Die Spannweite zwischen Roger Moores Dokumentation Fahrenheit 9/11 und der nicht minder erfolgreiche, an die Form einer Doku angelegten „Borat – Kulturelle Lernung von Amerika, um Benefiz für glorreiche Nation von Kasachstan zu machen“, zeigt auf, wie viele Arten und Zwischenarten des Dokumentarfilms es gibt. Die enorme Bandbreite zwischen den einzelnen Kategorien belegt eindrücklich das Potenzial der dokumentarischen Erzählform.
Die unterschiedlichen Arten von Dokumentarfilmen lassen sich nach verschiedenen Kriterien gliedern. Eine Unterscheidung der Formen ist möglich nach Art der Erzählform und Dramaturgie, doch eine zeitliche Verortung der Inhalte einer Doku, durch das Ausmaß der Eigenperspektive des Erzählers und unter anderem auch durch die Art und Weise der Produktion.
Unterscheidung der Arten eines Dokumentarfilms nach der Erzählweise:
Journalistische Dokumentation:
Dokumentarfilme, welche journalistischen Prinzipien folgen, stellen höchste Ansprüche an Faktentreue, Objektivität, Recherchen und Belegung der Quellen für alle verwendeten Information.
Doku-Drama:
eine spielfilmartig aufgebaute Dokumentarfilm nutzt die dramaturgischen Erzähltechniken des Spielfilms. Das Storytelling orientiert sich in seiner Struktur stärker als journalistische Form an den Wünschen des Publikums, das unterhalten werden will. Dazu nutzt das Doku-Drama auch dramaturgische Elemente zur Unterstützung und Stärkung von Storytelling. Inhaltlich aber bleibt er eine Doku und damit belegbaren Fakten und der Wahrheit verpflichtet.
Dokufiction:
bei der Form der Dokufiction werden Szenen und Vorgänge, die nicht als historisches Filmmaterial existieren, oder bei denen keine Kamera dabei war, nachträglich inszeniert. Inszenierung ist dabei als solche jederzeit erkennbar.
Mockumentary:
Ein Mockumentary ist eine fiktive Geschichte, die sich als Dokumentation tarnt. Diese Art Dokumentarfilm spielt oftmals, und bis zur Grenze an die Absurdität, mit dem Grat zwischen Erfindung und Wahrheit. Berühmteste Beispiele für diese Dokumentarfilmart sind die Filme von Borat.
Unterkategorien von Dokumentarfilmarten nach Erzählweise:
Der journalistische Ansatz zeigt sich in filmischen Dokumentationen oftmals in Verbindung mit Elementen, die dem Spielfilm entlehnt sind. Dies ist weiter nicht problematisch, solange die Grenze zwischen Realität und Fiktion und insbesondere deren Erkennbarkeit nicht verletzt werden.
Kategorisierung von Dokumentationen durch Einordnung der Inhalte auf der Zeitachse
Geschichts-Dokumentarfilm:
Im Zentrum des historischen Dokumentarfilms stehen Ereignisse aus der Vergangenheit. Die meiste übliche Anreicherung von historischen Archivaufnahmen mit Interviews, in denen Zeitzeugen subjektive Eindrücke zu miterlebten Ereignissen beisteuern, ändert an der Kategorisierung als historische Doku nichts.
Dokumentation mit aktuellem Thema:
Filmberichte, die auf das Prinzip der Aktualität fokussieren, sind unter anderem der filmische Nachrichtenbeitrag zu Katastrophen oder Fragen, welche die Welt aktuell bewegen. Ein äußerst erfolgreiches Beispiel für einen solchen Film ist die Musikdokumentation »The Eras Tour« von Taylor Swift.
Mischformen von Dokumentarfilmarten nach Zeitachse:
Die Abgrenzung einzelner Mischformen zwischen historischer und zeitgenössischer Dokumentation gelingt beim Film am Ersten, wenn man unterscheidet, ob sich der Aussagewunsch um ein aktuelles oder historisches Thema dreht. Daraus ergibt sich, dass bei der Geschichtsdoku in Interviews mit Zeitzeugen auch die heutige Perspektive auf frühere Ereignisse einbezogen werden kann. Als Umkehrschluss darf ein zeitgenössisches Thema genauso eine historische Einordnung erfahren.
Klassifizierung der Art einer Dokumentation aufgrund der Erzählperspektive
Neutrale Erzählform:
der Autor einer Doku bemüht sich um eine möglichst neutrale, umfassende und objektive Darstellung der Ereignisse im Dokumentarfilm. Typisches Kennzeichen dieser Art Dokumentarfilm ist es, dass der Filmemacher und seine Meinung unsichtbar im Hintergrund bleiben. Die neutrale Erzählform stellt besonders hohe Ansprüche an den begleitenden Off-Kommentar.
Erlebnisbericht:
wählt ein Filmautor für seinen Dokumentarfilm eine ganz persönliche Erzählperspektive, handelt es sich bei der Dokumentation um einen Erlebnisbericht in Form einer Dokumentation. Die Doku rückt damit in die Nähe einer Reportage, die sich als offengelegter Erlebnisbericht definiert. Einzelne Regisseure ergänzen dabei ihre Filme sogar mit der eigenen Gedankenstimme, die manchmal sogar persönlich gesprochen wird.
Propagandafilm:
überall dort, wo weder journalistischen Prinzipien gefolgt noch der fiktive Charakter einer Doku erkennbar ist, mangelt es an moralischer Integrität und sauberem Handwerk. Auch wenn man nicht Absicht vermuten soll, wo Dummheit genügt, droht bei solcher Machart der Vorwurf der Manipulation des Publikums. Der einfachste und sicherste Weg, Anwürfen als Agitator zu vermeiden, besteht auch beim Dokumentarfilm mit dem Zugriff auf ein eisernes journalistisches Grundprinzip. Dies lautet: nenne Ross und Reiter.
Einordnung nach Art der Produktion
Archivfilm:
Dokumentationen, die einzig aus Archivmaterial bestehen, sind selten. Denkbar ist diese Form von Dokumentationen immer nur dann, wenn umfangreiches Filmmaterial in einem Archiv zugänglich ist. Bei der Archiv-Doku spielt die Erzählstimme in Form einer Off-Voice weist meist eine entscheidende Rolle, denn sie sorgt für Handlungsbögen, Zuschauerorientierung, Kontext und Spannung. Die Produktion einer solchen Doku beschränkt sich auf Recherche, den Erwerb der Verwendungsrechte an der Stock Footage und auf die Filmmontage.
Interview-Film:
enthält ein Dokumentarfilm nur Interviews, kann von einer Interview-Doku gesprochen werden. Auch diese Art ist in ihrer strikten Form ähnlich selten anzutreffen wie der Archivfilm. Die Dreharbeiten für diese Form und der damit verbundene Aufwand ist vorwiegend minimal.
Klassische Doku:
die klassische Dokumentation besteht aus Realaufnahmen, größtenteils gedreht von einer Filmcrew, die aus zwei bis maximal fünf Personen besteht. Kennzeichen dieser Produktionsweise ist das situative Drehen, eine mehrheitlich überdurchschnittlich hohe Flexibilität, verbunden mit der Schwierigkeit, die Anzahl der erforderlichen Drehtage verbindlich abzuschätzen.
Doku-Spielfilm:
ob bei nachgestellten Szenen, möglicherweise sogar mit historischem Anspruch, oder beim Dreh einer Mockumentary-Serie wie Irgendwas mit Medien, nähern sich Umfang und Komplexität der Produktion derjenigen eines Spielfilms an. Entsprechend aufwendig ist diese Form in ihrer Umsetzung.
Zwischenformen der Arten von Dokumentarfilm nach Produktion:
wenn man bei der Vielzahl der Formen, in denen Dokumentarfilme in Erscheinung treten können, überhaupt von einer typischen Klassifizierung sprechen kann, dürfte es wahrscheinlich eine Zwischenform aus Realdreh mit Elementen des Archivfilms sein. Dazu gehören meist auch Interviews mit Experten oder Zeitzeugen.
Wie jedes Filmgenre entwickelt sich auch der Dokumentarfilm konstant weiter. Die Erfolge an der Kinokasse und die ungewöhnlich hohe gesellschaftliche Anerkennung durch ein Publikum mit überdurchschnittlichem Bildungsstandard sorgen dafür, dass ungeachtet der Art einer Dokumentation auch zukünftig interessante Filme Dokus in jeder Form zu sehen sein werden.
Hinzu kommt, dass das Genre Dokumentarfilm gerade für europäische Filmautoren eine weit überdurchschnittliche Möglichkeit gibt, auch international auf sich aufmerksam zu machen. Dies nicht zuletzt dank tatkräftiger Unterstützung durch die Filmförderung, welche es hierzulande erlaubt, auch wichtige oder sogar gefährliche Themen zum Gegenstand einer Filmdokumentation zu machen.
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Dieser Artikel wurde erstmals publiziert am 13.05.2022
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