Sich als Regisseur von einer Stummfilm-Serie aus dem Jahr 1916 für einen Spielfilm über Sinn und Unsinn des Kinos inspirieren lassen, ist speziell. Noch spezieller wird es, wenn derselbe Mann, mittlerweile in Frankreich zur Legende geworden, sechsundzwanzig Jahre später aus seinem Spielfilm-Remake »Irma Vep« eine Serie für HBO macht. Denn diese hat es, wie die beiden Hauptdarsteller Alicia Vikander und Lars Eidinger, verflixt in sich!
„Die Schönheit der Zahlen …“, erklärte uns einst unser Mathematik-Lehrer, ein wohlwollender Mann mit einem Schädel wie ein Amboss, „… erschließt sich einem erst, wenn man sich ernsthaft und Frau Mathematika bemüht“.
Bei der Mini-Serie »Irma Vep« mit Alicia Vikander und Lars Eidinger in den Hauptrollen verhält es sich nicht anders. Man muss sich darum bemühen – und wird dafür reichlich belohnt.
Folge eins, auch die zweite Episode der Serie, legen Spuren, doch beide Episoden verweigern sich komplett der Forderung, dass früh in einem Serienformat unwiderstehliche Spannungsbögen für das Publikum zu schaffen sind. Zum Start müssen hier der Zuschauer:in die ebenso differenziert wie stark porträtierten Hauptfiguren – darunter Alicia Vikander, Lars Eidinger, Vincent Macaigne, Devon Ross, Nora Hamzawi und mit einem anonymem (!) Gastauftritt Kristen Stewart – genügen. Zusammen mit ersten, spitzen Pfeilen, die treffsicher, aber nicht ohne Liebe von Regisseur Olivier Assayas auf den täglichen Wahnsinn am Filmset abgeschossen werden.
Ich darf versichern: alles, was in der Mini-Serie »Irma Vep« von HBO hinter den Kulissen der Film und Serienarbeit thematisiert wird, fühlte4 sich für mich an wie ein Echo aus meiner eigenen Filmkarriere. So und nicht anders erlebt man als Regisseur:in, Produzent:in oder Schauspieler:in das Filmemachen und den täglichen Wahnsinn von Dreharbeiten unter Kosten- und Zeitdruck auf dem Set.
Alicia Vikander, Vincent Macaigne, Lars Eidinger, Devon Ross, Nora Hamzawi, Jeanne Balibar
Bewertung
★★★★☆☆ 68 % von 101 Menschen lieben diese Serie
Genre
Komödie, Drama
Staffeln / Episoden
1 Staffel / 8 Episoden à 56 min.
Irma Vep ist ein Wortspiel. Vorname und Nachname sind aus den Buchstaben für „Vampire“ gebildet. Darin schwingt auch das Wort „Vamp“ mit, das eine verführerische, aber kühl kalkulierende Frau bezeichnet, welche die Männerwelt um ihre Finger zu wickeln versteht.
Zu einer Ikone der Filmgeschichte wurde die Figur der Irma Vep als Mitglied einer Verbrecherbande, deren Kampf gegen einen zu neugierigen Journalisten einst als Serie (!) aus der Stummfilmzeit von Louis Feuillade im Jahr 1915/16 in den Kinos für Furore sorgte. Nicht zuletzt auch, weil sich die damalige Darstellerin der Irma, Jeanne Roques (die unter ihrem Künstlernamen Musidora auftrat), auf der Leinwand in einem hautengen Ganzkörperanzug aus schwarzem Satin zeigte.
Fasziniert von der vielschichtigen und in der Stummfilmzeit geradezu revolutionären Filmfigur stößt Alicia Vikander in der neuen Mini-Serie von HBO auf ihre innere Irma Vep – und durchbricht damit ungewollt die Grenzen zwischen Realität, Fiktion, Wiederverfilmung und Original.
Ansehen
WOWSky Go
★★★★★ = empfehlenswert | ★ = kaum sehenswert Credits & Filmdaten von | Nutzung erfolgt eigenverantwortlich
»Irma Vep« ist, wie frühere Werke im Schaffen von Kult-Regisseur Olivier Assayas, eine tragische Komödie und zugleich eine kritische Nabelschau auf die Filmindustrie. In seiner ersten Neuverfilmung »Irma Vep« (1996) ging es hintergründig darum, wie sich das Profitstreben auf die Kreativität und damit das künstlerische Schaffen im Film auswirkt. Weil Spielfilme da schon für Hollywood längst keine Filme mehr waren. Sondern ein Aktivposten in der Bilanz der Studios, der als Intellectual Property (neudeutsch: IP) mit Sequels, Prequels und Spin-offs maximal multiplizierbar sein musste.
Von 1979 bis 1985 arbeitete Olivier Assayas (*1955) als Journalist. Nachdem er verschiedene Kurzfilme gedreht hatte, kam 1986 sein erster Spielfilm „Désordre“ (Deutsch: »Lebenswut«) in die Kinos, mit dem er sich breite Anerkennung verschaffen konnte. Der internationale Durchbruch gelang Olivier Assayas mit der Dramödie „Irma Vep“ über die Konflikte innerhalb einer Filmcrew, die an einer Neuverfilmung von Louis Feuillades „Les vampires“ arbeitet und dafür den Action-Filmstar Maggie Cheung (von ihr selbst gespielt) gewinnen kann.
Alicia Vikander wurde am 3. Okt. 1988 als Tochter einer Schauspielerin und eines Psychiaters in Göteborg geboren. Ihre Eltern trennten sich, als sie wenige Monate alt war. Väterlicherseits hat sie fünf Halbgeschwister.
Mit neun Jahren nahm Alicia Vikander an der Königlich-Schwedischen Ballettschule in Göteborg Ballettunterricht. Als Teenager bereiteten jedoch Verletzungen und nachfolgende Fuß- und Rückenoperationen ihrem Traum von einer Karriere als Ballerina ein Ende. Sie bewarb sich danach an der schwedischen Akademie für Darstellende Künste zweimal vergeblich für ein Schauspielstudium. Trotzdem schaffte es Vikander, 2012 als Prinzessin Ekaterina in Joe Wrights „Anna Karenina“ (mit Keira Knightley in der Hauptrolle) international auf sich aufmerksam zu machen.
2015 kam Tom Hoopers Biopic „The Danish Girl“ in die Kinos. Das Film-Drama erzählt von der bewegten Geschichte der dänischen Malerin Gerda Wegener in den 20er-Jahren des letzten Jahrhunderts, und ihrem Mann, der sich 1930 geschlechtsangleichenden Operationen unterzog. Für diese Rolle erhielt Alicia Vikander mehrere Nominierungen und Preise, darunter einen Academy-Award als beste Nebendarstellerin. Im selben Jahr bekam Vikander viel Aufmerksamkeit und Lob auch für ihre Darstellungen in Alex Garlands futuristischem Psychothriller „Ex Machina“ und in James Kents biografischem Liebes- und Kriegsdrama „Testament of Youth“.
Alicia Vikander spielt in der Mini-Serie »Irma Vep« eine Schauspielerin, die es dank plakativen Kaugummi-Filmen wie dem fiktiven Blockbuster »Doomsday« (auf Deutsch: Tag des jüngsten Gerichts) zu Ruhm und Reichtum gebracht hat, aber die Schnauze längst gestrichen voll davon hat, als Frau und Künstlerin in Klischees eingemauert zu werden. Während ihre Agentin versucht, sie als Superheldin für die nächste Comic-Verfilmung in Tinseltown zu lancieren, hat Mira (Vikander) längst entschieden, sich der ebenso verschwurbelten wie irren Vision des depressiven französischen Regisseurs René Vidal (kongenial: Vincent Macaigne) anzuvertrauen.
Die achtteilige Serie, welche dieser Regisseur Vidal auf Basis seines früheren Spielfilms mit Mira als Star in Paris neu verfilmen will, ist keine Serie, wie er seiner Psychiaterin erklärt, bevor diese ihn auf seinen Fetisch mit Catsuits anspricht: „Das ist ein Spielfilm. Darum, weil ich nie Serien drehe. Nur Filme! Es ist ein Film, auch wenn dieser in acht Teilen gezeigt wird und acht Stunden dauert.“
Mira umgekehrt hofft, mit dem Dreh in Frankreich auch ihre unglückliche, aber überaus Boulevard-trächtige Beziehung in Los Angeles zur dominanten Laurie (Adria Arjona) und ihrem Ex-Freund und Schauspieler-Kollegen Eamonn (Tom Sturridge) vergessen zu können.
Auftritt Lars Eidinger. Er sprengt mit schauspielerischer Naturgewalt in der ersten Minute seiner ersten Szene den Bildschirm. Der Deutsche gibt in »Irma Vep« den Schauspieler Gottfried von Schack. Bereits nach Episode 2 weiß man: Dieser Mann wird zwar nicht für diese Serie, aber mit dem richtigen Film zwangsläufig einen Oscar in seinen Händen halten. Wie sein Berufskollege Christoph Waltz ist auch Eidinger dem Theater – und darüber hinaus der Fotografie – tief verbunden. Aber noch vielschichtiger als sein österreichischer Kollege Waltz schafft es der deutsche Charakterdarsteller es in seinen Film- und Serienauftritten, Klischee mit abgründiger Tiefe zu verschmelzen.
„Wie fühlt es sich an“, will Eidinger als Gottfried unverblümt von Hollywood-Star Mira wissen, als er sie auf dem Filmset trifft, „wenn die ganze Welt deine Muschi lecken will?“ „Das wäre nicht unbedingt meine Wortwahl für das, was du fragen willst“, antwortet diese mit einer Miene, die alles und nichts sagt. Ruhm als Schauspielerin in Hollywood lässt sich auch nach Harvey Weinstein nicht treffender mit diesem schweinisch-symbolischen Bild aus dem von Olivier Assayas verfassten Serien-Drehbuch beschreiben. Überhaupt wimmelt es in den Dialogen von Wortspielen und Widerhaken, dass es eine wahre Freude ist. So wird Schauspieler Gottlieb von den amerikanischen Filmschaffenden am Set seinen Kollegen mit bester Absicht als „Gott“ vorgestellt, unwissend, wie nahe dieser gut gemeinte Übername seinem chaotischen Charakterbild kommt.
Oscargewinnerin Alicia Vikander (beste Nebenrolle für „The Danish Girl“) war beim Remake von Lara Croft in aller Munde. Weil sie „Tomb Raider“ (2018) nicht mit ihren weiblichen Formen dominierte, wie ihre Vorgängerin Angelina Jolie. Die Männerfantasie Lara Croft war plötzlich eine Frau mit glaubhaft eisernen Willen, gepaart mit Fragilität. Ob trotzdem oder darum, der Reboot der Videospiel-Reihe spielte „nur“ 275 Millionen ein und wurde in der Branche darum als Flop gehandelt. Danach wurde es still um Viksander.
Die nun von ihr mitproduzierte Mini-Serie »Irma Vep«, aktuell beim Streaming-Pionier HBO („Sex and the City“, „Game of Thrones“, „House of the Dragon“) zu sehen, positioniert Alicia Vikander wieder in dem Universum, in dem sie sich ihren Welterfolg erarbeitet hat. Als Charakterdarstellerin bewegt sie sich wieder in einer Welt, in die weit mehr Grautöne passen, als es Hollywood zulässt – und die gerade darum sehr viel bunter, unterhaltender und sehenswerter ist.
Zachery Zelluloid war in der Unterhaltungsindustrie tätig. Er schreibt unter Pseudonym, weil er weder vertraglichen Schweigepflichten verletzen, noch das wirtschaftliche Fortkommen der Berufsgattung Anwalt fördern oder Freunde brüskieren will. Sein richtiger Name ist der Redaktion bekannt.
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