Vom Drehbuch zur Leinwand: Die Rolle eines Intimitätskoordinators / Intimitätscoach beim Film

Intimitätskoordinator Intimitätscoach Film
Improvisation kann auch unprofessionell sein: Berufsbild Intimitätscoach | © Skizze: Pavel Sokolov

Grundsätzlich gilt bei der Filmarbeit: Was vor der Kamera passiert, muss nicht echt sein, sondern nur wahrhaftig und wahr aussehen. Das gilt natürlich auch für Szenen, in denen es zu intimen Handlungen zwischen Menschen kommt. Dennoch war es über Jahrzehnte üblich, dass Darsteller bei gefährlichen Stunts zwar mit modernsten Mitteln gegen Abstürze gesichert wurden, in Sexszenen und bei intimen Berührungen aber buchstäblich nackt stehen gelassen wurden. Seit rund fünf Jahren gibt es darum nun ein neues Berufsbild beim Film: Intimitätskoordinator/in oder Intimitätscoach genannt.

Mit dem Erstarken der #metoo-Bewegung, angefeuert auf den Skandal und den Hollywood-Modul Harvey Weinstein, gelangte auch eine bisher sorgsam still geschwiegene Tabuzone der Filmproduktion ans Tageslicht. Bis ins Jahr 2017, in Europa auch weit darüber hinaus, war es absolut selbstverständlich, dass sich Schauspielerinnen und Schauspieler bei Sexszenen möglichst nah an der Realität bewegen sollten. Wie genau sie das (ohne Intimitätskoordinator) taten, blieb den oftmals überforderten Beteiligten überlassen.

Intimitätskoordinator beim Film

Die oftmals in Deutschland anzutreffende, alternative Berufsbezeichnung „Intimitätscoach“ für die Tätigkeit der Intimitätskoordinator:in ist falsch. Ein Intimitäts-Coach besitzt eine psychologische respektive psychotherapeutische Ausbildung und arbeitet außerhalb der Filmbranche mit Paaren, die Probleme mit der gemeinsamen Intimität haben.

Für das Choreografieren von simulierten intimen Szenen beim Film orientiert man sich darum korrekterweise immer an der englischen Begrifflichkeit. Sie lautet Intimacy Coordinator, übersetzt in die deutsche Sprache: Intimitätskoordinator:in.

Die Verwendung des fehlerhaften Begriffes in diesem Artikel erfolgt bewusst aus Gründen der Sichtbarkeit des Beitrags in der Internetsuche. Darum, weil die Redaktion das Wissen um die Wichtigkeit eines professionellen Umgangs mit intimen Szenen beim Film in diesem Fall höher gewichtet, als der Verzicht auf den irreführenden Berufsbegriff.

Neuer Filmberuf: Intimitätskoordinator/in

Der neue Filmberuf des Intimitätskoordinators, teilweise auch als Intimitätscoach bezeichnet, verschafft der Inszenierung intimer Momente die längst notwendige Professionalität. Denn auch bei gespielten Sexszenen gibt es einen wesentlichen, meist noch ausgeprägteren, Unterschied zwischen einer Schauspielerin als Privatperson und als Filmcharakter.

Intimitätskoordinatorin Intimitätscoach Film und Theater
© Foto: Sokolov
Theorie und Praxis

Wie weit reicht der gesetzliche Schutz vor Übergriffen am Filmset?

Ist man als Schauspielerin vom Gesetz gegen Dinge geschützt, die man vor der Kamera nicht machen will? Einfache Frage, schwierige Antwort. Es gibt dabei zwei Dinge zu beachten.

Wenn du in einem Schauspielvertrag oder einer Statistenerklärung klar festhältst, was für dich vor der Kamera o. k. ist, und was nicht, und diese Vereinbarung von Produktionsverantwortlichen unterzeichnen lässt, sind die Spielregeln nur auf den ersten Blick absolut klar. Wenn beim Dreh die vertraglich vereinbarten Tabus überschritten werden, handelt es sich nämlich „nur“ um eine Vertragsverletzung.

Darum gibt es zusätzlich auch strafrechtliche Bestimmungen, die zusätzlichen Schutz bieten und die gelten, ohne dass jemand zustimmen muss. Der wichtigste Straftatbestand dürfte in diesem Kontext das im Strafgesetzbuch genannte Verbot der Nötigung sein. Darunter wird eine Gewaltanwendung verstanden, zu der du nicht zugestimmt hast. Oder eine Drohung, die dich zu etwas zwingt, was du nicht willst.

Der im Strafrecht oft vorkommende Unterschied zwischen Zustimmung und mangelndem Einverständnis ergibt sich daraus, dass es beispielsweise nicht verboten ist, sich in einer wilden Liebesszene mit dem eigenen Einverständnis von Schauspielpartner schlagen oder würgen zu lassen.

Dabei schließt sich dann wieder der Kreis zwischen den staatlichen Regelungen und privaten Verträgen. Denn solange du beim Dreh nicht plötzlich mündlich deine schriftlichen Wünsche widerrufst, gleicht einem Übertritt die Meldung an die Polizei und der lange Arm des Gesetzes wird tätig.

Bitte beachte, dass die hier geäußerten Hinweise und Ratschläge weder eine fundierte rechtliche Beratung noch einen Anwalt ersetzen können.

Der Intimitätscoach plant und überwacht die Durchführung von durch Körperlichkeit dominierten Szenen auf dem Filmset. Dies von Umarmungen, Küssen, Zärtlichkeiten hin zu simulierten Sexszenen. Die Arbeit als Brückenbauerin und Problemlöserin erfolgt selbstverständlich in vertraulicher und absolut enger, respektvoller Absprache mit allen Beteiligten. Die Koordinatorin ist darum nicht nur Vertrauensperson für die Darsteller, sondern auch für die Regie, Kamera, Kostümbildnerin und weitere Filmberufe.

Mit dem neuen Berufsbild Intimitätskoordinator sollen Grenzüberschreitungen zukünftig verhindert werden. Noch bei Game of Thrones beklagte sich Emilia Clarke in späteren Interviews darüber, dass sie bei Nacktszenen als junge Schauspielerin nicht unprofessionell wirken wollte. Und darum bei den Dreharbeiten Dinge tat, die sie nicht wollte und die für sie bis heute unfreiwillige Grenzüberschreitungen geblieben sind.

Intimitätskoordinator: Schlüsselperson bei intimen Szenen auf dem Filmset

Die Arbeit des Intimitätskoordinators beginnt mit dem Studium des Drehbuchs und, wo vorgesehen, mit den Proben. Gemeinsam mit der Regie und den Schauspielern wird darüber gesprochen, wie der Spagat zu schaffen ist, dass intime Szenen vor der Kamera echt erscheinen, ohne dass der Schauspieler aus seiner Komfortzone getrennt wird.

Weil sich das persönliche Wohlbefinden mit der Tagesform und vor laufender Kamera verändern kann, ist der Intimitätskoordinator auch bei den Dreharbeiten auf den Film selbst mit dabei. Fühlt sich einfach besprochene Vorgang plötzlich falsch an, ist es der Job des Koordinators, Alternativen vorzuschlagen, mit denen sich alle Beteiligten einverstanden erklären können.

Ähnlich, wie der Stuntkoordinator den Stuntman gegen Unfälle bei Filmdreharbeiten absichert, stellen das neue Berufsbild die Unversehrtheit von Darsteller/innen sicher. Einfach nicht bei Stunts. Sondern bei Liebesszenen jeder Art.

Zur Abgrenzung zwischen Privatperson und Filmrolle unterstützt die/der Intimitätskoordinator/in die Schauspieler und die Regie auch mit handwerklichen Tricks. Ein Beispiel:

Kein Schauspieler mag verständlicherweise den höchst intimen Moment des eigenen Orgasmus, wenn auch nur gespielt, vor der Kamera einer breiten Öffentlichkeit präsentieren. Darum üben viele Intimitätskoordinatoren mit den Schauspielern vorab zu solchen Szenen einen abgesprochenen Zählrhythmus. Dabei wird, ähnlich wie mit dem Notenbild für eine Musikkomposition, für die Steigerung der Intensität einen festgelegten Takt vorgegeben. Damit werden intime und sexuell motivierte Szenen nicht mehr mit einer privaten und persönlichen, sondern mit einer handwerklichen Komponente unterlegt und damit von der eigenen Persönlichkeit abgegrenzt.

Gewährleistung von physischer und psychischer Unversehrtheit

Der Intimitätscoach stellt auch sicher, dass die Kamera die physische und psychische Unversehrtheit einer Schauspielerin zu jedem Moment gewährleistet. Die Simulation von Sex vor der Kamera war vielfach auch für Männer überaus unangenehm. Denn wenngleich beide Parteien einen Tanga-String in Körperfarben trugen, spürte man als Schauspielerin bei Liebesszenen jeder Art oftmals die strategisch wichtigen Körperteile des Gegenübers. Heute – und nicht zuletzt dank des Einfallsreichtums des Berufes des Intimitätskoordinators / Intimitätscoach – legt man bei solchen Szenen einen schwach aufgeblasenen Wasserball zwischen die beiden Körper. Damit können Beischlafbewegungen täuschend echt imitiert werden, ohne dass sich die Becken der Darsteller berühren. Diese Technik sorgt bei Dreharbeiten auch für heitere Momente, die aber anders als früher nicht mehr aus dem Überspielen peinlicher, unangenehmer Situationen heraus entstehen.

In der Regel wird der Beruf der Intimitätskoordinatorin heute mehrheitlich von Frauen ausgeübt. Das hat zum Vorteil, dass Schauspielerinnen, die generell wie Frauen beim Film immer noch eine Minderheit darstellen, sich stärker verstanden und vertreten fühlen.

Mit dem Wissen um Inszenierungs- und Schauspieltechniken und Erfahrung mit dem Drehen von Szenen mit ausgeprägter Körperlichkeit macht die Wichtigkeit einer Kommunikation auf Augenhöhe diesen Beruf ebenso spannend wie anspruchsvoll. Denn die Identitätskoordinatorin ist die innere Stimme, die eine Schauspielerin bei einer Szene möglicherweise Tiefen sich spürt, aber für die es ohne Intimitätscoach bis vor wenigen Jahre keinen Raum und keine Akzeptanz gab.

Ausbildungswege

Die Ausbildung zum Intimitätscoach / zur Intimitätskoordinatorin erfolgt meist durch die Mitarbeit und Assistenz bei einer erfahrenen Person, die bereits in dieser Funktion arbeitet. Daneben gibt es auch Weiterbildungsworkshops, beispielsweise an der London Film School, an denen man sich zur Fachperson ausbilden kann.

Ein herzliches Dankeschön an Intimitätskoordinatorin Julia Effertz (IPA, BIK, IPG) für den Hinweis auf die Unschärfen der in der Branche und den Medien häufig alternativ – und trotzdem fehlerhaft – genutzten Bezeichnung Intimitätscoach.

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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 06.05.2022

Carlo Olsson 99 Artikel
Carlo Olsson begleitet die Herstellung von Filmen, Videos und TV-Serien im Auftrag von Unternehmen, Agenturen und Produktionsfirmen. In seiner Freizeit spielt er Eishockey und beschäftigt sich mit barocker Klangdramatik.

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