Netflix startet Etablierung einer neuen Messgröße für Beliebtheit und Zuschauererfolg

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Gemessen, gewogen und gewichtet: neue Messgrößen für Beliebtheit und Zuschauererfolg bei Netflix  | © Symbolbild: Pavel Sokolov

Bis anhin war es üblich, dass die Anbieter der großen Streaming-Plattformen keine Zuschauerzahlen zu ihren Serien und Filmen kommunizierten. Nun prescht Netflix vor. Das Medienunternehmen publiziert ab sofort eine neue Messgröße für die Beliebtheit des auf der Plattform publizierten Content: die Gesamtzahl angeschauter Stunden.

Warum Erfolge und Misserfolge öffentlich kommunizieren, wenn man nicht von Werbung lebt? Dies war bis anhin die Maxime von Netflix und Co. Schließlich finanzierten sich die Streaming-Anbieter nicht über den Verkauf von Werbeplätzen. Welche Inhalte bei den Abonnenten von Netflix bisher punkten konnten, wussten nur einige wenige Eingeweihte.

Ein weiterer Vorteil der bisherigen Praxis: Ohne Informationen über Zuschauerzahlen konnte die Konkurrenz nur Vermutungen über Erfolge und Misserfolge anstellen. Kommuniziert wurden, wenn überhaupt, nur Großerfolge. Einzig bei Squid Game wurden durch eine Indiskretion1 einige Zahlen aus dem Inneren des Konzerns der Fachpresse zugespielt – und die dafür verantwortlichen Mitarbeitenden prompt gefeuert.

Ob es der ungewollte Zwischenfall bei der koreanischen Serie war, oder ob schon länger geplant: Die Geheimnistuerei ist ab sofort Geschichte. Netflix veröffentlicht auf einer eigens dazu geschaffenen Webseite offizielle Informationen über den Erfolg der eigenen Filme und Serien.

Interessant dabei sind insbesondere drei Aspekte:

Messgröße für Beliebtheit = Gesamtzahl der Stunden

Gemessen wird nicht die Zuschauerzahl oder wie im Fernsehen üblich ein Zuschaueranteil am Markt als Quote. Auch keine Rolle spielt bei der Messung, wie sonst oft in der Digitalwirtschaft oder früher bei YouTube üblich, die Anzahl erfolgter Klicks.

Wie viel Zeit das Publikum mit dem Ansehen verbringt, ist ein starker Indikator für die Beliebtheit.
Pablo Perez De Rosso

Vice President Netflix

Netflix orientiert sich bei der Messgröße an einem Standard, der in der Vermarktung von Video Content schon seit Jahren zunehmend an Wichtigkeit gewinnt: entscheidend ist, wie viele Minuten und Stunden die Abonnenten eine Netflix-Serie oder einen Film des Streamers tatsächlich gesehen haben. Es gilt – anders als im klassischen TV-Geschäft, das Total der Stunden, das Menschen mit dem Ansehen verbracht haben. Neue Serien, wie »Haus des Geldes – Berlin« werden damit im Zuschauermarkt transparenter.

Mit der neuen Messgröße folgt Netflix in gewisser Weise dem Gedanken, der im Marketing als View Through Rate, kurz VTR, bekannt ist. Es zählt nur die effektiv verbrachte Lebenszeit, die der Zuschauer in die Konsumation des jeweiligen Contents investiert. Wer eine Serie mehrfach anschaut oder mit Erfolg weiterempfiehlt, treibt damit korrekterweise die Stundenzahl weiter in die Höhe.

Anders als bei der VTR arbeitet Netflix aber mit absoluten Zahlen. Der Konzern betont zugleich, dass er diese Art der Erfolgsmessung als zeitgemäße Art sehe, die Beliebtheit einer Serie auf transparente Weise festzustellen. Auch, um daraus Rückschlüsse auf die Zufriedenheit der bestehenden Abonnenten zu ziehen.

 Top 10 Rangliste

Zu finden ist die neue Erfolgsmessung schon jetzt im Internet. Dies unter dem Titel Netflix Top 10 und in Form einer frei zugänglichen Bestenliste.

Die Daten sind dabei wie folgt aufgeschlüsselt:

  • globale Top-10-Listen für Filme (Originalsprache = Englisch)
  • sonstige Sendungen (Originalsprache = Englisch)
  • Filme (Originalsprache nicht Englisch)
  • sonstige Sendungen (Originalsprache nicht Englisch)

Weitere Listen sollen folgen.

Die Rangliste der erfolgreichsten Inhalte lässt sich auf Basis der Gesamtzahl der Stunden nach Märkten aktuell für 90 Länder ab Ende Juni 2021 sortieren. Auch eine deutsche Sprachversion soll im nächsten Jahr folgen.

zuschauerzahlen netflix top 10
Screenshot Website Top 10 von Netflix

Produktionen, die es nicht auf einen der ersten zehn Plätze schaffen, bleiben vorderhand nicht aufrufbar. Das ganz große Mittelfeld und Flops werden damit weiterhin verschwiegen.

Wenn auch die Kommunikation von Zahlen bei Netflix ein unerwarteter und ebenso großer Schritt ist, noch ist die Transparenz und Aussagekraft der Ranglisten begrenzt. Marketing und Konkurrenzdenken bestimmen die Informationsmenge.

Netflix: The Winner Takes It All?

Die Publikation einer Top-10-Liste zieht bei einem Streaming Anbieter mit rund 215 Millionen Abonnenten2 einen unschönen Nebeneffekt mit sich.

Viele Menschen werden die Rangliste auch als Empfehlung verstehen. Angetrieben durch Presse und User bekommen Produktionen wie Red Notice, die es auf die Bestenliste schaffen, eine enorme zusätzliche Publizität – was sich wiederum in einer höheren Zuschauerzahl und damit in noch mehr Stunden niederschlägt.

Anders gewendet: Es besteht eine gewisse Gefahr, dass sich diese Art der Publikation der Zuschauerstunden gewissermaßen selbst speist. Erfolge werden noch größer, während die Plätze 11–50 kaum mehr eine Chance bekommen, in die vorderen Ränge vorzurücken. Das hat nichts mit der Messgröße zu tun, aber viel mit der Art, wie diese aufbereitet werden.

Der offizielle Start der Veröffentlichung von Zahlen zum Erfolg einzelner Medieninhalte ist in der Branche der Streaming-Anbieter trotzdem ein wichtiger Meilenstein. Indem Netflix diesen Paradigmenwechsel einleitet, bekommt das Total konsumierter Stunden als Messwert für Zuschauererfolg gute Chancen, sich als neuen Standard bei den Messgrößen von Bewegtbild-Online-Content zu etablieren.

Dazu trägt bei, dass Netflix ganz offensichtlich auch hinsichtlich Transparenz ein Zeichen setzen will: Methodiken und Metriken werden neu von einer unabhängigen Wirtschaftsprüfungsgesellschaft kontrolliert. Deren Bericht dazu erscheint erstmals im kommenden Jahr.

Quellen: 1 Variety, Entertainment Weekly; 2 Stand per 20. Oktober 2021; Zitat: 16.11.21, about.netflix.com

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 22.11.2021

Carlo Olsson 102 Artikel
Carlo Olsson begleitet die Herstellung von Filmen, Videos und TV-Serien im Auftrag von Unternehmen, Agenturen und Produktionsfirmen. In seiner Freizeit spielt er Eishockey und beschäftigt sich mit barocker Klangdramatik.

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