Über Jahrzehnte hieß es in Hollywood: kein erfolgreicher Film ohne Happy End. Drehbuchautoren, die sich dieser Maxime verweigerten, galten als Autoren, die den Unterschied zwischen einem Spielfilm und einem Bildungsroman nicht verstanden hatten. Mit dem neuen Hollywood der Siebzigerjahre wurde das Storytelling in der Entertainment-Industrie neu definiert. Und damit auch das Happy End. Zwar galt noch immer, dass nur derjenige Zuschauer ein Movie weiterempfiehlt, dessen Filmende er als „gut“ empfindet. Aber die Definition, wie man für das Filmpublikum eine Filmhandlung abschließt, änderte sich. Für immer. Was das für dich als Filmautor bedeutet, erklärt dieser Artikel.
Damit eine Filmstory „funktioniert“, benötigt sie einen roten Faden. Das ist das Eine. Zum anderen gilt es, diesen Handlungsfaden an den richtigen Orten klug zu verknoten. Das wissen Filmzuschauer instinktiv und Filmemacher, Drehbuchautoren und Storyteller von Berufes wegen. Die Knoten, das sind dabei die zahlreichen Hürden und Hindernisse, welche die Hauptfiguren in der Filmhandlung auf ihrem Weg zum Happy End und Erfolg überwinden müssen.
Der Weg, der zum Happy End im Film führt, ist in einem Drehbuch niemals nur ein einzelner roter Faden. Jede Filmfigur, alles, was passiert, hat eine Vorgeschichte und wirkt sich auf die anderen Ereignisse in einer Filmhandlung aus. Jeder Film, jede Serie besteht aus dutzenden von roten Fäden, die vom Drehbuchautor kunstvoll ineinander verwoben sind.
Trotzdem lassen sich in der unendlichen Vielfalt aller denkbaren und möglichen Handlungslinien zwei grundlegend unterschiedliche Gruppen erkennen. Diese stehen, wie wir sehen werden, in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Happy End eines Movies:
Innere und äußere Ereignisse
Zur ersten Gruppe gehören alle Entwicklungslinien, welche die äußere Welt betreffen. Dazu gehören alle Ereignisse, welche das Umfeld betreffen, in welchem sich die Hauptfigur bewegt. James Bond kämpft gegen einen Bösewicht, der die Welt zu vernichten droht. Eine Mutter kämpft um das Recht, ihre Kinder in eine andere Schule zu schicken. Die Welt des Hauptdarstellers gerät aus der Kontrolle, ungeachtet ob nur im persönlichen Umfeld oder ob die ganze Welt ins Taumeln gerät.
Die zweite Gruppe der Handlungslinien betrifft ausschließlich die Entwicklung der zentralen Figur in der Filmhandlung. Weil es dabei immer – im Gegensatz zu den äußeren Ereignissen – um einen Menschen und dessen Psyche geht, folgt der zweite rote Faden der inneren Entwicklung des zentralen Filmcharakters und den Zielen, welche die Hauptfigur anstrebt. Der Held wider Willen überwindet seine Ängste und erst ab diesem Zeitpunkt tritt sein Erfolg in greifbare Nähe. Die Hauptfigur lernt dazu, sie verändert sich. Das kann freiwillig oder gezwungenermaßen erfolgen. Immer aber ist diese persönliche innere Entwicklung für das Filmende entscheidend.
Stell dir vor, die Hauptfigur in deinem Film besucht ein Casino online. Wie viel Glück sie dabei im Spiel hat und wie viel sie gewinnt, kann sie höchstens indirekt mit der Spieldauer und ihrem Einsatz beeinflussen. Wie viel Spaß sie aber aus dem Spiel und dem damit verbundenen Nervenkitzel zieht, ist losgelöst vom objektiven Gewinn und einzig eine Frage der inneren Einstellung.
Aus der Unterscheidung in zwei Kategorien, Charakterentwicklung und externe Ereignisse, ergeben sich nun für jede Filmhandlung vier theoretisch und praktisch mögliche Varianten für ein Happy End.
Happy End im Film: 4 Möglichkeiten
Viele Menschen glauben, es gäbe im professionellen Storytelling nur eine einzige Art von Happy End, welches den Zuschauer zufriedenstellt. Sie missverstehen damit das Filmende als pauschale Neutralisation des Unbills, welches dem Publikum zuvor um die Ohren geschlagen wurde.
Aber Filme sind aus Sicht der Dramaturgie viel mehr als ein Märchen, das mit „Es war einmal …“ beginnt und mit „Und sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende.“ endet.
Um sich dem Geheimnis des Happy Ends zu nähern, dröseln wir die äußeren Ereignisse und die innere Entwicklung mit Logik auf. Dann erkennen wir für jede der zwei Gruppen zwei Möglichkeiten.
Erstens können sich externe Ereignisse zum Guten wenden. Der Konflikt endet, eine Zeitbombe wird rechtzeitig entschärft, der brotlose Künstler kommt zu Ruhm und Geld. Zweites können Menschen, und damit auch Hauptfiguren im Film, ihre Ziele erreichen oder nicht, sich mit ihren Charakterlinien einer inneren Entwicklung verweigern oder zu Selbsterkenntnis gelangen.
In jeder der zwei Gruppen gibt es damit zwei Varianten. Damit haben wir die vier denkbaren Möglichkeiten für Filmenden sauber herausgeschält. Es sind folgende Kombinationen:
Vier Möglichkeiten, dein Storytelling abzuschließen:
Klassisches Happy End:
Die äußeren Umstände wenden sich zum Guten. Oftmals, weil die Hauptfigur sich verändert (dazugelernt hat) und erst darum ihre Ziele erreicht. Das Filmende ist objektiv (von Außen betrachtet) und subjektiv (für die Hauptfigur) der Best Case. Ob im Klassiker „Casablanca“ oder bei „Pretty Woman“, es gilt: Ende gut, alles gut.
Objektives Happy End:
Die externe Bedrohung wird zum Filmende bewältigt. Für die Hauptfigur geht der Film aber nicht gut aus. Prominentes Beispiel: der letzte 007-Streifen mit Daniel Craig. Bond rettet die Welt, zahlt dafür aber mit seinem Leben. Im Genre Horrorfilm besiegt die Hauptfigur das Böse, bleibt aber selbst schwer traumatisiert zurück.
Subjektives Happy End
Die Hauptfigur erreicht die eigenen Ziele, aber die Bedrohung bleibt. Klassische Beispiele dazu sind Antikriegsfilme wie „The Thin Red Line“ oder „The Deer Hunter“ (die Hauptfigur überlebt den Krieg, steht der Natur des Menschen aber weiterhin machtlos gegenüber).
Objektives und subjektives Scheitern
Weder verschwindet die Bedrohung noch erreicht die Hauptfigur ihre Ziele. Filme, deren Absicht es ist, den Zuschauer über das Filmende hinaus in Angst und Schrecken zu versetzen, nutzen die Kombination beider Negationen. Als Illustration dazu können die Hostel-Filme von Regisseur Eli Roth oder die Filmreihe „SAW“.
Interessant ist nun die Frage, warum das Kino-Publikum auch Abschlüsse mag, die nicht dem klassischen Schema entsprechen.
Warum das Publikum nicht nur eine Art von Filmenden akzeptiert
Für das objektive und das subjektive Happy End lässt sich die Antwort nach der Akzeptanz des Publikums auch ohne Studium der Psychologie beantworten.
Beim subjektiven Happy End hat die primäre Identifikationsfigur im Film (Hauptdarsteller) trotz seines Scheiterns etwas für sich, über das Leben und die Welt gelernt, was ihm in den Augen des Zuschauers hilft, sein Schicksal zu akzeptieren. Und in der Gedankenwelt des Zuschauers die Möglichkeit offen lässt, zu einem späteren Zeitpunkt auch noch die objektiven Hindernisse zu bewältigen.
Das objektive Happy End „funktioniert“ als Filmende, wenn die Filmzuschauer die objektive Bedrohung als Gefahr für die eigene Lebenswelt identifizieren. Ist der Worst Case gebannt, ist das der Beweis dafür, dass selbst universelle, existenzielle Bedrohungen sich abwenden lassen. Um den Preis des Scheiterns der Hauptfigur. Trotzdem verknüpft die Mehrheit der Drehbuchautoren die Abwendung der objektiven Gefahr zusätzlich mit einer aktiven Handlung der Hauptfigur. Der Held opfert sich damit für das Happy End.
Wie man die Kombination von objektivem und subjektivem Scheitern in letzter Konsequenz einsetzt, zeigt Kult-Regisseur Stanley Kubrick in „Full Metal Jacket“ (1987). Sein Meisterwerk über den Vietnamkrieg endet gegen die klassischen Regeln der 3-Akt-Filmstruktur nach dem zweiten Akt.
Entscheidend für einen erfolgreichen Abschluss einer Geschichte ist einzig und immer – damit sind wir wieder beim roten Faden –, dass jedes Filmende nicht mehr und nicht weniger als die klare logische Folge der gesamten vorherigen Ereignisse ist. Die Nachvollziehbarkeit der Handlungskette ist dabei zwingend. Jegliche Voraussagbarkeit über den konkreten Typus des Happy Ends aber ist verboten.
Filmbeispiele für die vier Arten von Enden im Spielfilm
In »No Time To Die« (2021) opfert James Bond sein Leben, um die Welt zu retten. Aus der Distanz betrachtet ist das Ziel objektiv erreicht. Im »Planet der Affen« (1968) versagt George Taylor (Charlton Heston) beim Versuch, der Terrorherrschaft der Affen zu entkommen, erkennt aber zum Filmende, dass er eine Zeitreise gemacht hat und der Planet, auf dem er sich befindet, die Erde ist. Der Erkenntnisgewinn ist ein subjektiver Gewinn. In »Pretty Woman« (1990) erkennt Edward Lewis (Richard Gere) den wahren Wert der Liebe und rettet zugleich Vivian Ward (Julia Roberts). Im Gegensatz dazu scheitert in »Full Metal Jacket« (1987) Private Joker (Matthew Modine) in jeder Hinsicht. Der Krieg geht weiter und er selbst bleibt ein bedeutungsloses Zahnrädchen, das sich seinem Schicksal fügt.
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