Der Autor dieses Artikels ist Filmproduzent. Er besucht regelmäßig ein Flugzeugwrack in den Alpen. Dieses Jahr wurde er dabei von einem Steinschlag überrascht. Für ihn Grund genug für einige fundamentalen Gedanken zum Berufsbild des Executive Producers beim Film und demjenigen des Bergführers.
Schnee, Wetter und Rutschgefahr waren in meine Überlegungen einbezogen. Aber Steinschlag hatte ich nicht erwartet. Der Pfad war kaum mehr als zwei Fußbreit und verlief auf knapp 3000 Meter unterhalb eines Bergkamms parallel zu zwei Bergtälern. Entdeckt hatte ich ihn erstmals auf einer dreißig Jahre alten Landkarte im Maßstab 1:25‘000 bei der Suche nach einem abgestürzten Flugzeug in den Schweizer Alpen.
Die fliegende Festung
Es sollte mehr als zwei Jahre dauern, bis ich mitten in einem Geröllfeld vor einem erstaunlich gut erhalten Trümmerhaufen stand.
Da lagen die Überreste einer B-17, besser bekannt als Flying Fortress, im Schnee. Der amerikanische Bomber mit 9 Mann Besatzung (ein Platz war unbesetzt, weil ein Mitglied der Crew auf Heimaturlaub war und kein Ersatzmann verfügbar war) hatte im Februar 1945 in Deutschland eine Kugellagerfabrik bombardiert. Dabei wurde er von Fliegerabwehrkanonen getroffen. Auf dem nächtlichen Heimflug von Regensburg nach Amendola (I) war der Bomber mitten in einem Schneesturm in eine Bergflanke gekracht.
Verschollen und vergessen
Offiziell wurde die B-17 nach dem Absturz in der Schweiz verschrottet. Per Zufall erfuhr ich, dass das über vierzehn Tonnen schwere Wrack in Realität bis heute nicht vollständig abtransportiert werden konnte. Der alpine Absturzort war für Fahrzeuge komplett unzugänglich und für Helikopter über Jahrzehnte zu hoch gelegen.
Seit ich die abgestürzte B-17 hatte lokalisieren können, habe ich die Überreste des Bombers mehrfach wieder besucht. Die ersten Jahre wählte ich für den Rückweg die Linie, die ich auch beim Aufstieg nutze. Weil aber in den Alpen das Risiko beim Aufstieg und Abstieg auf einer identischen Route nicht zwingend identisch ist, begann ich nach einer neuen Abstiegsvariante zu suchen. So entschied ich mich für diese Mischung aus altem Jägerpfad und Wildwechsel.
Es war nicht so als, ob ich nie an einen Bergführer gedacht hätte. Trotzdem war ich auch heute ohne unterwegs.
Einerseits weil ich die Täler seit mehr als einem Jahrzehnt kannte und mir meine Wege, so wie die einheimischen Steinwild-Jäger, Stück für Stück erarbeitet hatte. Andererseits, weil ich früher als Reiseleiter gemeinsam mit einem Bergführer Touren für Paragleiter begleitete, und dabei einiges gelernt zu haben glaubte.
Zusätzlich kam es mir damals auch etwas seltsam vor, mich in meinem Alter und in meiner Position als eidgenössischer Indiana Jones auf der Suche nach einem Flugzeugwrack aus dem 2. Weltkrieg zu offenbaren. Und schließlich, Hand aufs Herz, ist man mit dem Berufsbild Executive Producer und Projektleiter nicht doch auf eine gewisse Weise auch ein kleiner Bergführer?
Bergführer oder Executive Producer?
Der Unterschied zwischen den beiden Berufen ist kleiner und zugleich größer als man glauben mag. Beide sind im Dienst eines Kunden und in einer Führungsfunktion unterwegs. Beide braucht es, um ein Ziel zu erreichen, zu dem man ohne ihr Wissen und ihre Erfahrung selbst nicht gefahrlos gelangen kann. Soweit die Theorie. Einen grasbewachsenen Hügel in Irland zu erklimmen, ist für jeden Fußgänger gefahrlos möglich. Beim Matterhorn sieht das anders aus. Aber auch das muss man zuerst einmal erkennen. Über 550 Personen haben am Matterhorn bisher ihr Leben verloren. Die Dunkelziffer liegt höher, weil frühere Aufzeichnungen lückenhaft sind. Ein Brett vor der Stirn schützt das Gehirn! Wären es weniger Opfer, wenn der majestätische Bergzacken statt Matterhorn Matterhirn hieße?
Gott sei Dank gibt es nur eine überblickbare Anzahl Ignoranten, die glauben, nur weil Gott ihnen zwei Füße gegeben habe, könnten sie diese Füße auch an jeden Ort dieser Welt tragen. Auch, weil sich das Wachstum dieser Spezies gewissermaßen „automatisch“ in Grenzen hält. Anders bei Film und Video.
Hochproblematische Grauzonen
Je populärer die Kommunikation mit Bewegtbild wird, desto größer die Anzahl der Personen, die überzeugt ist, wer ein Video ansehen könne, wäre damit gleichzeitig auch in der Lage, ein solches zu produzieren. Wer als Schüler eine Schule besucht, qualifiziert sich dadurch nicht automatisch für den Beruf als Lehrperson. Weil das die Mehrheit der selbst ernannten Videoproducer nicht begreift, zwingt dieser Umstand den Executive Producer und sein Berufsbild in eine andere Rolle als den Bergführer, der in seiner Funktion und Fähigkeit viel seltener hinterfragt wird.
Trotzdem gibt es auch im Alpinismus hochproblematische Grauzonen. Sehnsuchtsorte wie der Mount Everest werden von einer eigenen Industrie nach wirtschaftlichen Maßstäben bedient. In der Regel aber gilt für einen verantwortungsvollen Bergführer das Motto „Wer zahlt, befiehlt“ nur begrenzt.
Bei einer Bergtour geht es um das Wohlergehen des Klienten, um die Unversehrtheit von Leib und Seele und nicht wie bei einem Video nur um ein Kommunikationsmittel. Wer das Nein eines Bergführers nicht akzeptieren kann, ist in der Regel ohne Bergführer unterwegs. Diese Leute sind Ausnahmetalente im Alpinsport. Oder sie sterben. Beim Film funktioniert das Prinzip anders.
Jeder Executive Producer wie er kann und darf?
Verweigert sich der Executive Producer einem Kundenwunsch, weil er erkennt, dass dieser Wunsch der angestrebten Wirkung zuwiderläuft, riskiert er oftmals seinen Auftraggeber zu verlieren. Wo ein Nein nicht erlaubt ist, ist der Auftragsproduzent nicht mehr als ein Feigenblatt, mit dem der eigene Unwille, sich führen zu lassen, verdeckt wird. Ein Bergführer muss immer das ganze Bild sehen, nicht nur das Ego und der Wille seines Kunden. Ansonsten schadet er nicht nur seiner Reputation, sondern auch seiner Brieftasche. Filmschaffende müssen das noch viel stärker lernen.
Das Thema Ausbildung muss für das Berufsbild des Executive Producer den Stellenwert und das Gewicht eines Matterhorns oder Everest haben. Tut es aber nicht. Bergführer ist eine lizenzierte Tätigkeit, die streng kontrolliert und geregelt ist. Anders der Beruf des Executive Producer. Filmemacher ist kein geschützter Titel. Jeder vom Bildungsweg abgefallene Junior kann sich eine Digitalkamera kaufen (erstaunlicherweise beginnt es immer mit einer Kamera) und sich stolz Producer nennen. Kompetenzen braucht es dazu nicht. Inkompetenz genügt. Titel und Berufsbild sind, anders als beim Mountain Guide, weder geschützt noch klar umrissen. Jeder, wie er kann.
Es bleibt mir auch nach Jahren in der Branche rätselhaft, warum es der Auftragsfilm in Europa einfach nicht schafft, ein Ausbildungsniveau mit Gütesiegel für das Berufsbild Executive Producer und Produktionsleiter zu etablieren und im Markt zu kommunizieren. Noch peinlicher wird es, wenn man zu den Kollegen im Spielfilm blickt. Denn ausgerechnet dort, wo nicht mit Kundengeldern produziert wird, besteht durch die selektive Mitgliedschaft in Branchenverbänden und Filmakademien bereits eine Art Qualitätssiegel.
Vertrauen und Ausbildung
Der britische Produzent und frühere Chef des Hollywood-Studios Columbia Pictures und heutige Politiker Sir David Puttnam hat sein Erfolgsgeheimnis in einem Satz zusammengefasst: The key is trust (deutsch: Vertrauen ist der Schlüssel). Das ist unbedingt gutzuheißen. Aber nur, wenn Fachwissen, Erfahrung und Talent reichlich vorhanden sind. Wer zu einem Piloten ohne fundierte Ausbildung ins Flugzeug steigt, kann von Glück sprechen, wenn er statt abzuheben nur über den Pistenrand hinausschießt.
Oftmals möchten Auftragskunden mit einem Kameramann oder Regisseur zusammenarbeiten, den sie von früheren Projekten her bereits kennen und mögen, gleichzeitig aber auch Wirkung und Qualität verbessern. Wenn ich aber zurückfrage: Sind wir sicher, dass diese Person ihren Job beherrscht und für diese Aufgabe richtig ist? ist oftmals Schweigen die einzige Antwort.
Bergführer wie Executive Producer können beide immer wieder beobachten, wie fehlende Erfahrung durch hochmoderne Ausrüstung und Technik kompensiert werden soll. Ein scharfes Bild garantiert genauso wenig einen spannenden Film wie Steigeisen und Eispickel aus Kevlar die Lawinengefahr in einem Couloir verringern können. Am Ende geht es bei diesem Berufsbild immer um Risiken.
Executive Producer: Berufsbild Mensch
Als Student war ich eine Woche in den Dolomiten mit einem Bergführer aus Frankreich unterwegs. Der Mann war halb so schwer und doppelt so alt wie ich, ernährte sich fast ausschließlich von Fromage Sec und Cola Light und kämpfte bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit Furor für sein Berufsbild und die Überzeugung: Der Berg ist niemals böse. Gefährlich ist der Mensch, der den Berg nicht versteht. Von ihm hatte ich einst gelernt, wie man sich bei Steinschlag verhalten sollte.
Glücklicherweise ging die Sache glimpflich aus. Die Steine polterten an mir vorbei über einen Felsvorsprung, der sie einem hohen Bogen beängstigend kraftvoll ins Tal katapultierte. Was die Steine ins Rollen gebracht hatte, ich weiß es bis heute nicht. Ob es die erstaunlich starke Herbstsonne war, welche vereiste Flecken Schnee schmolz, ob vor mir flüchtendes Wild oder ganz einfach der Zufall, auch dreieinhalb Stunden später, als ich wieder sicher im Tal stand, hatte ich keine klare Antwort gefunden.
Deutlich war mir aber auch, dass ich mir nicht alle wesentlichen Fragen gestellt hatte. Schnee, Wetterumschwünge und an der Plan B für den Abstieg waren als Möglichkeiten auf meiner Checkliste. Steinschlag nicht.
«My father was on that plane»
Bergführer wie Executive Producer helfen als erfahrene Profis mit profunder Ausbildung mit, die richtigen Fragen zu stellen. Ihr Berufsbild reduziert das Risiko massiv. Angelehnt an meinen Kollegen mit seiner Leidenschaft für französischen Hartkäse und amerikanische Cola könnte man zu bedenken geben: Ein Filmvorhaben ist niemals schwierig. Die Schwierigkeit wird nur als solche wahrgenommen, wenn die zur Umsetzung notwendigen Kompetenzen und Erfahrungen fehlen.
Eine erlebnisreiche Bergtour endet selten mit der Rückkehr ins Tal. Sie kann Menschen für Tage, Monate oder für ein ganzes Leben prägen. So wie ein Krieg erschreckender Weise auch mehr als fünfzig Jahre nach seinem offiziellen Ende noch immer menschliches Dasein und Empfinden mitbestimmen kann.
Im ersten Jahr fotografierte ich einige Trümmerteile. Dies, weil auf einem der Neunzylinder Sternmotoren und am Fahrgestell lesbar die Werknummer 44–6678 erkennbar war. Ohne die Koordinaten des Fundortes zu nennen, stellte ich die Fotos, zusammen mit einigen wenigen erklärenden englischen Sätzen, ins Internet. Schließlich galt „meine“ B-17 in staatlichen Dokumenten als verschrottet. Einige Wochen, nachdem die Fotos online waren, landete ein E-Mail aus den USA in meiner Inbox. Es enthielt eine ganze Reihe von privaten, sehr persönlichen Fragen und begann mit den schlichten Worten: My father was on that plane (Deutsch: Mein Vater war in diesem Flugzeug).
Zum Flugzeug und seiner Geschichte
Die Crew der am 5.2.1945, mitten in der Nacht, abgestürzten B-17 konnte das Flugzeug mit dem Fallschirm vor dem Absturz verlassen. Ein Mitglied der Besatzung verstarb beim Absprung und wurde erst nach dem Krieg gefunden. Die Überlebenden bildeten zwei Gruppen, von denen eine unwissentlich die Grenze zu Deutschland-Österreich überquerte. Ein Mitglied dieser Gruppe, der Kugelturmschütze Frederickson, wurde zwei Stunden nach dem Absprung und nur wenige Meter von der Schweizer Grenze von der Wehrmacht aufgegriffen. Der Rest seiner Gruppe geriet am Folgetag in deutsche Kriegsgefangenschaft. Die andere Gruppe versteckte sich zehn Tage einer Waldhütte. Sie wurde erst am 15. Februar von Schweizer Grenzwächtern aufgegriffen.
Beim Absprung verstorben: Navigator John E. Skoba, F/O, Deutsche Gefangenschaft bis Kriegsende: Pilot Maurice D. Porter, 1st Lt, Co-Pilot: Donald M. Fishback, 2nd Lt, Bord-Ingenieur: Charles E. Smith, Kugelturmschütze: Christian L. Fredrickson. In der Schweiz interniert. Bombardier John P. Olinik, Funker Kenneth L. Hoffman, Bordschütze, rechte Flanke, Arden O. Lannigan, Bordschütze, linke Flanke, Glenn W. Machovec, Bordschütze, Heck, Franklin T. Wartman.
Fehler gefunden? Jetzt melden
Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 03.10.2017
Teile jetzt deine Erfahrungen