Die Zeitung Tageswoche hat sich in einem Artikel die Frage gestellt, was der Trend zur Action Cam für das Ego der User bedeutet und dazu mit Kristian Widmer, CEO und Mehrheitsaktionär der international bekannten Schweizer Condor Films AG, ein Interview zu Risiken der Stuntkamera geführt.
Filmpuls publiziert das Interview zu Action Cams in Videoproduktionen in originaler Länge und zusammen mit einer Übersicht der Eckdaten zu den beiden aktuell wichtigsten Kameratypen. Weiter wurde am 9.2.2016 am Ende dieses Artikels eine nachträgliche Ergänzung mit ersten verfügbaren Informationen zur vom Fraunhofer-Institut entwickelten neuen EagleCam beigefügt.
Interview mit Kristian Widmer über Action Cams
Tageswoche:Wie hat sich ihre Arbeit als Film-Profi seit Einführung der kleinen Kameras, meist Action Cam genannt, verändert im Vergleich zu früher (filmisch, ästhetisch, technisch, preislich, Möglichkeiten etc.)?
Kristian Widmer:Der Trend zur Action Cam prägt hauptsächlich die Freizeit von Hobbyfilmern und den semiprofessionellen Bereich. Für das Kino, im TV oder für den Imagefilm, Produktfilm oder für Webvideos hat sich in der Filmproduktion und für Videofilme diesbezüglich weniger verändert, als man denken könnte. Für die professionelle Filmproduktion bedeuten sie aber auch keine wirkliche Neuheit: Handliche Kameras existieren es schon seit Jahrzehnten als Stuntkamera. Actioncams werden von den Profis auch heute noch so eingesetzt, wie das früher mit kleinen, analogen Stunt-Kameras geschah.
Tageswoche:Wie erklärt sich denn der große Erfolg von GoPro und Co.?
Kristian Widmer:Neu ist einzig, dass die Technologie aus der binären (digitalen) Welt und nicht mehr in der analogen Welt stammt. Die Entwicklung der Action Cam ist also in etwa vergleichbar mit derjenigen in der Fotografie: noch nie gab es auf der Welt so viele Kameras, weil diese vom Hersteller heute serienmäßig in jedes Smartphone und jedes Tablet eingebaut werden. Darum wurden noch nie in der Geschichte der Menschheit eine so große Menge beliebiger, gnadenlos subjektiver Fotos und Videos hergestellt, die von niemandem konsumiert werden.
Tageswoche:Was waren die Anwendungsfälle für Stunt Kameras früher?
Kristian Widmer:Die analoge Stuntkamera wurden früher von Regisseuren aufgrund der hohen Kosten nur dann verwendet, wenn der Einsatz inhaltlich-dramaturgisch gegenüber dem Produzenten begründbar war. Handliche Klein-Kameras wurden für Aufnahmen von Zusammenstößen beispielsweise als Action Cam bei Stunts an Autos befestigt (die Kinofilm-Serie „Mad Max“ lässt grüßen). Auch bei den heutigen digitalen Actioncams gilt für Profis die Regel, dass der Einsatz dem Storytelling dienen muss. Nicht dem eigenen Ego. Und wie früher nimmt man dabei für ungewöhnliche Bilder auch mindere technische Qualität für einige Sekunden in Kauf. Zumindest zurzeit noch.
Die technischen Limite der Action Cam wird sich in Zukunft erübrigen. Die wichtigere Grenze aber wird bleiben: die Notwendigkeit von Erfahrung und Talent desjenigen, der die Kamera einsetzt!
Kristian Widmer
Tageswoche:Ist die Action-Cam ein bedeutender Einschnitt oder ein temporäres Phänomen?
Kristian Widmer:Bereits um 1920 entwickelte der sowjetische Filmemacher Dsiga Wertow nicht nur die Theorie der sog. entfesselten Filmkamera, sondern er experimentierte damit, die Kamera vom Stativ zu lösen, um lebensnahe Action aufnehmen zu können. Damit war die Action Cam erfunden. In surrealistischen Filmen wurden dabei gerne auch mal die Kameras von Hand durch die Luft geworfen. Auch die Weltkriege haben die Entwicklung handlicher Filmkameras markant vorangetrieben. Arriflex-Handkameras und die Siemens-D-Schmalfilmkameras beispielsweise waren bei den deutschen Propagandakompanien täglich und in allen Truppenteilen im Einsatz, wobei die Kameraleute angehalten wurden, nicht zu inszenieren. Ende der 60er-Jahre erlebte dann unter anderem durch Jean-Luc Godard die entfesselte Kamera in Theorie und Praxis eine zweite Blütezeit. So betrachtet darf man mit Fug und Recht feststellen: Die heutigen Actioncams sind nicht mehr und nicht weniger als die dritte Phase einer jahrzehntealten Entwicklung in der Bewegtbild-Akquisition und -Produktion. Action Cams sind darum, auch wenn dies seltsam tönen mag, überhaupt nichts Neues.
Die größten Feinde der Extremsportler sind YouTube und GoPro: Da wird auf Video das Leben aufs Spiel gesetzt, um bekanntzuwerden.
Kristian Widmer
Tageswoche:Wo liegen die Grenzen solcher moderner Action Cams?
Kristian Widmer:Erstens beim eigenen Ego. Zweitens bei der Technik. Sobald nicht mehr optimale Lichtverhältnisse herrschen oder Blickwinkel wechseln sollen (was bei den meisten Filmen alle ca. 3–5 Sekunden geschieht) stößt der Chip der Action Cam trotz hoher Anzahl Pixel auch heute noch an sein Limit. Aber das sind einzig technische Grenzen, die sich in Zukunft durch Innovationen erübrigen werden. Die wichtigere Grenze aber wird bleiben: Wie immer beim Filmemachen, ergibt diese sich aus dem Umgang mit den Möglichkeiten der Technik. Eine Kamera allein, ob groß oder klein, Action Cam oder nicht, garantiert allein keinen interessanten Film. Sie bietet nicht automatisch großes Kino und Storytelling.
Tageswoche:Was muss ich tun, damit meine Aufnahmen mit solchen Kameras überzeugen?
Kristian Widmer:Oftmals verjagen endlose Kamerafahrten und unablässige Schwenks jede Dramaturgie schon im Ansatz. Jeder Mountainbiker in den Alpen hat auf seinem Helm eine Actioncam montiert. Fallschirmspringer und Gleitschirmflieger generieren stundenweise Filmmaterial. Aber ähnlich wie früher bei den Familien-Filmaufnahmen auf Super-8, geht zuerst bei der Herstellung der Zuschauer vergessen – und später teilt das Material auf einer Festplatte das identische Schicksal. 99 % der mit Action-Cams generierten Videos werden zudem nicht bearbeitet. Filme editieren und vertonen ist aufwendig. Ohne Konzept, und mit der Absenz von dramaturgischem Wissen, bleibt der Film dann trotz flottem Schnitt eine Abfolge gnadenlos subjektiv abgefilmter Situationen. Diese entwickeln schnell denselben Charme wie früher die epischen Diashows des Onkels nach den Ferien mit der Tante im mehr oder weniger exotischen Ausland. Da hilft dann trotz Ego und Ultra-Flachbildschirm mit 6K-Auflösung und Surround-Sound-Anlage nur noch ein Stromausfall!
Übersicht: Eckdaten der 2 bekanntesten Action Cams im Vergleich
Action Cam | Produkt: Actionpro X7 | Produkt: GoPro Hero 4 Black |
---|---|---|
Gewicht | 107 g (inklusive Gehäuse) | 167 g (inkl. Gehäuse) |
Blende | f.2.4 | keine Angabe |
Auflösung/Pixel | 1920 × 1080p Pixel | 3840 × 2160 (4K) Pixel |
Bildrate | keine Angabe | R30/25/40 |
Akkulaufzeit | keine Angabe | ca. 60min. |
Preis | ca. € 285.-/CHF 310.- | ca. € 530.-/CHF 580.- |
Fernbedienung | in Entwicklung, nicht inkl. | Wi-Fi Remote (optional, nicht inkl.) |
Schnittstellen | Mini-USB, Wi-Fi, u. a. | Bluetooth, Wi-Fi, u. a. |
Wasserdicht | bis 60 m Tiefe (nur mit Gehäuse) | bis 40 m Tiefe (mit Gehäuse) |
Stativgewinde | Nein | Nein |
Foto-Funktion | Ja (inkl. Serienbilder) | Ja (inkl. Serienbilder) |
Tageswoche:Ist die Gefahr für den User größer, sich mit einer Action Cam für ein Video in immer gefährlichere Situationen zu begeben?
Kristian Widmer:Bei einer professionellen Filmproduktion stellt sich diese Frage nicht. Hier gibt einen inhaltlichen Aussagewunsch (Drehbuch, Storyboard). Dieser wird mit den adäquaten (kamera-)technischen Mitteln unter Berücksichtigung aller möglichen Sicherheitsmaßnahmen umgesetzt. Das Ego und die Herstellung eines Films dürfen niemals Leib und Leben gefährden. Risiken einzugehen, ist höchst unprofessionell. Ist das Ego größer als die Action Cam, wird es mit jeder Stuntkamera rasch lebensbedrohlich! Zudem ist es mit den Möglichkeiten der Digitalanimationen schon länger möglich, Unmögliches ohne Action Cam so auf den Bildschirm oder die Leinwand zu bringen, dass es der Zuschauer gar nicht mehr bemerkt. Im Amateurbereich oder in den Händen von halbprofessionellen Filmemachern mag das anders sein. Besonders, wenn der als Freizeitbeschäftigung betriebene Extremsport als Motiv dann gleichzeitig auch Mittel zum Zweck wird.
Tageswoche:Gibt es dafür Beispiele?
Kristian Widmer:Genau! „ActionPro“ oder „GoPro Hero“ als Typenbezeichnung einer Action Cam zielt als Kaufargument wahrscheinlich nicht auf Menschen, die den Nachwuchs oder ihre Haustiere mit einer Actioncam filmen wollen. Sondern auf das Ego des Käufers. Als schlichtweg unverständlich und an der Grenze zur Verantwortungslosigkeit ist es, wenn ein Hersteller von Action Cams wie GoPro einen Wettbewerb durchführt, in dem Videos über lebensgefährliche Extremsituationen ausgezeichnet werden. Wer abseits der offiziellen Piste fährt, in eine Gletscherspalte stürzt und diesen Unfall – ebenso wie seine aufwendige Rettung – mit seiner Action Cam als Augenzeugenvideo inszeniert, darf nicht noch mit einem Preis für die eigene Dummheit und ein falsch verstandenes Ego belohnt werden.
Dokumentation der eigenen Rettung mittels GoPro:
Tageswoche:Wie häufig und für welche Kunden- und Zwecke nutzt ihr Unternehmen Action Cams?
Kristian Widmer:Action Cams werden in unserem Haus im Vergleich zu anderen Kameratypen eher selten eingesetzt und wenn, dann immer nur sehr gezielt. Einerseits, weil unsere Kunden besonders im Werbebereich auf höchste technische Qualität setzen. Andererseits weil bisher fast nie Ideen bei uns landen, welche die Stärken und Schwächen der digitalen Action Cams schon in der Konzeptphase berücksichtigen, und die damit Einsatz in größerem Umfang rechtfertigen würden. Für Imagefilme werden Action Cams alle paar Monate für Kundenaufträge eingesetzt, aber auch da nur für wenige Sekunden und einzelne Sequenzen.
Tageswoche: Sind Action Cams eine Option für TV-Sendungen?
Kristian Widmer:Auch unsere TV-Tochter FaroTV dreht meist nur kurze Szenen und wenige Sekunden mit einer Actioncam. Wir nutzen die Stuntkamera dann, wenn wir in unserer TV-Serie „Tierische Freunde“ den Blick einer Katze aus einer Transportbox auf den Tierarzt zeigen wollen. Dann ergibt eine Action Cam wirklich Sinn. Oder wenn unsere Redakteure realitätsnah und mit einem „Augenzeugen-Look“ einen Vorfall bei BeoachterTV einfangen wollen. Wird es spektakulärer, beispielsweise im Gehege mit wilden Tieren, verzichten unsere Regisseure und Kameraleute erstaunlicherweise gerne auf Action Cams. Sie stellen in solchen Situationen, so geschehen beim Dreh von Löwen und Tigern, die Profikamera auf Automatik und drücken die Videokamera dem Wärter oder Dompteur in die Hand. Dieser geht dann mit der Kamera hautnah an das an ihn gewohnte Tier. Oder er legt die laufende Kamera im Gehege an den Boden, sodass ein scheues Tier sich in Ruhe der ungewohnten Kamera annähern kann. Damit entstehen spektakuläre Shots in maximaler Qualität auch ohne Action Cam. Auch in unseren Spielfilmen ist die Action Cam aber eher die Ausnahme, ähnlich wie bei Dokumentarfilmen die Stuntkamera nur selten zum Einsatz kommt. Am Ende gilt: Die Action Cam ist für den Profi, wie die gute alte Stuntkamera schon, ein Instrument mehr im vielfältigen Werkzeugkasten des Filmemachers. Wie jedes Werkzeug sollte dieses um die Wirkung willen nur für den Zweck, für den es gedacht und gemacht ist, eingesetzt werden. Nicht, um das eigene Ego zu boosten.
(Fragen: Ch. Spangenberg. Die TagesWoche war eine Schweizer Zeitung aus Basel. Sie erschien bis 2018 täglich online und einmal in der Woche am Freitag als Druckausgabe.)
Nachtrag zu Action Cams vom 9. Februar 2016
EagleCam: Action Cam setzt neue Maßstäbe für Stuntkameras
Für den Ende Januar in Deutschland angelaufenen Spielfilm „Wie Brüder im Wind“ (Regie: Gerardo Olivares, Otmar Penker, Produzent: Walter Köhler) mit Jean Reno kam eine Action Cam ganz besonderer Bauart zum Einsatz. Das Fraunhofer-Institut benötigte für die gezielt für diesen Spielfilm entwickelte hochauflösende Stuntkamera zwei Jahre. Angeschnallt an den Kopf (!) eines mongolischen Adlers, lieferte die EagleCam für die Großleinwand im Kino fantastische Bilder aus der Vogelperspektive.
Die Eckdaten der EagleCam
Beschreibung | Parameter Action Cam |
---|---|
Form | Würfel |
Kamerakopf/Pixel | 3cm x 3 cm (!) Pixel |
Gewicht | 70 g (!) |
Akkulaufzeit | 120 min. Akkulaufzeit |
Preis | 250’000.- € |
Hersteller | Fraunhofer-Institut |
Mehr Informationen unter: | http://www.iis.fraunhofer.de |
Nachtrag vom 24. April 2017 zu Action Cams
YI HALO von Xiaomi: Gratis Action Cam für Filmemacher
Mit der neuen YI HALO 360-Grad-Kamera von Google setzt erneut ein großer Player neue Maßstäbe im Geschäft mit der Action Cam. Allerdings ist das Modell aufgrund seiner Größe eher keine Konkurrenz für die klassischen Stuntkameras. Verwendet werden in der 3D-360-Kamera von Google nicht mehr wie in den Modellen der Vorgängerserie Kameras von GoPro. Sondern neu 4K-Actioncams von Xiaomi aus China.
Interviews
Die Interviews bei Filmpuls wie dieses über Action Cams dürfen alles, außer langweilen. In dieser Rubrik kommen Regisseure, Kreative, Schlüsselpersonen der Filmszene und weitere Exponenten der In- und ausländischen Bewegtbildkommunikation zu Wort.
Die bisherigen Artikel porträtieren unter anderem: Wigald Boning, die Regisseure Jürg Ebe, Markus Welter und Patrick Merz, Su Turhan, Autor der Roman-Reihe «Kommissar Pascha», die Spezialisten für Mockumentary Jan Sulzer und Deborah Neininger, Kameramann Adrian Teijido (Narcos von Netflix), Andrew R. Jones, doppelter Oscar-Gewinner, und die Freunde Dionys Frei und Davide Tiraboschi, die es mit ihrem Unternehmen Dedicam nach Hollywood gebracht haben.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 26.01.2016
Hallo! Sehr interessanter Artikel, danke auch für die filmhistorische Einordnung. Ich frage mich jedoch, ob die saubere Einteilung in professionelle, semiprofessionelle und Amateur-Arbeiten noch zu halten ist, oder ob sie vielleicht nur noch ein Wunschdenken unserer Zunft darstellt? Wir erleben ja jetzt schon, wie Markenartikler mit hoher Reichweite in sozialen Netzwerken jede Menge Bewegtbildcontent von Actioncams und Smartphones veröffentlichen, der höchstens semiprofessionell (z. B. von den internen Marketingpraktikanten) erstellt wurde, oder wo die Agenturen sich auch von uns Profis explizit den „Social Media Look“ mit GoPro und iPhone wünschen. Die spannende Frage ist doch: bleibt dies eine Modewelle, nach deren abebben die hochwertigen Produktionen ihr Revival feiern; oder verändern sich unsere Sehgewohnheiten durch YouTube, Instagram etc. so radikal, dass es kein Zurück mehr gibt. Sosehr ich Ihre Argumentation teilen möchte; ich halte diese Frage für völlig offen. Während der Dia-Abend bei Onkel und Tante höchstens einmal im Monat stattfand, schauen die meisten von uns heute täglich, wenn wir die Fotos mitzählen, zahlreiche „Amateurproduktionen.“ Ich halte es für mindestens wahrscheinlich, das diese gravierende Änderung im Medienkonsum unsere Sehgewohnheit und Ästhetik dauerhaft verändern wird. Was meinen Sie?
Ja, die Sehgewohnheiten werden sich (weiter) ändern. Unwiderruflich. Wichtiger scheint uns die Frage, ob sich professionelle Film- und TV-Produktionen als Techniker oder vielmehr als kreative Denker und Lösungsfinder positionieren können. Die Produktionstechnologie wird in dem meisten Fällen global zu vergleichbaren Konditionen für alle Marktteilnehmer zugänglich sein. Kreative Inhalte (neudeutsch: Content) werden im Gegenteil dazu ein Alleinstellungsmerkmal im Kampf um Werbesekunden oder um die Aufmerksamkeit des Users bleiben. Gnadenlose Subjektivität und erbarmungslose Beliebigkeit bewegen in der Kommunikation mit Film und Video weder Märkte, noch Menschen noch Unternehmen!
Der Trend geht definitiv in Richtung billigeres Filmequipment, billigere Produktionen, noch schlechter bezahlte Techniker…