er muss darum immer die Ausnahme und letztmögliche Maßnahme bleiben.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 10.11.2015

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